Der Satzbau

Vorher: Das Feld

Der stattliche Umfang dieses Traktats über die Ordnung vermittelt einen Eindruck über die ausserordentliche Länge des Weges, der nicht nur für eine geographische Bresche in die pflanzenreiche Landschaft geschlagen, sondern auch für die politische Bereitschaft einer möglicherweise vielschichtigen Gesellschaft geöffnet werden musste, um das heute weltberühmte, monumentale Werk anzulegen.

Neben der gesellschaftspolitischen Herausforderung musste eine weitere Einheit eingehalten werden: die gerade Linie.

Wie man sich durch die zahlreichen Zeilen dieses Traktats liest, erweckt dies geradezu den Anschein, die Alignements seien so geradlinig wie diese „Sätze“; als seien diese wie mit dem Lineal gezogen.

Nach den Menhiren: Die Schrift als Botschafterin der Vergangenheit @ Georges Scherrer

Der Eindruck täuscht. Sieht man sich Flugbilder der Stätte an, dann fällt auf, dass die Steinreihen zuweilen etwas weiter auseinander stehen, dann wieder enger zueinander. Diese Schwankungen zeugen zumindest von den Schwierigkeiten, welche die Menschen von damals hatten, um die Gerade zu halten, als sie ihre Steine aufstellten und Reih und Glied zu bewahren suchten.

Die Gerade als klare Aussage @ Georges Scherrer

Diese Menschen mussten sich neben der gesellschaftspolitischen Herausforderung auch um die Einheit bei der Errichtung der Steinformationen bemühen: gerade Linien, regelmässige Abstände, abgestimmte Grösse der Menhire. Die Grösse der Steine nimmt von Westen her in geordneter Form ab. Ab einer bestimmten Stelle nehmen ihre Dimensionen wieder zu. Die Brocken wurden nicht nur herbeigeschleppt und aufgerichtet. Sie mussten auch sortiert werden.

Es ist nötig, zurück an den Beginn zu gehen, um dem auf die Spur zu kommen, was sie ersonnen haben.

Was von Carnac heute noch steht, zeugt von der ungeheuren Arbeit, die damals geleistet wurde, technisch und denkerisch. Während der Jahrtausende, durch welche hindurch das enorme Bauwerk bereits steht, wurden aus den Alignements Steine entfernt und für den Bau von Häusern und vermutlich auch von Trockenmauern verwendet.

Eine gemörtelte Mauer gewährt Schutz @ Georges Scherrer

Andere stürzten um und wurden später wieder aufgerichtet, möglicherweise platzversetzt, so dass sie nicht mehr genau an der Stelle stehen, an welcher sie in Urzeit gesetzt wurden. So die Ansicht der Forschung. Möglicherweise entspricht das Bild der Steinfluchten, das wir heute haben, in gewissen Details nicht jenem, welches sie in ihren Ursprüngen boten.

Dennoch darf die Leistung der Leute von damals, trotz aller Bewunderung für das Vollbrachte, nicht überschätzt werden. Vielmehr ist es nötig, zurück an den Beginn zu gehen, dies aus Verehrung für die Drahtzieher und Errichter der künstlichen Adern, welche durch die Gegend von Carnac gelegt wurden, um möglicherweise doch dem auf die Spur zu kommen, was sie ersonnen und begonnen haben.

Rollmaterial für den Transport der schweren Menhire @ Georges Scherrer

Denn zu Beginn befand sich in dieser Ebene garantiert nicht die nötige Anzahl an geeigneten Steinen, um das, was ausgedacht worden war, umzusetzen. Carnac war aus einem bestimmten Grund ein ausersehener Ort. Ob ursprünglich ein Wald oder eine Wiese, Weideland die Fläche bedeckte, ist unerheblich. Ebenso die Frage, ob Wald gerodet werden musste. Die Baumstämme hätten möglicherweise als Rollen dienen können, über welche die Steine gezogen und geschoben wurden. Das bleibt aber reine Spekulation, wie vieles um Carnac.

Bei den Steinkolossen handelt es sich nicht um eigentliche Menhire wie jene im gallischen Dorf der Unbeugsamen.

Die Führerin durch die Reihen von Carnac wird auf derartige Überlegungen und Fragen nicht eingehen, sondern, einmal mehr mit ihrem feinen Lächeln, gelassen erläutern und erklären, dass die Arbeiten von solchem Umfang den Boden nachhaltig beschädigten, so dass über Jahre hinweg dort kein Wald mehr wachsen konnte.

Wenn der Dame zu viele Fragen gestellt werden, wiederholt sie sich zuweilen. Sie erweist sich aber als äusserst geduldig, wenn sie mit den Touristen unterwegs ist. Das haben gute Touristenführerinnen und Touristenführer an sich.

Es fällt auf, wenn man von Carnac her in die Reihen hinein wandert, dass es sich bei den gewaltigen Steinkolossen nicht um eigentliche Menhire handelt, so wie sie im klassischen Sinn interpretiert und im gallischen Dorf der Unbeugsamen tailliert werden. Vielmehr besteht die Mehrheit der Kolosse aus Steinplatten, die, so wird die Führerin freundlich erklärt, in jenem Zustand aufgestellt wurden, wie sie auf dem Boden gefunden oder aus diesem herausgelöst worden waren.

Die Führerin korrigiert einen Fragenden: Nein die Steine sind nicht behauen, sondern in ihrem Naturzustand belassen. Sie wurden möglichweise nicht alle von weit her herantransportiert, wie dies bei einzelnen, bedeutenden Menhiren der Fall ist, die als Einzelstück weithin sichtbar sind und denen wegen ihrer Platzierung eine besondere Bedeutung zukommt.

Botschafter aus der Steinzeit @ Georges Scherrer

Steckte hinter dieser Naturbelassenheit eine Absicht? Oder erwies sich ganz einfach der Aufwand als viel zu gross, um eine derartige Menge von Steinen vor ihrem Aufrichten auch noch zu behauen und sie in eine andere geeignete Form zu bringen als der ursprünglichen? Welche Form? Dachte der Mensch von damals bereits so weit, dass er entschied, nicht nur die Anlage nach seinem Willen zu formen, sondern auch jedem Stein seine naturgegebene Form zu lassen? Was hinderte die Menschen von Carnac daran, die künstlerische Umgestaltung jedes einzelnen Steins in Angriff zu nehmen? Eine bestimmte Idee.

Babylon und Persepolis wurden nach diesen Vorstellungen gebaut.

Die durchgestylte, geradlinige Konstruktionsweise entspricht einer moderneren Denkweise. Babylon und Persepolis wurden nach diesen Vorstellungen gebaut. Doch die beiden archaischen Städte entstanden Jahrtausende nach Carnac. Carnac reicht zeitlich weiter zurück.

Weitere Botschafter aus der Antike @ Georges Scherrer

Nächstes: Die Idee

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3 Kommentare zu „Der Satzbau

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