icht mehr von Zahlen und Nummern soll nunmehr die Rede sein. Namen sollen deren Platz einnehmen, schöne Garderoben und Jugendglück diese begleiten. Sie sollen den Bann brechen, den die anonymisierte Technik ausspricht.
Elfie Xorane berührte die wunde Stelle. Noch war Elfie nicht ganz bewegungsunfähig. Vieles an ihr funktionierte seit langen nicht mehr. Sie war gezwungenermassen und unwiederbringlich auf Hilfe angewiesen. Da gab es nichts schön zu reden. Zu Beginn schaute es ganz anders aus. Anfangs gab es Luftsprünge, einen nach dem anderen. Sie denkt zurück.
Drei Jahre nach ihrer Geburt hüpft sie nach wie vor fleissig über Stühle und das elterliche Sofa, lässt auch die Couch nicht ausser Acht; landet, nach den Akrobatiknummern, sicher und unbeschadet wieder auf dem Teppich. Spielzeuge, Geräuschmaschinen, Musik und erste Computergeräte prägen den Ablauf des Alltags.
Wer denkt zu jener Zeit daran, dass das Mädchen eines Tages in jene Situation gerät, die sie ihrer Bewegungen beraubt? Die Situation ist aber absehbar und niemanden kann es verwundern, dass sich Elfies Lage eines Tages massiv verschlechtert, wenn sie sich nicht im Vornherein dazu entscheidet und zwar rechtzeitig, noch bevor ihre Gebrechen sie derart heimsuchen und noch bevor sie als entscheidungsunfähig taxiert und ihr die Urteilsfähigkeit von den Behörden und Ärzten über das eigene Befinden abgesprochen wird, den freien, eigenverantwortlichen Abgang aus dem Leben zu wählen, und sich eine lebensbeendende Gifttinktur mit eigener Hand einflösst.
Doch, von dieser Zeit in einer fernen Zukunft ist Elfie weit entfernt. Sie wächst munter heran. Die Bewegungen sind geschmeidig und grazil. Nichts deutet darauf hin, dass Elfie dereinst nicht mehr Herrin über ihre eigenen Entscheide sein wird. Wäre sie als Heranwachsende unter ein Auto geraten, die spätere Pein wäre ihr erspart geblieben.
Quicklebendig und unternehmungslustig erobert Elfie die Wohnung, Zimmer für Zimmer. Nach den Böden werden die Tische zur begehrten Spielebenen und tollkühnen Beschäftigungsflächen. Weiter hinauf steigt Elfie. Sie beklebt die Wände ihres Zimmers mit den Bildern ihrer Idole und Träume.
Eine Modelleisenbahn besitzt sie nicht, dafür aber Puppen, Tiere aus Plüsch und viele Farbstifte. Über dieses Reich waltet sie frei und fröhlich und wacht darüber, dass nichts abhandenkommt. Geduldig heben die Eltern, Onkel und Tanten die liegen gebliebenen Spielsachen vom Boden auf, sofern sie nicht darauf drängen und dafür sorgen, dass Elfie selber aufräumt.
Geduldig setzt Elfie die Spielzeuge wieder zusammen, die auseinander gefallen sind; sucht bei jenen, die den Betrieb versagen nach der Ursache; ersetzt Batterien und Lampen, setzt selber Hand an, wenn ein Arm aus der Puppenachsel gekippt ist. In der Schule bleibt Elfie sich gleich. Nichts weist auf das Schicksal hin, dem sie einst erliegen wird. Sie gerät einfach in diesen Zustand hinein. Kein Arzt warnt sie. Wie hätte er auch wollen?
Die Schule bewältigt sie ohne grosse Mühen, geniesst den eigenen, wachsenden Körper, der aufblüht. Den Anschluss an Mitschüler und Schülerinnen schafft sie galant. Bücher begleitet sie. Nach der Schule, auch schon etwas älter, verbringt sie mit ihrer besten Freundin, Sölde, viel Freizeit. Beide aufgestellt, lebensnah und neugierig sehen für den Tag vor, wieder einmal einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen: Shoppen.
Elfie und Sölde betreten das erste Geschäft: Kleider vom Besten, soweit die Regale reichen! Und Zeit im Überfluss, um sich eine Übersicht über das Angebot zu verschaffen. Kein Freund, der dazwischen redet und weiter gehen will, den Einkaufsbummel woanders hin lenkt und den Plausch am Kauf verdirbt.
Kleider sind da, um die Männer toll zu machen, sagt Sölde, oder die anderen Frauen auszustechen, damit die Männer nicht mehr mit ihren stieren Augen zu jenen hingucken, „sondern zu uns“.
Entkrampft und doch spannungsgeladen drängen die beiden Frauen in das nächste Geschäft. Sie staunen, wie lange es zuweilen geht, bis sie begrüsst werden – bis es heisst: „Wir begrüssen Elfie Xorane und Sölde Trauschb bei uns und wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt. Für euch wird eine Produktetisch bereit gestellt, der alles enthält, was den Mann erfreut.“ So klingt es deutlich vernehmbar und genderfremd aus den Lautsprechern des Verkaufshauses. Ein Mann führt das Wort.
Die beiden Frauen schauen sich an und lächeln sich verschmitzt zu. Die künstliche Intelligenz leistet gute Arbeit. Weder Elfie Xorane noch Sölde Trauschb werden in eine Sternchenecke versetzt. Sie dürfen Frau sein und ohne formalethische Einschränkung ihres Geschlechts zugreifen, ausprobieren und einkaufen. Der Computer hat richtig gerechnet und erkannt: Sie sind auf Männer aus.
„Die hier sind tricksy. Auch hier haben sie ausgemacht, dass wir nicht auf Frauen aus sind oder andere Wunschvorstellungen hegen. Sie haben unser Profil gut im Griff.“
„Also Männer und Frauen sollen jetzt nicht im Vordergrund stehen. Wir wollen nur schauen, was uns gut steht“, bemerkt Sölde.
„Stimmt. Pulli, Jacke haben wir schon. Was brauchen wir von hier?“
„Wenn ihr von uns Männern hier nichts wissen wollt, dann kann ich euch nur den Kauf von Socken empfehlen.“
„Oh, die Herren sind beleidigt“, bemerkt Sölde-zu den beiden Gestalten, welche sich ihnen nähern. „Aber mit uns beiden ist nichts. Wir sind zum Einkaufen gekommen und wollen dabei nicht gestört werden. Auch nicht von euch beiden. Wir haben besseres zu tun, als uns durch zwei Unbekannte herum führen zu lassen.“
„Wurde der Tisch, der eben ausgerufen wurde, für euch gedeckt?“
„Ganz sicher!“
„Oh, die Damen Elfie Xorane und Sölde Trauschb. Wie sind die Herren Metschler und Reusch. Ich bin der Toni.“
„Nichts zu machen. Wir haben anderes vor.“
„Wir können euch zum Gabentisch begleiten, bei der Auswahl beraten und beim Umziehen helfen.“
„Nichts zu machen. Die Kleider passen wir uns selber an.“
„Ach, Bard, wir haben es gemerkt. Die beiden wollen nichts von unserem wirklich gut gemeinten Hilfsangebot wissen.“
„Da ist nichts zu machen.“
„Sie wollen selber mit ihrer Modelleisenbahn spielen und uns dabei auslassen.“
„Sie wollen uns nicht an ihrem Gabentisch teilhaben lassen und erlauben, dass wir ihre Kleiderauswahl durcheinander bringen. Sie haben wohl Angst, dass wir dabei auch ihre Herzen aufmixen.“
„Mein lieber Bard, die beiden Damen taugen, wie ich sie mir so auf ihrem Einkaufsbummel ansehe, sicher als Models. Ihr Schritt passt weniger zu Modelleisenbahnen, mehr aber auf Models-Bahnen. Nur mit unserer Liebe wird hier nichts.“
„Wie gesagt: Ihr taugt nicht zu unserer Begleitung“, unterbricht Elfie die Sprechenden.
Die beiden Männer entfernen sich lachend und winken zurück.
„Dass der Kerl vom Lautsprecher unsere Namen nennen musste!“, empört sich Elfie.
„Ach was“, widersetzt Sölde, „wenn man in ein Geschäft hinein kommt und auf diese Weise begrüsst wird, fühlt man sich sofort zu zuhause.“
„Du hast recht. Komm, wir gehen als Erstes zum Verkaufstisch rüber, der für uns bereit gestellt worden ist. Oder wollen wir zuvor selber nach Neuem herumstöbern?“
„Herumstöbern.“
Statt gerade aus zu gehen, wo die Ausstelltische stehen, biegen die beiden Frauen ab und verschwinden zwischen den Gestellen.
*
Der beratende Computer gebärdet sich nicht zimperlich, sondern benützt eine offene, klare Sprache.
Währenddessen spricht die Stimme aus dem Lautsprecher in familiärem Ton munter weiter und redet verschiedene andere Frauen an. Auch Herren. Zum Teil geschlechtsneutral, flüssig und links und rechts Lob austeilend. Dazwischen erklingt zur Abwechslung die Stimme einer Frau oder eines Androiden.
„Sie geben hier viel auf beliebige Geschlechtlichkeit“, bemerkt Sölde.
„Es ist ein modernes Spiel. Wir könnten auch mal mitspielen“, antwortet Elfie.
Tunichtgut und doch voll Tatendrang tasten sich viele Kundinnen und Kunden durch die Kleiderreihen auf der Suche nach einem passenden Häppchen. Auch Elfie und Sölde lassen sich durch die immense Auswahl verführen und verbringen viel Zeit beim Stöbern nach den Stoffen, aus welchen die Kleider gemacht sind. Schiessen da ein Foto und dort eines und speisen diese in ihre Einkaufslisten ein, damit das Geschäft weiss, wonach den beiden Freundinnen ist.
Die Antworten kommen jeweils prompt: Grösse vorhanden, Tint kann variiert werden. Dazu passe dieser und jener Kleidersatz. Die Lieferfrist für spezielle Aufträge folgt auch gleich, etwa der Vergrösserung des Brustausschnitts. Der beratende Computer gebärdet sich nicht zimperlich, sondern benützt eine offene, klare Sprache.
Die beiden Frauen sind enttäuscht, stecken ihre Phones weg und meinen, die elektronische Beratung habe am Morgen schlecht gefrühstückt.
Von der Decke teilt sich fortwährend die nach wie vor vorwiegend männlich gehaltene Stimme mit und verbreitet immer neue Tipps und Infos: „Rebekka hat ihr Auge auf das gleiche Kleid wie Elfie geworfen. Wer wird es sich schnappen? Die Klügere, die Schnellere, die Weisere? Vorsicht ihr Damen, es ist das letzte Stück. Ich empfehle den Blick ins Regal Fünfzehn.“
„Der soll mir gestohlen bleiben“, meint mit einem leichten Nasenrümpfen die Genannte zu Sölde. „Der soll nur bei mir auftauchen. Ich werde ihm diese sauberen Slips über den Kopf ziehen“, sagt Elfie und steckt das leichte Kleidungsstück, das sie begutachtet hat wieder an den angestammten Platz zurück.
„Der äfft ja sowieso nur nach, was ihm der Computer vorgibt. Von Geschmack hat der keine Ahnung. Weder Kunst noch intelligent. Wir sollten gar nicht auf ihn hören.“
„Holla du hey, ihr Frauen. Das Vademecum greift jetzt um sich. Vergreift euch nicht an den Kleidern, sonst kleiden sie euch nicht mehr stilvoll“, heisst es nun von der Decke.
Elfie meint zu Sölde: „Da scheint einer in Originalstimmung zu sein. Keine Computerstimme.“
„Der ist toll. Es sieht ganz danach aus, als wären wir ihm mehr wert als sein ganzer Computerapparat. Stimmlich versteigt er sich in Kreationen. Wenn wir nur in diesem Lokal auf vernünftige Kreationen stossen würden. Drüben war es anderes. Der hatte wenig Phantasie“, bedeutet Sölde.
„Hier sind wir auch online. Oder täusche ich mich?“
„Ich weiss es nicht. Und das ist mir auch egal. Jedenfalls reagieren unsere Geräte. Wie das vor sich geht, brauche ich nicht zu wissen. Wenn die uns hier schlecht aufnehmen, schadet es ihnen mehr als uns. Wir gehen einfach woanders hin. Kleiderläden hat es noch viele. Im Freeoffashion waren wir noch nicht.“
„Die werden schon darauf aufpassen, dass wir ihnen nicht davon laufen, und dass die Bilder, die wir ihnen geschickt haben, gut ausgewertet werden. Unsere Auswahl soll ja auch andere anlocken.“
„Dann sollen sie uns auch besser beraten. Ich bin total unzufrieden. Bis jetzt war es hier wirklich kein Hoch.“
„Mir platzt auch bald der Kragen. Wir haben wirklich nichts gefunden, was uns richtig passt. Mieser Laden.“
Sichtlich gelangweilt und auch etwas frustriert schreiten die beiden Frauen nun die Auslagen ab, greifen zuweilen doch in eines der Gestelle hinein, um sich ein Kleid daraus zu pflücken, von dem sie denken, es passe zu ihnen. Sie begutachten gemeinsam das Gewand. Dies unter dem Auge der Kameras, welche auf sie gerichtet sind und sie als Kundinnen ins Visier nehmen, welchen immer neue Angebote unterbreitet werden. Das Rede von der Decke ist ohne Ende.
Die beiden Frauen sind sich der ständigen elektronischen Begutachtung bewusst und zieren sich darum nicht, ihre die Körperformen betonenden Linien und Kurven zur Schau zu stellen. Mit den Mechanismen modernen Einkaufens sind sie durchaus vertraut.
Vor dem Trip in die Shoppingzone haben sie sich daher so eingekleidet, dass sie auf der Strasse von denen, die sie kreuzen, durchaus eines besonderen Blickes gewürdigt werden. Elfie und Sölde gehen weiter davon aus, dass ihnen dieses stille Kompliment auch in den Geschäften, die sie betreten, zuteil wird. Dessen eingedenk betreten die beiden Frauen körperbetont die Läden ihres Wunsches. Sie wissen, dass beim Eintritt ihre Masse elektronisch-technisch aufgenommen werden. Das ist der unbenommene Vorteil moderner Technik. Die Körpererkennungskoeffizienten tun ihre Arbeit; berechnen die Bedürfnisse der Kundinnen aufgrund der Idealmasse all der Schönheiten dieser Welt, welche in den Logarithmen eingegeben werden; errechnen, ob es sinnvoll ist, mit dem Messer an den Körpern etwas zu feilen, damit diese besser in die schönheitsgenormten Gewänder passen und auf diese Art positiv zur Geltung kommen und die Kunst der Haute Couture herausstreichen.
*
Der ästhetische Vorteil muss in den Vordergrund gerückt werden.
Die Computer rechnen mit. Gegebenenfalls können sie die Kundinnen auf diskrete Weise über das Display der tragbaren Telefone mit der Forderung oder vielmehr mit dem ehrlich gemeinten, freundlich vorgetragenen Vorschlag für einen leichten, chirurgischen Eingriff konfrontieren und dazu raten, die Linienführung des eigenen Körpers zu verbessern. Eine derartige Aufwertung des natürlich gegebenen Körperwurfs kann nie schaden, lautet ein Werbeslogan, der über die Smartphones an die Frauen heran getragen wird. Die Angaben für die Kontaktmöglichkeiten zur Schönheitschirurgie werden mitgeliefert.
Direkte Möglichkeiten, um den Kundinnen die schier unschicklich anmutenden, aber doch notwendigen Vorschläge für die eigene Körperverbesserung nahe zu bringen, bestehen durchaus. Die Welt der Computer ist kühl, ihre Hilfe wertvoll. Eine elektronische Kurznachricht, im richtigen Augenblick auf das Phone gesetzt, wirkt Wunder. Der kleine Ratschlag kann eine ausserordentliche Wirkung erzielen.
Beim ersten Kontakt darf nicht gleich die Rede von Geld und Kosten sein. Das wissen die Werbeleute. Der ästhetische Vorteil muss in den Vordergrund gerückt werden. Beigefügt werden kann auch der Hinweis auf Vorzüge dieses oder jenes Kleides – die Textnachricht versehen mit dem Bild der Adressatin, deren Körper, ausgerechnet nach dem Idealmass ihres Bodys, in eben diesem Kleid steckt. Ein dezenter Wink auf die etwas ungewöhnliche Nasenwölbung, eine angebrachte Gesässstraffung oder ein formverschönendes Fettabsaugen kann per Message als weiterer Impuls nachgeschickt werden.
„Individuell eng begleitet“ nennt sich diese Strategie. Sie findet auch bei Männern Anwendung. Bei denen ist zuweilen auch ein Brust, Bauch oder Po-Lifting angebracht, aber keine Steissbein- oder Prostataentfernung. Derart tief dringen die Blicke der Geschäftskameras nicht in die Körper hinein. Sie streichen lediglich über die Oberflächen der Leiber.
Etwas vulgär ausgedrückt: Den Damen muss klar und in deutlicher Sprache bewusst gemacht werden, dass ihr Körpergewicht nicht den idealen, durch den Bodymassindex vorgegebenen Daten entspricht und gemäss der Ästhetikschaufel durchaus Anpassungen verträgt. Die plastische Chirurgie vollbringt Wunder.
Am Gefürchtetsten erweist sich aber unter den Kundinnen, die nicht mehr über ein Teenage-Alter verfügen, der Hautfaltenkollektor, der unsichtbar die sichtbaren Hautstellen der ins Geschäft eintretenden Frauen abtastet und darüber befindet, ob die Betreffende als erstes die Kosmetikabteilung aufsuchen soll oder nicht.
Tendieren die Resultate der Messung dahin, dass die orange Leuchte aufstrahlt, das Grün also überholt ist, das Rot jedoch aussteht, dann bricht bei den betroffenen Schönen schon fast Panik aus – wie dann, wenn der Einkaufschip signalisiert, dass sich die Einkaufsmöglichkeiten aufgrund der kleiner werdenden Geldreserve einzuschränken beginnen oder gar der Abbruch des Geschäftsganges nötig wird.
Dann bleibt als Lösung nur der Gang zum Bank. Jener zur Kasse muss auf bessere pekuniäre Momente verschoben werden. Die zur Akquirierung bereit gestellten Textilien wandern zurück in die Regale. Der Blick auf die Wunschliste macht es notwendig, weitere Geschäfte anzupeilen. Das Vergnügen beschränkt sich dort jedoch auf das Anprobieren von Kleidern. Die Freude des Kaufs und der Gang zur Kasse fällt weg.
Was heisst an solchem Ort Kasse? Das war damals. Heutzutage läuft die Abrechnung der Käufe vollautomatisch. Früher mussten Käufer und Käuferinnen darauf achten und dafür sorgen, dass beim Kaufgang genügend Geld zur Verfügung stand. Sonst erhielt man, knallhart, den gewünschten Gegenstand nicht. Offene Rechnungen mussten sofort oder unter Berücksichtigung der gesetzten Frist beglichen werden. Es musste darauf geachtet werden, dass elektronisch genügend flüssige Mittel bereit standen, um den wegen des Kaufs berechtigten Forderungen der Gläubiger nachkommen zu können.
Solche Sorgen plagen Elfie und Sölde nicht. Sie vertrauen dem SHSSNA-System – was für den Soll-Haben-Soll-Soll-Nicht-Algorithmus steht. Das Kalkulationsprogramm ermöglicht es den beiden Frauen, die Notbremse bei ihren Einkäufen wirklich im richtigen Augenblick, idealerweise dem letzten, zu ziehen. Der Fall tritt dann ein, wenn keines der an Elfies und Söldes Ausgabenpolitik beteiligten Kreditinstitute mehr bereit ist, die Geldlimite weiter hinauf zu schrauben, als es die Durchschnittsberechnung der Ausgabendisziplin und des Einkommensfaktors, den Lohn oder das geschätzte Taschengeld eingerechnet, gestattet.
Die Kreditwürdigkeit ist bei SHSSNA wichtiger als das Konto, das sich möglicherweise bereits auffällig den roten Zahlen nähert. Ein tief rotes Konto befindet sich möglichweise noch weit über dem roten Strich, wenn der Glaube auf eine spätere Schuldenbegleichung noch intakt ist. Bei unkontrolliertem Überzug der Konten harrt nach wie vor die Schuldenfalle ihrer Opfer.
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Die handlichen, smarten Computerbildschirme in den Händen der jungen Frauen werfen Funken. Einladungen kommen von allen Seiten.
Die beiden jungen Damen, dem Jugendalter kaum entwachsen, bewegen sich noch immer gelangweilt vorbei an den Kleiderauslagen vorbei, die sie nicht so recht einladen, anzuhalten und in den solcherart eigentlich schlecht angepriesenen Waren ausgiebig zu wühlen. Schlecht angepriesen im Sinn, als sie das Interesse der Kundinnen nicht wecken.
Solches ist für das Geschäft kein gutes Omen, sagen sich Elfie und Sölde. Sie beschliessen darum, ein anderes aufzusuchen. Sie verlassen das Haus und folgen der Strasse, an deren Rand eine ganze Reihe von Geschäften zum Verweilen einlädt.
Die handlichen, smarten Computerbildschirme in den Händen der jungen Frauen werfen Funken. Einladungen kommen von allen Seiten. Verführungen ebenso, um die beiden Damen von ihren Einkäufen abzulenken. Geladen wird zu Kaffee und Kuchen, Weisswein, Sekt, Cocktails und Süssbier, Maniküre und Biodiät, Buchlektüre, Theater und Kinobesuch. Elfie und Sölde halten sich für den Augenblick alles offen. Auch Megan, Vegan und Methan, Bioabbau garantiert mit eingeschlossen, Propan aus der Jauchegrube in der Nachfüllpatrone für den Gasgrill.
Trockenfutter aus der Büchse wird an dem Tag als Aktion angeboten. Auch ein kulinarisch exotisches Gericht: Grillenchips mit Grashüpfern garniert. Das Einkaufs- und Vergnügungsviertel bietet bereits in nächster Umgebung der beiden Flanierenden ein reiches Angebot an Produkten, derer die beiden nicht bedürfen. No-Food und Basic-Nahrung lösen sich auf den Bildschirmen und farbenfrohen Werbeplakaten ab. Die beiden Frauen müssen sich nur entschieden und zugreifen – und dann werden sie glücklich.
Elfie und Sölde vergleichen die Informationen, die über ihre Smartphone flackern. Das Quartier schiesst mit elektronischen Appetitanregern aus dem Essbreich aus allen Rohren und setzt zuweilen urige Hinweis auf irgendein Produkt dazwischen, von denen die beiden Frauen nicht recht wissen, warum ausgerechnet sie mit dieser Information beehrt werden.
Sie haben den Eindruck, dass sie mit so viel Werbung eingedeckt werden, wie es Leute nicht auf der Strasse hat. Sie kommen flüssig und ungehindert vorwärts, bleiben hier und dort stehen. Staus gibt es nur wenige. Die Personen, die kreuzen und überholen, lassen ihnen mehr Raum für ihre Bewegungen als die Werbeflächen, welche auf Bildschirmen in schnellem Takt aufeinander folgen.
Elfie und Sölde lassen sich jedoch von all den Botschaften nicht beeindrucken. Denn sie wissen genau, wonach ihnen steht. Nicht nach Magenwandkleckserei an einem Schnellimbissstand oder nach einem Bargequassel mit zwei Unbekannten an einer Theke. Sie suchen vielmehr etwas Festeres, das den Blick der Männer auf sich zieht. Dazu taugt eine Wundertüte aus dem Fast-Food nicht. Zu einem Drink dazu wollen sie sich, wenn schon, einladen lassen, aber das erst später am Tag.
Selbstbewusst haben die beiden Freundinnen ihren Entscheid längst gefällt. Es ist ihnen danach, sich an dem Tag den Kopf etwas verdrehen zu lassen. Als Schraubenzieher sollen nach wie vor weder Mann noch Magen dienen. Obwohl sie noch nicht genau wissen, was es sein soll. Doch ein verrücktes Kleid? Sie setzen ihren Spaziergang durch die Strasse fort vorbei an Kanal, Briquet, Brockel, Crissy und Miknorz. Auch von Switch o bid, Sprinking, dem Spezialisten für Sprinkleranlagen, Osiris und Eoridiepe, Düne, AK, Bianco Rosso sowie Esplissite und Diderot und wie all die Geschäfte mit merkwürdigen, aber illustren Namen heissen, lassen sich Elfie und Sölde nicht vereinnahmen. Die Kummerente, NoFoodGeneration und DrinkYouDead gehen an ihnen vorbei, als ob sie deren Werbung nicht gesehen hätten
Zwischen den Verkaufsauslagen mit grossen Namen stossen die beiden Frauen auf einen kleinen Modelleisenbahnladen. Herzallerliebst ist zu sehen, wie ein Zug auf einer zwergenhaften Rundstrecke unermüdlich und fleissig seine Runden dreht. Die Lok zieht beherzt und unverdrossen fünf Wagen hinter sich her. Die Anlage weist sogar zwei Weichen auf, die abwechslungsweise den Zug einen grösseren und einen kleinen Kreis fahren lassen. Die Weichen werden automatisch gestellt.
„Typische Männerspiele“, versetzt Sölde ihrer Freundin. „Woran die nur Vergnügen haben können!“
Die beiden Frauen schauen eine Zeitlang der Bahn zu. Einige Bäume und wenige Häuser formen eine ideale Landschaft. Weitere Züge stehen neben der Anlage auf Abstellflächen und harren, versehen mit einem Preisschild, der Käufer.
„Die fährt den ganzen Tag im Kreis herum. Die Eisenbahnfreaks hätten eine bessere Bahn bauen können. Mit einer Brücke und einem Bach. Das hätte das Ganze etwas aufgelockert“, stellt Elfie nonchalant fest.
„Die Männer sind mit wenig zufrieden“, meint Sölde.
„Mit so etwas könnte ich mich also nicht den ganzen Tag beschäftigen. Ich würde dabei dumm. Immer im Kreis fahren. Das ist wirklich nichts für mich.“
„Du könntest eine komplizierte Bahn bauen.“
„Nur damit die Männer sagen können: Die Frauen sind kompliziert. So weit wird es noch kommen. Ich lass die Finger von diesem Spielzeug. Und überhaupt: So eine Modelleisenbahn hat es an sich, dass sie immer im Kreis herumfährt, wie viele Weichen und Brücken sie auch hat, und sich so in den Schwanz beisst.“
„Da ziehen wir schon einen anderen Schwanz vor.“
„Jetzt werden wir auch noch tiefenpsychologisch und dies alles wegen dieser Bahn, die im Kreis fährt.“
„Mit dieser Bahn muss man es auch nicht übertreiben, was die Interpretation angeht. Eine Bahn bleibt eine Bahn, auch wenn sie sich im Kreis dreht.“
„Ein Mann will stossen, nicht drehen.“
„Und stossen muss er in eine kreisrunde Öffnung. Diese Modelleisenbahn hat so etwas Niedliches an sich, dass ich sie grad lieb haben könnte. Aber den Kopf wird sie mir nicht verdrehen.“
„Wir sind ja auch nicht auf der Suche nach einer Bahn.“
„Und auch nicht nach einem Mann. Wir wollen einkaufen.“
„Dieses Geschäft ist nicht unser Fall. Es entspricht nicht unserem Geschlecht.“
„Der Meinung bin ich auch.“
„Wenn diese Bahn einfach auf einem geraden Geleise hin und her fahren würde, würde uns das besser passen?“
„Hör jetzt aber auf. Das ist kein Erotikladen. Die Bahn konditioniert uns zu sexuellen Objekten. Komm, wir wollen weiter gehen.“
Die beiden Frauen trennen sich von der Auslage und setzen ihren Weg fort vorbei an Vega, Vaga, Distel und Kratz und kehren auch beim Humboltsternkaffee nicht ein. Sie streichen weiter durch die Strasse, die so viele Kostbarkeiten und Köstlichkeiten anbietet. Der Akzent in der Einkaufsstrasse ist aber ganz klar auf Shopping gesetzt.
Ein Schaufenster zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Ein roboterhaftes Gerät umsorgt die Schaufensterpuppen und zupft die Kleider zurecht, welche über die Kunststoffkörper gezogen sind. Auf Elfie und Sölde wirkt die Einrichtung befremdend. Nicht der Mensch richtet dieses Schaufenster ein, sondern eben dieses Ding: Roboter. Es handelt sich um ein Frauengeschäft: Kleider. Der Kleiderroboter blickt die Frauen an. Oder wenigstens das, was man an dem Gerät für einen Augenersatz halten kann.
Wie verwirrend der Anblick auch ist: Die beiden Frauen beschliessen, dem Geschäft aufzuwarten. Die Glastüren stehen weit offen. Die beiden Frauen betreten das Gebäude. Der Laden weist vom Raum her eine gewisse Tiefe auf und auch auf den Seiten verfügt er über reichlich Platz. Den Vergleich mit anderen Einrichtungen dieser Art braucht die Verkaufsstelle nicht zu scheuen.
Grosszügig ausgestattet bietet sich die Stätte zudem den Besucherinnen an. Nicht so wie eine Billigwarenkette, die ihre Auslage direkt und praktisch-billig in Liefercontainern feil hält, welche auf den Boden gestellt sind. Der Ort, den Elfie und Sölde betreten haben, ist reich mit Neon, Spotlampen und Ledlichtern ausgestattet, die in ganz verschiedenen Formen von der Decke herunter hängen und unterschiedliche Gestalten imitieren: Stilisierte Frauen und Männer, obwohl in dem Laden, so machen es die beiden Freundinnen sehr schnell aus, keine Männerkleidung angeboten wird.
Den beiden Frauen fällt nicht sofort auf, dass keine Lautsprecherstimme sie am Eingang begrüsst. Sie sind absolut unkommentiert in das Geschäft getreten. Das breite Panorama an Leuchtfiguren in allen Farbe des Regenbogens heisst sie Willkommen, lautlos.
Eine Mannequingruppe aus Schaufensterpuppen nimmt am Eingang Elfie und Sölde auf. Bewegungslos harren die Gliederpuppen der Eintretenden. Die regungslosen Gestalten geben bereits einen ersten Eindruck davon, was die Frauen an Freuden der Mode in diesem Geschäft erwarten können. Elfie und Sölde lassen die Gruppe links liegen und treten in den grossen Verkaufsraum. Die Wege sind diagonal angelegt.
Zu beiden Seiten der Laufstrecken machen die beiden Frauen ein grosszügiges Angebot an Kleidern aus. Etwas im Hintergrund erblicken Elfie und Sölde eine Südseeecke. Stoffpalmen und ein Sonnenschirm sowie diverse Liegestühle bilden das Inventar der Wellnessecke. Eine künstliche Sonne erstrahlt über dem Ort. Ihr Licht wirft eine leichte Bräune auf jene Körperteile von Puppen, welche von Stoff nicht bedeckt sind.
Dieser Ecke schenken die beiden Frauen vorerst keine weitere Aufmerksamkeit. Sie wenden sich dem Angebot zu, das fein säuberlich an Kleiderbügeln aufgezogen, jeder ein anderes Kleid das Seine nennend, die Kleiderständer füllt. Die Kleider hängen nicht dicht auf einander. Der Griff in die Auslage hinein wird nicht behindert. Die bereit gestellten Blusen und Hemden lassen sich gut auseinanderschieben. Elfie und Sölde stöbern in den Stoffen herum.
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Auf einer der Chaisen, welche die Puppen nicht besetzen, können Elfie und Sölde durchaus Platz nehmen.
Auf Regalen liegen weitere Textilien. Die Ablageflächen sind in schicke Ausstellmöbel eingefügt. Die Auswahl umfasst eine kleinere Kollektion erlesener Garderobe, die jedoch derart kunstvoll ausgelegt ist, dass Elfie und Sölde es gar nicht wagen, diese anzurühren. Sie wünschen, dass jemand zur Stelle ist, um ihnen die Kleinod zu präsentieren. Sie blicken sich um und ihnen fallen die Stühle auf, die da und dort, auch in Gruppen, über den Raum verteilt sind.
Zum Erstaunen der beiden Damen haben auf den Sitzgelegenheiten bereits einige Vorführpuppen Platz genommen. Sie haben sich von der Gruppe am Eingang abgesondert und bevölkern den Raum. Sie sehen aus, als warteten sie darauf, dass Kundinnen sich zu ihnen setzen, um ein Schwätzchen über Mode und das, was man heute so anzieht, zu wagen.
Auf einer der Bänke oder einer der Chaisen, welche die Puppen nicht besetzen, können Elfie und Sölde durchaus Platz nehmen. Solcher ist genug vorhanden. Auf einen Schwatz mit der Puppe wollen sich die beiden neuen Kundinnen im Augenblick jedoch nicht einlassen. Elfie und Sölde fragen sich, ob die Dinger Töne von sich geben, wenn man sich neben sie setzt. Eine Diskussion sogar möglich ist über etwas Anderes als Mode.
An dem Ort lässt sich der akustische Platzhirsch von der Decke nicht vernehmen. Sölde befürchtet darum, dass die vermutlich automatisierten Puppen mit unseligen Ratschlägen über sie als zwei zögernde Kundinnen herfallen könnten, gesellten sie beide sich zu einer der Puppendamen.
Auf dieses Liebesgesäusel verzichten Elfie und Sölde vorerst. Sie müssen sich erwiesenermassen auch keine Sorgen darüber machen, dass sie sich in diesem Geschäfte die Beine in den Leib treten. Sitzmöglichkeiten gibt es genug, sollten sich die beiden Damen ausruhen wollen.
Aus Erfahrung wissen Elfie und Sölde, dass sie über ein gutes Stehvermögen verfügen. In so manchem Geschäft haben sie schon Stunden verbracht und sind endlos den Auslagen entlang geschritten, ohne dabei etwas Geeignetes zum Anziehen zu finden oder vor Müdigkeit oder Ermattung und mit schwachen Beinen umzufallen.
In diesem Geschäft ist alles anders. Obwohl auch hier das Angebot breit ist und neben teuren Bademänteln Ausgehanzüge hängen, wertvollere Stücke gar hinter Glas gesteckt sind. Zu den Vitrinen haben vermutlich alleine die Verkäuferinnen und Verkäufer den Schlüssel, obwohl von der Berufsspezies weit und breit nichts auszumachen ist.
Vielmehr bewegen sich merkwürdige Gestalten durch das Lokal. Einige Kundinnen, die vor Elfie und Sölde die Stätte betreten haben, bummeln gelangweilt durch das Geschäft. Aber nicht lange. Denn bald werden sie, wie Elfie und Sölde, die überrascht stehen bleiben und interessiert observieren, von diesen merkwürdigen Dinger angegangen.
Einige Kundinnen, welche eben erst das Lokal betreten haben, erschrecken sichtlich, wie diese Wesen vor ihnen fast urplötzlich und aus dem Nichts als Zombiegestalten auftauchen, und erwehren sich in einer ersten Reaktion derer Zudringlichkeit. Andere schicken sich, von der Situation überrascht, unvoreingenommen in ihr Los und vertrauen sich den seltsamen Gesellschaftern freudig an.
Die mobilen, agilen Objekte wirken in dem Shop wie Zecken, die in die Zivilisation versetzt sind. Mit verschiedenen Armen greifen sie um sich, halten sich wunderbar im Gleichgewicht und stossen an keinem Gestell an.
Sie sollen offensichtlich den Geldbeutel des Geschäftsinhabers mächtig füllen, dies allerdings nicht als Langfinger, sondern vielmehr mit ihren langen Fingern die Kundinnen ködern. Die Sache ist wirklich wunderlich anzusehen. Die Gestelle bewegen sich emsig nicht auf Rädern oder Füssen fort und schieben sich auch nicht auf vier oder sechs Beinen vorwärts. Die Geräte gleiten nicht, sondern hüpfen, staksen vielmehr auf einem, wie es wirkt, gut durchdachten Federsystem, was ihnen einen wippenden Gang verschafft, durch die Gänge und zwischen den Ausstellflächen hindurch. Ein Roboterhirn sorgt augenscheinlich dafür, dass die Gebilde ihre aufrechte Position halten können.
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Das erstaunliche System hält die Balance und verhindert den Sturz.
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lfie und Sölde schauen gebannt zu, wie die Apparate nicht vornüber kippen oder sich zu weit nach hinten neigen, so dass die Schräglage zu einem Überschlag führt. Das erstaunliche System hält die Balance und verhindert den Sturz. Ein solcher würde möglicherweise dazu führen, dass sich diese von Motoren getriebenen, maschinellen Schimpansen die Gelenke brechen oder, gegebenenfalls, in einer Akrobatiknummer, mit Hilfe all ihrer gerippten Arme, wieder auf ihre Stelzen schnellen würden, so dass sie weiterhin in aufrechter Position ihren Dienst zugunsten der Kundinnen leisten könnten.
Einige der schrulligen Gefährten tragen auf ihren Gelenken Kleidungsstücke und verteilen diese auf die verschiedenen Auslagen; hängen sie in Etalagen, die an verschiedenen Stellen aufgestellt und nach bestimmten Farben ausgestaltet sind. Die Kundinnen können sich in dem Haus somit gemäss ihrer Lieblingsfarbe orientieren. Elfie und Sölde blicken genauer hin und stellen mit kritischem Blick fest: Ausgestellt sind meist Stücke, die einem gehobenen Segment zuzurechnen sind.
Der Anblick der ausgestellten Waren fördert einen ganz eigenartigen Nervenkitzel. Dieser regt geradezu an, in der feil gebotenen Auswahl herum zu tasten und den Nachmittag damit zu verbringen, die Neugier und den eigenen Sinnesrausch zu befriedigen. Dieser Freiheit stehen aber die Roboter entgegen, welche die Aufmerksamkeit der Kundinnen von der ausgestellten Ware auf sich lenken und für sich ausnehmen, obwohl sie nicht als attraktiv ausgestaltete Verkäufer daherkommen, den Damen beratend zur Seite zu stehen.
Das geschieht auch mit Elfie und Sölde. Zwei der Dinger bewegen sich geschickt auf die Neuankömmlinge zu und richten dabei ihre eigene Höhe auf die Gestalten der beiden Frauen aus. Die beiden eigentümlichen Gesellen schrauben ihr ganzes Gehwerk etwas hinauf, um so mit den beiden Frauen auf Augenhöhe zu stehen – soweit von Augen gesprochen werden kann: Zwei Linsen machen die Frauen im Bereich aus, der bei den angetrabten Mechanikhüpfern als Kopf bezeichnet werden kann.
Das Biroboter-Gebilde hält wenige Handbreit vor den beiden Damen an und vollführt einen leichten Knicks, der charmant anzusehen sein soll, aber an der eher rigiden Mechanik doch scheitert. Die Gelenke knirschen nicht. Diese müssen gut eingeölt worden sein.
Die Geschöpfe wirken auf Elfie und Sölde seltsam ordinär, ohne Schick und Charme, geradezu verklemmt in ihrem Stoffreichtum und den steifgelenkigen, kullernden Mechanikgliedern, die ihnen ermöglichen, sich zu bewegen.
Es fehlt nur noch, dass die beiden Geschöpfe nach ihrem förmlichen, aber unreifen Knickser den beiden Frauen zur Begrüssung ihre mechanischen Hände reichen. Elfie und Sölde wären vor Schreck umgefallen, wie sie sich nach der Begegnung beichten.
Schon dass die beiden Gestalten ungefragt in ihren Nahbereich dringen – bei Männern hätte dies zu einer schallenden Ohrfeige als direkt ausbezahlte Münze geführt – lässt die beiden Frauen für einen Moment verdattert stehen.
Sie staunen an, was auf sie heran getreten ist und sich vor ihnen aufbaut, sich vor sie platziert. Plastik oder Blech – Elfie und Sölde machen nicht aus, aus welchem Produkt die Gerüste geschaffen sind, die die beiden Ladenboten stabilisieren und aufrecht halten.
Die Tücher, die sie einkleiden, wirken merkwürdig genug. In Streifen geschnitten hängen diese lose über die Kunststoffflächen der Roboterkörper hinab. Auf der Höhe dessen, was beim Menschen Taille genannt wird, werden die Bänder durch einen Gurt am Leib zusammen gehalten. Oben sind die Stoffstreifen zu einer Einheit zusammengeführt und über den Schultern festgezurrt.
Wenn die Roboter ihre Haltung verändern oder dahin schreiten, schwingen die Gewänder leicht mit. Die locker gesetzten Stoffstücke lassen viele Zwischenräume offen. Sie öffnen und schliessen sich im Rhythmus der Bewegungen. Aus der luftig gehaltenen Kleidung treten mehrere Greifer heraus, die sich im Augenblick jedoch in Ruheposition befinden.
Offenbar haben sich die Macher dieser beiden Burschen bei der Gestaltung der Bekleidung am Outfit der Narren von anno dazumal inspiriert. Die Farben der beiden Geräte kommen jedoch nicht bunt daher. Sie sind vielmehr unifarben gehalten. Der eine der beiden Gesellen, die sich Elfie und Sölde präsentieren, ist orange gewandet. Der andere ist in Grün gekleidet.
Und die Dinger können sogar reden. Was in den anderen Geschäften von der Decke klingt, kommt bei den beiden Geschöpfen aus Lautsprechern, die irgendwo in die Geräte eingebaut sind. Es tönt nicht anders als das, was die Frauen bisher gehört haben.
Der eine Roboter wendet sich mit dem bekannten Spruch an die Frauen, den diese bereits in anderen Geschäften gehört haben. Auch dieses Haus kennt schon ihre Namen. Der zweite Roboter gibt hingegen die seltsame Aussage wieder: „Ich wir ihr sie du ich.“ Und damit hat es sich.
Erstaunt verharren die beiden Frauen. Das Programm, das den Roboter steuert, hat offenbar Startschwierigkeiten. Sölde kann sich nicht zurück halten und bemerkt: „Er ist schüchtern.“
Elfie, geistesgegenwärtig, ergänzt: „Es ist eine Masche.“
Der erste Roboter meint nur: „Ich stelle mich vor. Ich bin Robokök Elf.“
Sein Begleiter fügt an: „Ich bin Robokök Dreiundzwanzig.“
Sölde erklärt kurz und bündig: „Ihr kennt uns ja bereits. Wir zwei brauchen uns also nicht vorzustellen. Aber ihr zwei seid seltsame Gesellen. Was wollt ihr von uns?“
Die Roboter nehmen den Faden sofort auf. Elf gibt zur Antwort: „Wir zeigen euch das Geschäft.“
Und Dreiundzwanzig fragt: „Wonach steht euer Wunsch?“
„Das ist doch etwas zu ungeschickt gefragt“, fährt Sölde das vor ihr stehende Gerät an und setzt hinzu: „Kleider natürlich! Wonach denn sonst! Für Kleider sind wir hier. Zeigt uns also endlich diese Kleider, die zu uns passen und vor allem: Die auch passen! Kleider machen Leute. Den Spruch habt ihr sicher auch schon gehört. Macht uns zu Frauen.“
„Wir werden das tun“, kommt es von Elf zurück.
„Sind wir euch denn nicht schon Frau genug?“, wirft Elfie dreist ein.
„Wir haben eine grosse Auswahl an Kleidern“, weicht Dreiundzwanzig aus.
„So viel wollen wir aber hoffen!“, ereifert sich Elfie weiter.
„Die Kleider haben verschiedene Farben“, bemerkt Elf.
„Und verschiedene Schnitte“, sagt der Andere.
„Ihr überbietet euch geradezu in Angeboten. Dies macht uns zuversichtlich, dass ihr tatsächlich etwas habt, das mehr ist als eure schönen Wort, von denen ihr im Angebot so viele habt“, spottet Sölde.
„Ich verstehe nicht“, sagt Elf.
„Auf gut Deutsch: Wir sind nicht hier, um mit euch zu palavern, sondern um Kleider anzuprobieren, die wir dann nicht kaufen werden. Das wollen wir. Mehr steckt für uns nicht drin und auch für euch nicht.“
„Wollt ihr uns in Kleider stecken?“, fragt Dreiundzwanzig.
„Nein, umgekehrt“, versetzt Sölde.
„Was ist umgekehrt?“, lautet die nächste Frage von Dreiundzwanzig.
„Nichts ist umgekehrt“, erwidert Elfie, um das leidige Gespräch abzubrechen. „Wir wollen ganz einfach nur Kleider und werden jetzt ganz brav zuhören. Was habt ihr uns zu sagen?“
„Wir zeigen euch unsere Auswahl. Wir haben noch nichts ausgewählt. Wir haben noch nichts von den Gestellen genommen. Das werden wir euch zeigen.“
„Wunderbar durcheinander gebracht eure einstudierten Sätze. Wir haben aber verstanden, worum es geht“, quittiert Sölde die Aussagen. „Und wo beginnen wir?“
„Kommt bitte mit uns“, erklärt Elf. Er dreht sich um und Dreiundzwanzig folgt ihm auf dem Fuss, vielmehr auf der Stelze, mit der Aufforderung: „Folgt uns bitte.“
Elfie und Sölde schliessen sich den beiden binären Verkaufswerkzeugen an. Diese stolpern, hopsen, staksen und hüpfen an den Auslagen vorbei, als ob sie sich nach dem Vorbild hoppelnder Hasen fortbewegen würden, bleiben zuweilen vor diesem und jenem Gestell stehen, nehmen ein Kleid heraus und hängen es wieder ein. Sie scheinen unschlüssig darüber, was sie den Damen zur Probe anbieten sollen.
Fast wirken die beiden menschtechnikhybriden Assistenzgenossen, als wollten sie sich vor ihren beiden Begleiterinnen produzieren; als würden sie sich wie zwei menschliche Verkäufer gebärden, die sich aus Eitelkeit Pomade ins Haar gestrichen haben und mit lackierten Schuhen im Geschäft umher stolzieren, wenn auch sehr holpernd und wenig putzig. Mit ihrem kauzigen Verhalten verhelfen sie den Damen nicht zu heilsamen Ideen, welche sie von ihren marternden Kleiderproblem befreien, die dazu führen, dass Elfie und Sölde von einem Geschäft ins andere pilgern.
Das ist etwas übertrieben. Probleme mit ihren Kleidern haben die Frauen keineswegs. Sie wollen nur welche anprobieren. Doch die beiden technischen Kobolde wetteifern erfolgreich untereinander in ihrem Unvermögen, den beiden Damen behilflich zu sein. Es geht einfach nicht vorwärts.
*
Die beiden Frauendiener halten sich mit Angeboten zurück und wirken gar, als würden sie ziellos um Elfie und Sölde herum schwadronieren.
Elfie und Sölde schauen den beiden menschengeschaffenen Gliederfüsslern zu, wie sie wieder an einem offenen Kleiderschrank herum fummeln und Wäsche verschieben, die dazu gedacht ist, als erste Schicht über den Leib gezogen zu werden, also unter den andern Kleidern zu liegen hat. Die beiden Gefährten kommen zu keinem Entscheid, ganz so, als hätte sich in den Rechnerprogrammen, welche ihre Bewegungen kontrollieren und koordinieren, leiten und manövrieren, ein Fehler eingeschlichen, der die maschinenbetätigten Arme der armen, computergedeichselten Wesen in nutzlosem Leerlauf rotieren lässt.
An den zaudernden Robotern, die etwas hilflos in den Kleider herumschaufeln, vorbei blicken Elfie und Sölde in den Verkaufsraum. Im Geschäft herrscht Geschäftigkeit. Zwei Frauen leisten sich einen Schwatz. Um Verkäuferinnen handelt es sich nicht. Menschliche Wesen, die sich im Geschäft als Angestellte entpuppen könnten, identifizieren die beiden Ladenbesucherinnen nicht unter all den Damen, die kommen und gehen.
An anderem betriebseigenem Personal als den beiden kleiderkramenden Un-Wesen können sich Elfie und Sölde nicht wenden, um sich auf diese Weise von den beiden ausweglosen, sie antichambrierenden Gesellen zu befreien.
Die vier befinden sich im Augenblick in einem Teil des Geschäfts, in welchem kontrastreiche Kleider ausschliesslich in den Farben Schwarz und Weiss angeboten werden. Wände, Säulen, Decke und Boden stehen nicht in stilistischem Widerstreit zur ausgestellten Ware, sondern übernehmen die eingeschränkte Farbwahl, so dass den beiden Kundinnen fast Schwarz und Weiss vor den Augen wird und nur die beiden Roboter als orange und grüne Farbflecken vor ihren Augen herum tanzen. Fürwahr! Von den Formen der ausgestellten und auf Laden, Pritschen und Tablaren ausliegenden Kleidern nehmen die beiden Damen fast nichts wahr.
Wie sollen sie sich ein Urteil über die angebotenen Kleider bilden, wenn sie diese nicht selber anfassen können? Dem Roboterpaar kommt die Aufgabe zu, den beiden Frauen ausgewählte Kleider zu überreichen. Die beiden Frauendiener halten sich jedoch mit den Angeboten zurück und wirken gar, als würden sie etwas ziellos um Elfie und Sölde herum schwadronieren; als seien die binär gesteuerten Ladenwärter durch die beiden singulären Schattierungen leicht verwirrt, die an diesem Ort den Raum dominieren und die Zusammensetzung und somit Aussage eines Strichcodes vorgaukeln.
Elfie und Sölde suchen nach einer Lösung. Die beiden Verkaufsgehilfen erschöpfen sich derweil in ihrer weiterhin ergebnisoffenen Suche nach dem geeigneten Kleid, in welche sie die Frau stecken können. Nichts fruchtet! Der Laden treibt den zwei munteren Gesellen keine geeignete Hülle in die eifrigen Greifer, die nach allen Seiten nach möglichen Stücken für die Anprobe angeln und die Wahl sofort wieder rückgängig machen, indem sie das ergriffene Kleidungsstück wieder an seinen Platz zurück legen.
Die beiden umherirrenden Kleidergreifer werden auf einmal ruhig. Sie haben offensichtlich einen Entscheid gefällt, kommen auf die beiden Damen zu und verkünden: „Wir haben einen Vorschlag.“
Sölde nickt und spricht: „Oh, dann legt zu. Wir sind ganz Ohr und wir sind auf alles gefasst. Schlagt zu. Uns haut es nicht um. Wir sind standfest.“ Elfie enthält sich eines Kommentars.
Robokök Elf erklärte Folgendes: „Für besonders ausgelesene Kundinnen haben wir ein spezielles Angebot.“
„Das muss ja etwas ganz besonders Tolles sein! Von euch haben wir noch keinen Satz von solcher Länge gehört“, platzt Sölde heraus.
Kühl gibt der Roboter zurück: „Ihr braucht uns nur zu folgen.“
„Wohin?“, erkundigt sich Elfie.
Robokök Dreiundzwanzig liefert die Antwort: „Ihr müsst einfach mitkommen.“
Doch Elfie beharrt auf mehr Informationen und schiebt darum die Frage nach: „Was versteckt ihr dort?“
Und Sölde ironisiert: „Nicht doch Kleider! Die haben wir schon hier. Wir brauchten also nicht mit euch zu gehen.“
Robokök Elf gibt lediglich zur Auskunft: „Wir liefern einen besonderen Service.“
Elfie schaut das Gerät mir krausem Blick an und meint scheel: „Müssen wir uns dort ausziehen? Wir werden an dem Ort ganz sicher nicht als eure Liebesdienerinnen zur Verfügung stehen, weder für Videos noch für das Testen von Geräten irgendwelcher Art.“
Robokök Elf gibt eine sibyllinische Antwort: „Kleider ziehen sich auf der Haut aus.“
„Es geht aber nicht unter die Haut?“, will Sölde, hartnäckig nachhakend, wissen.
„Wir gewähren den besten Service“, verkündet als weitere Phrase der Roboter.
Sölde lässt nicht nach: „Was kostet uns der Spass, abgesehen davon, dass wir euch aushalten müssen?“
„Der Service ist gebührenfrei“, antwortet aus dem Roboter die Stimme, die jener eines Menschen gut nachgemacht ist.
Sölde lässt sich vom schönklingenden Mann in der Gestalt des Roboters nicht beeindrucken und bohrt weiter: „Müssen wir etwas leisten?“
„Die Leistung erbringen wir“, kommt es vom Roboter zurück.
Noch einmal interveniert Sölde mit einer Frage: „Einen Haken wird es aber bei der Sache haben. Welchen?“
Der Roboter gibt lediglich, wie gut einstudiert, zur Antwort: „Wir hängen die Kleider auf.“
Erneut ergreift Sölde das Wort: „Also, wenn das so ist, dann riskieren wir wirklich nichts. Gehen wir hin?“, ergänzt sie zu Elfie gewandt.
Diese fragt nun ihrerseits: „Wir werden aber nicht zerfleischt?“
Der Roboter antwortet mit einer absoluten Standardfloskel, die er als aufmerksamer ChatGPT-Adept gut einstudiert hat: „Ich verstehe die Frage nicht.“
Elfie gibt sich geschlagen und versetzt nur: „Dein Kumpel wird die Frage ebenso wenig verstehen.“
Sölde spart sich weitere Anfragen und teilt den beiden Computer gesteuerten Geräten mit: „Euch ist nicht zu helfen. Wir werden aber dafür sorgen, dass ihr uns helfen könnt. Was denkst du Elfie, sollen wir denen folgen?“
Die Angefragte meint: „Dämlicher als hier werden sie sich dort wohl kaum gebärden.“
Robokök Dreiundzwanzig klärt auf: „Wie bedienen Damen.“
„Das wissen wir inzwischen auch“, entgegnet Sölde.
„Damit ihr das nicht länger zu sagen braucht, werden wir euch folgen“, schliesst Elfie die verbale Auseinandersetzung mit den beiden in Kunststoff gegossenen und mit Drahtnerven versehenen Androiden. Diese setzen sich darauf gemäss ihrer bekannten Art in Bewegung. Die Frauen folgen ihnen.
*
Sie folgen den Robotern, die ihren Pferdefuss hoffentlich nicht dazu benutzen, um als Mephistos wehrlose Mädchen weiss wohin der Teufel zu entführen.
Der Zug steuert vorbei an mehreren Kundinnen, die überrascht dem Vierergespann nachblicken, auf den hinteren Teil des Geschäftes zu. Zielstrebig ziehen die binären Werkzeuge menschlicher Schaffenskraft ihres Weges, stoppen nicht rechts, nicht links, wahren ihr Gleichgewicht, stolpern nicht vorwärts, kippen nicht zurück, greifen nicht nach Kleidern oder sonstiger Ware, die der Ausschmückung der Frau dient, und halten die Waage zwischen Seriosität, Komik und Tragödie.
Auf die Technik gekommen erachten sich Elfie und Sölde. Sie fragen sich, ins Schlepptau genommen durch die beiden Bekleidungsgringos, gehalten fast wie Hunde an der Leine, was wohl des Pudels Kern sein werde. Maschinen als neue Masche der Modeindustrie haben sich ihrer angenommen. Wesenslose Gefährten, die das Sagen haben und darüber bestimmen, was die beiden Frauen tun sollen. Technik, die den Menschen vereinnahmt und der zwischenmenschlichen Unterstützung entbindet.
Was wäre, wenn eine der beiden Frauen sich allein der Halbwelt dieser Halbleiter anvertraut hätte? Elfie und Sölde befinden sich jedoch gemeinsam unterwegs, annektiert und in Besitz genommen durch die beiden pneumatischen Gebilde. Im Grunde verkündet der aktuelle Werdegang der Einkaufstour eine triste Botschaft, nämlich die, dass sich die beiden erwachsenen Frauen wie zwei junge Mädchen den Maschinen hingeben, getrieben von einer unschuldigen Neugier und auf der Suche nach einem Abenteuer mit unsicherem Ausgang.
Nicht alle im Laden wagen den Gang ins Ungewisse. Elfie und Sölde machen Frauen aus, die ganz unbegleitet im Geschäft ihres Weges gehen. Offenbar haben sich diese ihres Roboters entledigt oder haben diese die Frau noch nicht gefunden. Die uneskortierten Kundinnen stöbern, für sich gelassen, in den Stellagen herum und signalisieren auf ihre Weise: Ich gehöre nicht dazu, will frei sein – obwohl sie sich genauso am Betrieb des Verkaufsladens umsatzsteigernd beteiligen wie Elfie und Sölde, welche sich entschieden haben, den eigen Kunstgestalten mit dem Pferdefuss zu folgen. Welche List haben diese angewandt, um ihre Begleiterinnen dahin zu bringen, dass sie gehorchen?
Etliche andere Frauen führen keinen Begleitroboter. Gehören Elfie und Sölde zu Auserlesenen, die in einen Zauberwundergarten geführt werden sollen? Der Eindruck entsteht. Sie folgen den Robotern, die ihren Pferdefuss hoffentlich nicht dazu benutzen, um als Mephistos wehrlose Mädchen in verwunschene Paradiese oder was weiss wohin der Teufel zu entführen.
Die beiden erlesenen Gesellen setzen ihren Pferdefuss viel dezenter ein! Der zweiten Bedeutung des eigentümlichen Wortes gerecht werdend, verwenden sie ihn als jenes Werkzeug, das auch Hufstäbchen genannt wird. Es dient der Pflege der Frau und somit ihrem Wohlbefinden. In den Beautysalons wird der Pferdfuss alias Nagelhautschieber gebraucht, um die Haut formschön um die Fingernägel zurecht zu rücken, sodass an den Spitzen der Finger klare Linien gezogen sind und sie nicht danach aussehen, als seien sie vom Schlag eines Pferdehufs getroffen worden. Der Nagellack kann auf eine deutlich abgegrenzte Fläche aufgetragen werden.
Der Pferdefuss als Maniküreinstrument steht also nicht für einen Tritt in den Leib, sondern für Pflege am Leib. Davon gehen Elfie und Sölde aus und überlegen nun, in welchen Teilbereich des lustvollen Einkaufens sie geschoben werden. Sie wissen jedoch nicht, wie es in jener Welt aussehen wird.
Diese Überlegungen regen die beiden Frauen an, den zwei Robotern in ihrem Lauf Einhalt zu gebieten. Die verdatterten Gesellen drehen sich auf ihren Gehgestellen sofort um. Roboter Elf fragt: „Was wollt ihr?“
Mit einem übertrieben freundlich wirkenden Gesicht nimmt Sölde die Frage auf und sagt: „Jetzt müsst ihr uns aber doch sagen, wohin ihr uns so eilig hinführt. Wir sollen euch vertrauensvoll folgen. Aber ihr setzt uns nichts ins Vertrauen, sondern schleppt uns irgendwo hin in ein ungewisses Abenteuer. Wollt ihr uns etwa doch filmen?“
„Filme machen wir nicht. Wir nehmen alles auf. Es wird aber alles gelöscht. Filme brauchen wir nur zur Analyse eurer Profile. Ich versichere es. Es wird alles gelöscht,“ verkündet Roboter Dreiundzwanzig.
„Falls ihr etwas weiter gebt von dem, was ihr von uns filmt, dann werden wir euch Wichten zuerst einmal eure lebensnotwendigen Kabel rausziehen und zweitens darauf bestehen, dass man uns die Tantiemen zustellt, die uns zustehen, und auch, dass wir unsere Erlaubnis geben zur Verwendung der Bilder, die ihr und eure helfershelfenden Techniker im Hintergrund von uns macht. Anders geht das nicht mit uns“, sagt Sölde mit Bestimmtheit.
Roboter Dreiundzwanzig erklärt sich. Der generativ vortrainierte Algorithmus formuliert: „Wir filmen nicht. Wir analysieren die Bilder. Wir nehmen diese auf. Sie werden wieder gelöscht. Es besteht kein Missbrauch.“
Elfie meint: „Das wird schon stimmen. Aber uns interessiert nicht, in welche Müllkiste ihr unsere Bilder entsorgt, sondern ganz einfach nur, wohin ihr uns jetzt führt.“
„Macht kein Geheimnis daraus, sonst machen wir ein Geheimnis daraus, ob wir euch weiter folgen werden“, setzt Sölde hinzu.
Roboter Elf antwortet: „Wir haben nichts zu verstecken. Folgt uns unbedenklich.“
„Wohin nur schon wieder, wie ihr gesagt habt?“, ironisiert Sölde.
Entsprechend antwortet Roboter Dreiundzwanzig: „Wir haben nichts gesagt.“
„Nun, dann sagt schon, wohin es geht und zwar nicht mit einer billigen Antwort, die sich auf vorwärts oder hinter die nächste Tür begrenzt. Damit geben wir uns nicht zufrieden“, beharrt Elfie.
Roboter Elf gibt Auskunft: „Wir begeben uns in einen Raum. Dort kleiden wir die Frauen ein. Männer haben keinen Zutritt. Die Damen können jederzeit gehen. Wir geleitet sie zum Ausgang. Wir halten sie nicht auf.“
„Das ist überaus freundlich geantwortet.“ Mit dieser Aussage bedankt sich Elfie bei Elf und ergänzt: „Wir sind noch gar nicht drin und schon sind wir wieder draussen, ohne dass wir überhaupt ein Kleid gesehen haben, wofür wir aber eigentlich hierher gekommen sind. So gesehen sage ich: Ihr wollt uns die Kleider vorenthalten, die ihr für uns vorbereitet oder vielmehr, filmisch aufgearbeitet, bereits ausgedacht habt.“
„Wir enthalten keine Kleider vor“, kommt die Antwort von Roboter Elf.
„Folgt uns. Wir zeigen die Kleider“, ergänzt Roboter Dreiundzwanzig.
„Ihr habt uns brav geantwortet. Also können wir euch folgen. Geht schon einmal vorwärts. Wir kommen nach“, erklärt Sölde.
Die beiden Roboter drehen sich erneut auf ihrer Achse abrupt um und hopsen auf ihre Art weiter in jene Richtung, die sie bereits zuvor eingeschlagen haben. Am Ende des Weges, der durch das ganze Geschäft führt, biegen sie scharf ab und treten auf eine Tür zu, die verschlossen wirkt. Beim Nahen der Gruppe öffnet sich diese. Elfie und Sölde machen sich darauf gefasst, einen gut ausgeleuchteten Lagerraum betreten zu müssen. Diesen Eindruck erweckt der Teil des Gangs, in welchen sie blicken.
*
„Wenn unsere beiden Begleiter sich dergestalt wie ihre Kollegen ihrer Damen unserer annehmen, dann können wir uns auf etwas gefasst machen.“
Er erstrahlt in einem besonderen, leicht grellen, aber doch matten Licht. Die beiden Frauen weichen auf den ersten Moment zurück. Es handelt sich jedoch tatsächlich um einen Gang und nicht um eine Fotofalle, welche den Frauen einige Schattenspiele vorspielt.
Die tanzenden, dunklen Flächen an den hohen Wänden wirken nicht bedrohlich. Sie erscheinen wie eine Einladung an die Kundinnen, die Sphäre der Gewänder unverzagt zu betreten. Kleider ziehen als Schattengewächse über die Flächen. Unter ihnen schreiten Schuhe in allen Formen und für alle Bedürfnisse dahin. Die Beine fehlen. Die Roben tragen keine Körper. Die Kleider ranken sich als Leiber zur Decke hinauf und fliessen in dieser zusammen. Kein Ton begleitet das Schauspiel.
Elfie und Sölde verdrehen ihre Köpfe, um die Darbietung im Detail zu erfassen. Alle Teile eines Gewandes schweben an den Frauen vorbei hinauf zum Gewölbe: keusche Garderoben, anrüchige Textilien, Socken, verschrobene Kostüme, Masken, Hüte, Gurte – welche Elfie und Sölde, wie sie sich dies gegenseitig mitteilen, an Schlangen denken lassen. „Also doch eine Verführung“, bemerkt erstere. Die Begleiterin gibt zurück: „Eine süsse, fast wie Pralinen.“
Die Schatten lösen sich auf, wie die Vierergruppe den architektonischen Durchlauf hinter sich lässt. Ein weiteres Bild tut sich auf. Lichtdurchflutet erweist sich auf einmal die neue Umgebung, in die sie hinein treten. Sie wirkt ganz sonderbar. Einzelne wenn nicht sogar mehrere oder dann bereits zahlreiche Frauen machen Elfie und Sölde aus, die sich genau aus demselben Grund wie sie beide hierher begeben haben. Allein werden sie an dem Ort ganz bestimmt nicht sein.
Verdutzt bleiben Elfie und Sölde stehen. Roboter Elf und Roboter Dreiundzwanzig erklären im Gleichton: „Wir möchten euch ins Kabinett bitten.“
Im Raum, der grösster wirkt, als er wirklich ist, findet die Einkleidung der Damen statt. Hinter den beiden Robotern treten die Frauen in das neue Universum ein. Sie schauen sich an und lachen – über das Gleiche. Das Ganze, das sie vor sich haben, wirkt doch zu komisch. Die Frauen, die liegen, sitzen oder stehen, die gläsernen Abschrankungen und mitten drin diese seltsamen, metallenen Gestalten, die würdig wie Butler dem Menschen aufwarten – das Szenarium wirkt einfach ulkig.
Dann läuft ein kalter Schauder über die beiden Frauen. „Was werden die hier mit uns anstellen“, fragt Elfie.
„Wenn unsere beiden Begleiter sich dergestalt wie ihre Kollegen ihrer Damen unserer annehmen, dann können wir uns auf etwas gefasst machen“, antwortet die Begleiterin.
Die beiden frisch angekommenen Frauen beobachten, wie eine ganze Schar von Roboten den bereits anwesenden Kundinnen mit Kleidungsstücken den Hof machen, hier und dort Hand anlegen, um den Damen behilflich zu sein und vor lauter Knicksen fast in den Beinen einbrechen.
Elfies und Söldes Lachen kann darum nur als kurzzeitiger Faktor des Abbaus eines plötzlich aufgetauchten Stresshormons interpretiert werden.
Die beiden Elfie und Sölde führenden Roboter halten in ihren Bewegungen inne. Sie reagieren jedoch nicht auf die überraschende Gefühlsäusserung der beiden Begleiterinnen, die sie selber – das Wort persönlich in diesem Zusammenhang zu verwenden, ist nicht angebracht, weil es sich bei Robotern nicht um Personen handelt – angehalten haben, mitzuhalten.
Nachdem sich die beiden Frauen beruhigt haben, setzen die beiden Roboter ihren Weg durch einen Gang fort, bei dem der Boden gespiegelt ist und der das Licht, das von allen Seiten kommt, zurück wirft.
„Ein Weltreich für Voyeure“, meint Sölde.
„Die Dame, die hierher kommt, will gesehen werden, wenn sie hereinkommt, und auch wieder, wenn sie hinaus geht“, erwidert Elfie.
„Hier lässt sich nichts verbergen.“
„Ich hoffe, dass unsere Robis uns vernünftig beistehen werden. Jedenfalls ist das hier keine Spielzeugeisenbahn, bei der man unter die Schienen schauen kann.“
„Das präsentiert sich als eine ganz ernsthafte Angelegenheit. Schau nur die Robis an. Die lachen nicht.“
Elfie und Sölde tragen ihre Haar offen. An den Ohren hängt ein diskreter Schmuck. Nichts mehr als je ein Steinchen pro Ohrläppchen. Das Haar kräuselt sich auf den Schultern und fällt leicht in den Rücken. Ihre Taschen halten sie fest in der Hand.
„Ich hoffe, dass sie uns die Ohrensteine nicht abnehmen“, sagt mit leicht besorgter Stimme Elfie.
„Wird schon nicht der Fall sein“, erklärt Sölde.
Die beiden Frauen klacken mit vorsichtigen Schritten über das Glas. „Das wirkt irgendwie peinlich, wenn wir so einen Lärm machen. Aber anders geht es einfach nicht. Diese Schuhe sind nicht dafür gemacht, damit wir mit ihnen über Spiegel gehen. Die beiden Roboter werden Gummi an den Füssen haben. Kein Wunder, dass wir die nicht hören“, lässt sich Sölde mit leiser Stimme vernehmen. Elfie schreitet wacker mit.
Die beiden Roboter geben keinen Ton von sich.
Mit grossen Augen und hoch gezogenen Augenbrauen beschauen sich Elfie und Sölde den Raum. Einige Kundinnen blicken nach ihnen. Schelmisch, verschwörerisch zum Teil, verschmitzt in den Mundwinkeln schmunzelnd. Vielsagend wissend und lächelnd. Als wollten sie verkünden: Willkommen im Reich der freien Schönen. Hier zeigt man, was man hat, und nicht, was man will!
Einige der Frauen preisen dabei ihre Formen ganz besonders und betont an und nicht die Kleider, welche ihnen die Roboter anprobieren, stehend und sitzend.
Im Kleid, das ihnen angepasst wird, gehen einige der Schönen oder solche, die sich dafür halten, etliche Schritt auf und ab und lassen sich von den Boxennachbarinnen bestaunen. Wer sich nicht zur Schau stellt, kann nicht an einem solchen Ort verkehren. Wer hier einkehrt, spart nicht mit Selbststolz und Eigenliebe, geizt nicht mit dem, was die Natur in den Körper gezeichnet hat. Hierher kommt, wer etwas auf sich hält. Obwohl, wie Elfie festhält, „wir hier eigentlich rein zufällig hineingeraten sind, im Prinzip hierher gelotst wurden“.
„Es ist aber wirklich äusserst interessant. Und sie alle schauen uns an. Wir schauen ganz einfach zurück. So einfach ist das“, antwortet Sölde.
„Die werden wir ausstechen.“
In der Brust gut gebaut und das Becken ohne Fettvorrat können sich Elfie und Sölde in dem Etablissement sehen lassen.
Diese Bemerkung kommt nicht von einem der Roboter. Vielmehr tauschen sich die beiden Frauen solcherart aus. Ihnen fällt auch auf, dass in dem Raum die Lautsprecher schweigen.
Die lichte Umgebung entspricht in keiner Weise einer Umkleidekabine. Dem Ort geht eine solche Intimität abhanden. Derart der Öffentlichkeit preisgegeben, entspricht das Areal mehr einer gesellschaftlichen Umkleideplattform als einem Ort intimen Kleiderprobierens. Viele Augen schauen nach allen Seiten hin. Männer sind dem Anschein nach tatsächlich nicht zugelassen.
Wie auf einem Laufsteg kommen sich die beiden Frauen vor, wie sie über das Glas vorwärts schreiten. Noch stehen sie nicht bereit zur Schau.
Die gläsernen Abschranken zu beiden Seiten des Gehwegs haben auch einen Vorteil, meint Elfie zu Sölde. Frau kann sich bei der Nachbarin gegenüber oder nebenan Inspirationen für die eigene Gewandung holen. Aber nie eine Kopie. Sölde ergänzt, dass das mit der Kopie nicht eintreten wird, dafür werden die Roboköks schon sorgen.
Unmengen von Kleidern befinden sich nicht in dieser Örtlichkeit. Die Anzahl ist knapp gehalten. Sie sollen als Stoffwände nicht die Sicht auf die Frauen nehmen, die sie tragen sollen. Gezeigt wird die Frau, nicht das Kleid. Dieses ist lediglich Staffage, das dem Schmuck all der sich ausstellenden Körper dient. Schick, tailliert, so dass sie jeden Leib betonen, hängen die paar Kleider an den Traggestellen oder über den Herrendienern und somit neben jenen Körpern, die sie zu zieren haben, diese somit nicht bedecken, sondern deren Haut zur freien Begutachtung feil bieten.
Es ist ein Kommen und Gehen von Robotern. Sie bringen Kleider, räumen andere weg, um sie gegen eine andere Grösse auszutauschen oder Kleiderstücke ganz wegzubringen, die von Kundinnen als absolut unpassend und somit unbrauchbar zurückgewiesen werden.
Wie ein schmaler Grundton liegen die Gespräche und Bemerkungen zwischen den Ladies und den Robotern über der Umkleideebene. Das Rascheln der Gewänder schwingt leicht mit. Etwas über ein Dutzend Frauen befinden sich in der Lokalität. Jede verfügt über ihren eigenen Kleiderlieferanten. Er bedient sie, holt auf Wunsch sogar ein Getränk, das die mechanische Konstruktion anschliessend schick, wenn auch etwas schlaksig serviert.
Damit jeder Roboter von den übrigen klar unterschieden werden kann, besitzt dieser nicht eine Nummer, die ihm eingestanzt ist, sondern seine eigene Farbe. Auch die beiden, welche Elfie und Sölde begleiten.
*
„Hier gibt es nichts zu verstecken. Die Datenanalysen werden sorgfältig durchgeführt.“
Die eben eingetretene Vierergruppe erreicht schliesslich eine Stelle, wo die Roboköks Dreiundzwanzig und Elf ihrem Lauf Einhalt gebieten, stehen bleiben und sich mit allerlei niedlichen Knicksen nach verschiedenen Seiten wenden, als müssten sie die Frauen von nebenan begrüssen. Die Bemerkung folgt aus dem robotereigenen Lautsprecher in diskreter Tongebung: „Wir sind angekommen.“
„Hat dieser Platz auch eine Nummer?“, erkundigt sich Sölde.
„Ich bitte dich! Sei nicht schnippisch zu unseren Robis. Sonst werden sie uns, wenn sie sich beleidigt fühlen, aus Rache schlecht beraten. Und wie stehen wir dann vor all den Damen da, wenn unsere Roben schlecht sitzen?“
„Diese niedlichen Robis kann man nicht einmal streicheln, um sich bei ihnen einzuschmeicheln. Es fehlt ihnen ein Stück weiches Fell. Werden sie sich ein solches Stück über ihren Helmkopf ziehen, wenn wir sie brav fragen?“
„Du sollst jetzt unsere lieben Robis nicht plagen“, mahnt Elfie – und an die Roboter gewandt ergänzte sie: „Wie geht es nun weiter, Nummer Dreiundzwanzig?“
Als Antwort kommt: „Ihr dürft uns die Nummern nicht vorhalten. Wir haben sie nicht gewählt. Sie wurden uns gegeben.“
Der zweite Roboter ergänzt: „Wir tragen wunderschöne Primzahlen. Sie zeichnen uns aus. Wir unterscheiden uns von den anderen Robotern. Uns spricht man nicht mit Zahlen an. Wir haben Namen. Ich heisse Chester-Brandolf. Ich höre auf beide Namen. Chester und Brandolf.“
„Ich bin Pistel.“
Die beiden Roboter verbeugen sich kurz vor den beiden Damen. Die grünen und orangen Stoffstreifen rascheln leicht.
„Habt ihr eure Namen in der Literatur geklaut?“, fragt Elfie.
„Wir variieren die Namen. Wir bedienen zwei Damen gemeinsam. Es ist ein gemeinsamer Auftritt. Die Namen geben sich von selbst“, erklärt Robokök Elf.
„Aha, irgendein Programm bestimmt die Namen für euren Auftritt. Morgen heisst ihr vermutlich Gurk und Gark“, bemerkt Sölde
„Wir haben euch hierher geführt. Wir haben zwei Abteile reserviert. Jede von euch kann eines auswählen“, meint Brandolf.
Die Boxen oder vielmehr Karrees sind vom Boden bis zur Durchschnittshöhe, welche die Grösse eines Menschen ausmacht, mit einem voll durchsichtigen Glas eingegrenzt. Die künstlichen Abschrankungen lassen verschiedene Durchgänge offen, so dass das Betreten der Einrichtung ohne Problem von statten gehen kann und keine Umwege um irgendwelche Ecken getätigt werden müssen.
Durch das Glas sehen Elfie und Sölde ins übernächste Geviert. Dort hilft ein Roboter einer Frau ins Negligé.
„Ihr seid zu zweit. Ihr benötigt nicht zwei Kompartimente. Ihr könnt eines gemeinsames beziehen. Wir machen ein grosses. Wir nehmen eine Glaswand weg.“
Ein Kompartiment besteht im Wesentlichen aus einem eingezonten Raum, in welchem neben einem schmucken Ablagetisch und einem Kleiderständer technisch zweckmässig designte, sachdienliche Stühle stehen. Diese können in verschiedene Positionen gebracht werden. Die ästhetisch karg ausgestalteten Gebilde, welche auf Ruhe und Erholung ausgelegt sind, reduzieren sich auf wenige Elemente und werden durch Motoren bewegt. Sie stehen fest auf dem Boden und sind dem Augenschein nach nicht dazu vorgesehen, herumzufahren. Also wirklich Stühle, die leicht von einer Sitzgelegenheit zu Liegen umfunktioniert werden können und vor Ort bleiben.
Diese Einrichtungen mit einem Zahnarztstuhl zu vergleichen, an welchen herabklappbare Armstützen befestigt sind und deren Lehnen abgesenkt werden können, so dass der Arzt bequem seine Instrumente von oben in den weit geöffneten Mund und das blossgelebte Gebiss einführen kann, würde von einem schlechten Geschmack zeugen, meint Sölde.
„Diese Dinger scheinen nach allem Seiten hin bewegt werden zu können. So etwas gibt es beim Zahnarzt nicht. Beim dem geht der Stuhl nur nach hinten ab. Wir beide nehmen natürlich gemeinsam ein Kompartiment. Wir zwei haben nichts voneinander zu verstecken“, erklärt Elfie
„Nun, wie ich mich jetzt so umsehe, muss ich sagen: Wir sind in eine schöne Kleiderklinik hinein geraten“, konstatiert Sölde.
„Hier gibt es nichts zu verstecken. Die Datenanalysen werden sorgfältig durchgeführt. Der Datenschutz wird gewährleistet. Kein fremder Einblick in diesen Raum wird gewährt. Dafür sorgen wir. Alle Daten werden nach dem Besuch gelöscht. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen können auf Wunsch eingesehen werden. Das ist aber nicht nötig. Jede Kundin wird zufriedengestellt. Die AGB mussten nicht geändert werden.“
„Was erzählt der da für einen Unsinn. Wir sind nicht hierher gekommen, um Abkürzungen zu kaufen, sondern wollen Kleider anprobieren.“
Brandolf, Robokök Elf, unterbricht sofort: „Robokök Dreiundzwanzig, die beiden Kundinnen benötigen die AGB nicht.“
„Stimmt. Die Kundinnen nehmen die Kompartimente 25a und 12b. Zwei stehen zur Verfügung. Sie beziehen sie gemeinsam. Sölde Trauschb und Elfie Xorane nehmen eines gemeinsam. Die Kompartimentsgrenze muss aufgehoben werden. Wir machen aus zwei eins. Wir entfernen die Trennwand. Wir entfernen keinen Tisch. Wir rücken die beiden Stuhlliegen zueinander. Vielleicht wollt ihr das? Wir führen euren Wusch aus.“
Elfie und Sölde halten an ihrem Wunsch fest. Sie wollen gemeinsam an der Kleiderprobe teilnehmen.
Die beiden Roboter machen sich an die Arbeit, treten an die gläserne Abschrankung heran, welche die beiden Abteile trennt. Aus den Zwischenräumen der Stoffstreifen, welche die beiden mechanischen Gebilde tragen und ihre pittoreske, narrenhafte Bekleidung bilden, tauchen weitere Greifarme auf. Die packen die besagte Wand an.
Die Abschrankung hinaus zu führen, ist den Robotern ein Leichtes. Sie staksen, ohne die Frauen lange warten zu lassen, sogleich wieder herbei und schieben die beiden multifunktionalen Stuhlliegen zu einander, so dass sie sich nicht gerade berühren, aber doch in Sprechnähe zueinander befinden. Die Roboter belassen die „Stuhlliegen“ in Sitzposition und stellen die beiden schmalen, gusseisernen Dreifusse, die eine kleine Tischplatte aus edlem Stein tragen, neben die Liegen.
„Die Stühle sind bereit. Ihr könnt euch setzen. Wir bitten euch darum. Wir stellen euch die Kleider vor. Wir haben sie ausgewählt. Die Auswahl ist top. Nehmt Platz“, erklärt Robokök Dreiundzwanzig und weist dabei auf die beiden Hightech-Möbel, die er eben mit Hilfe seines Kumpanen zueinander geschoben hat.
Die beiden Sitzgelegenheiten bilden, ganz wie die zwei Roboköks, jede selber ein Unikat. Die Möbel sind nicht auf Uniform getrimmt. Sie variieren vielmehr in ihrer Verarbeitung. Metall und Holz sind in den Stühlen unterschiedlich eingearbeitet und miteinander verschmolzen. Auch die Form der Sitze alterniert, dies jedoch in sehr mässiger Weise, so dass die Geräte ihrer Grundfunktion nicht beraubt werden. Künstlerische, sinnliche Ambitionen haben zurück zu stehen und machen der sinnentfremdeten Zweckmässigkeit Platz.
Die differierenden Farben, mit welchen Mobiliar und Roboter in dem Laden ausgestattet sind, vermitteln den Kundinnen das Gefühl, sie würden nicht von einer Fliessbandagentur, sondern individuell betreut.
Die beiden modernen Möbelstücke sind in ihrer äusserst diskreten blauen und violetten Tönung farblich jedoch nicht auf die Roboter abgestimmt. Was macht es aus! Hierhergekommen sind die beiden Damen nicht, um ein Farbenstudium zu betreiben, beileibe nicht, sondern weil sie sich für Leib und Seele ein neues Stück Stoff, modisch zusammengefügt, besorgen möchten.
„Meine Träger schneiden mir langsam in die Schultern. Es ist wirklich an der Zeit, dass wir uns setzen“, merkt Sölde an.
„Setzen? Stehen? Davon laufen?“ Das fragt Elfie. „Wir zögern nicht und nehmen auf diesen Sitzen Platz. Da wird schon was werden, das mit Kleidern zu tun hat.“
Die beiden Frauen lassen sich auf den gewiesenen Plätzen nieder und landen ihren Körper weich auf dem vorbereiteten Polster.
„So, wir sind so weit. Ihr könnt das Material bringen“, verkündet Elfie.
„Nur nicht zu schnell!“, erklärt Robokök Elf und fügt an: „Elfie Xorane, wir haben etwas Gemeinsames. Wir haben fast die gleichen Namen.“
„Tut nichts zur Sache“, meinte Sölde, bevor Elfie überhaupt reagieren kann.
Diese antwortet darum mit einem kleinen Moment Verzug und schnippisch: „Nur dass mein Name ein Name ist und deiner eine Nummer. Ich will nicht mit dir gleichgesetzt werden. Schliesslich musst du mich bedienen und nicht ich dich.“
„Dazu bin ich Ihnen zugeteilt.“
„Nun, mach es nicht kompliziert. Schalt auf du.“
„Wir sind angehalten zu siezen. Wir arbeiten. Wir probieren Kleider an. Wir bringen Kleider herbei. Wir nehmen uns Zeit. Sie läuft uns nicht davon.“
„Na, dann halte an und duzte mich. Es tönt oberdoof, wie du zu mir sprichst. So kann kein Vertrauen wachsen und die Kleider werden nie sitzen.“
„Wir erfüllen die Wünsche der Kundinnen. Das ist unser Auftrag.“
„Führ ihn also aus, deinen Auftrag.“
„Das tun wir. Gewissentlich.“
„Und wir, was sollen wir? Sitzen bleiben?“
„Es wird nicht geschwatzt. Es wird gebracht“, fordert nun Sölde unmissverständlich.
„Die Damen müssen nicht davon laufen. Wir kümmern uns um euch. Wir haben eure Masse aufgenommen.“
„Laserblick, was?“
„Wir verfügen über präzise Instrumente. Wir verletzen niemanden. Auch wenn wir ihn ankleiden. Die Fussgrösse haben wir gemessen. Die Schrittlänge haben wir gemessen. Die Konfektionsgrössen haben wir aufgenommen. Die Gesamtgrösse kennen wir. Wir wissen alles.“
„Also, wenn ihr alles wisst, dann können wir uns beruhigt zurück lehnen und uns eure Vorschläge anhören.“
Die beiden Maschinen, wie die Dinger vulgär genannt werde können, tätigen ihre Sprünge, umkreisen die beiden Kundinnen, tun, als würden sie diese genau beobachten, als ob sie deren Masse noch nicht aufgenommen hätten. Die beiden Roboter schwenken dabei die Arme nicht. Die beiden mechanischen Arbeitstiere haben einige ihrer Greifer bereits wieder eingefahren, so dass sie nicht mehr ganz wie herumwandelnde, spinnenhafte Gerippe wirken.
Die Bewegungen fügen sich zu einem skurrilen Ballett zusammen. Dieses gemahnt an die Irrationalität moderner Kunst. Merkwürdig genug ist die Szenerie, die sich den beiden Frauen bietet und in welcher sich die beiden Roboter produzieren. Elfie und Sölde wissen nicht, worüber sie sie sich mehr wundern sollen: über die Roboter oder über das Glas. Dieses bildet in verschiedenen Ausgestaltungen den Hauptbestandteil der Dekoration, welche den Schauplatz einfasst und ausschmückt und die zwei Tänzer einrahmt.
Zahlreiche Klarsichtscheiben, die als Abteilabschrankungen dienen, gewähren bequem den Durchblick in den ganzen Raum. Spiegel an den Wänden, Spiegel, die im Raum verteilt sind, Spiegel, welch die tragenden Säulen des Gewölbes einfassen und oben an der Decke selber angebracht sind, ermöglichen die Sicht in alle Ecken des Saals und öffnen verschiedene Perspektiven: von oben herab, von unten hinauf und von den Seiten hinüber.
*
Sie lässt sich einen Schenkelstrumpf anprobieren.
Wie aus der Vogelwarte blicken Elfie und Sölde in die Abteile nebenan, wo Frauen, angetan zum Teil nur mit Mieder und Hüftwäsche, darauf warten, dass sie in die neuen Kleider schlüpfen können. Gemälde ganz verschiedener Art entdecken Elfie und Sölde. Ihr Blick streift durch den Spiegelsaal. Geleitet wird er durch die Glasrahmen und geführt durch die Linien, welche die Leiber feil geben. Die Augen streifen über die feinsten Züge, welche der Körper einer Frau bieten kann.
Zu diesen Bildnissen stellen die mechanischen Kommilitonen Brandolfs und Pistels den für ein vollkommenes Kunstwerk notwendigen Ausgleich. Die Nummerträger formen den krassen Widerpart zur Weiblichkeit, die sich darstellt. Dort steht Venus in der Muschel, hier setzt sich ein ungelenker Humanoid in Szene. C-3PO kontrastiert zu Lola. Dennoch beherrschen die Frauen die Schau, welche die Maschine ihnen stehlen wollen, und versetzen diesem skurrilen Zusammenspiel eine ganz besondere Güte. Grazil dienen die Droiden den Damen zu.
Eine der Frauen – der Weg zu ihr führt nur um drei Ecken herum – sitzt ganz unbefangen und leicht zurück gelehnt auf ihrer motorengefestigten, lederversehenen Pritsche, ein Bein angehoben, den Fuss einem Robokök ausgesetzt, ohne Schuh. Sie lässt sich einen Schenkelstrumpf anprobieren. Sie hilft ihm nicht dabei, den Nylon über Wade und Knie zu ziehen. Zwei Roboterhände führen die Arbeit am Bein aus, anscheinend ohne bei ihrer Tätigkeit die Frau zu kitzeln. Die schaut dem Gerät in vertrauensvoller Ruhe zu.
Jene Dame, die Schultern und Rücken frei hat, während der mechanisch gesteuerte Frauenbetreuer sich noch mit dem Reisverschluss des Obergewandes herumquält, wirkt mit all dem, was sie um Hals und Armgelenk trägt, wie eine teure Ware, die in einem Schaufenster aus Glas ausgestellt ist.
Elfie und Sölde schauen sich kurz an und lassen dann ihren Blick über Rücken und Beine der Dame im gegenüber liegenden Abteil gleiten. Das neue Kleid reicht nicht weit hinab und lässt viel von den Schenkeln frei. Die beiden schauenden Frauen gucken sich an, ohne ein Wort zu sagen, und lächeln sich zu. Sölde schwenkt kurz ihr Becken und Elfie tut ihr gleich, ganz so, als befänden sie sich auf einer Tanzfläche und als würden sie sich im Takt einer unhörbaren Musik durch die aufreizenden Bewegungen der anderen herumkreisenden Weiber inspirieren lassen.
Die übrigen Frauen im Raum, jedenfalls etliche von ihnen, äugen neugierig in das Revier, welche die beiden Neuankömmlinge belegen und mit ihren Bewegungen beleben; sich eigentlich wie zwei Hennen aufplustern und das Nest als kurzzeitige Königinnen des Ortes in Besitz nehmen, für einen Moment jedenfalls.
Denn die anderen Frauen, nicht minder stolz auf sich selber, stechen zurück und werfen ihrerseits ihre Körperformen ins Rund, das sie mit den Robotern teilen. Die Holden scheuen sich nicht, den Prunk ihres Leibes und seine natürliche Ausstattung zu präsentieren, ohne dabei den Neid der mechanischen, computergesteuerten Helfer zu wecken, von denen sie annehmen, dass sie weder über Gefühl und Einfühlungsvermögen, noch über Sinnlichkeit verfügen.
Deren metallenen Greifarme, büchsenhaften Bodys und staksigen Beine wirken wie stilistische Übungen eines wenig begabten Designers gesetzt neben die Linien, welche sich die Frauen gegenseitig zur Ansicht bieten.
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An dem Ort herrscht die Freiheit einer Liegewiese, auf welcher im Freiluftbad jede physische Rundung und Linie angepriesen werden darf.
Fast erwecken die Gewänder, die den Kundinnen zur Probe angeboten werden, den Anschein, als hätten die Frauen ihren Leib nicht in diese gesteckt, um sich selber zu gefallen oder um zu prüfen, ob Stoff und Schnitt zum Körper passen, sondern um die anderen Schönen mit der eigenen Ausstrahlungskraft auszustechen und diese unverhohlen zu besseren Leistungen im ästhetischen Rennen anzustacheln.
Der meisten Männer ausgewiesenes und bedeutendstes Lebensziel – Sehnsucht über Jahre hinweg, einen grossen Teil der Jugendjahre mit eingerechnet – bildet, kurz gesagt: die Frau. Eine ganze Schar dieser Repräsentantinnen von Männerträumen zeigt in dem Lokal, das durch viel Transparenz ausgezeichnet ist, den prächtigen Wuchs ihrer Figur. Da ist der entblösste Rücken der Dame im blauen Rock. Der Ausschnitt im Kleid greift tief hinab, erreicht fast die Höhe der Lenden. Auf halber Höhe, unterhalb der Schulterblätter kreuzt ein schmales Band aus Spitzen das Rückgrat und hält die beiden Flügel des Gewandes zusammen, das von den Schultern relativ lose herabhängt.
An dem Ort herrscht gewissermassen die Freiheit einer Liegewiese, auf welcher im Freiluftbad jede physische Rundung und Linie vorgeführt und angepriesen werden darf. Jeder Blick ist erlaubt, jede Blösse, die noch statthaft wirkt. Nur dass sich in dem Raum weit und breit kein Bad oder Pool befindet, in welchen die Frauen abtauchen können, um den Blicken der anderen auf den eigenen Körper zu entgehen. Der Blick der Anderen bildet das Bad. Das Wasser, die einzelnen Tropfen, welche sich im Schwimmbecken zum tragenden Substrat für die Schwimmerinnen zusammen fügen, formen in dieser Badestube all jene Granulate, welche sich in den Köpfen der Betrachterinnen zu einem reizvollen Gemälde zusammen fügen.
Für das lustvolle Bad in der Menge schöpfen die Damen, die stilvoll und körperbetont Zeugnis ihrer Schönheit ablegen, das nötige Fluidum aus den Augen ihrer Nachbarinnen. Lassen sich in diese Aura einer verschworenen Gemeinschaft eintauchen. Der Fremden Blick auf den eigenen Leib erzeugt Wärme. Kälte jener der Roboter, die als technisch ausgezeichnet gedeichselte Kunststoffpuppen den Raum abschreiten und für einen reibungslosen Service sorgen, der aber ohne wärmende Wirkung bleibt.
Die Bewegungen der Kunststoffgebilde lassen die Frauen kalt. Ganz anders dagegen die Präsenz der zahlreichen Damen, die keiner Konkurrenz durch Männer ausgesetzt sind. Das Fehlen der Männer, der Wegfall ihrer Zudringlichkeit, erzeugt unter den Frauen ganz eigene Reibungsflächen, die das Blut in die Köpfe treiben.
Elfies Blicke gehen hierhin, dorthin. Die Schulterblätter der Nachbarin erwecken Eindruck. Sie trägt kein Gramm zu viel und doch so viel Fett, dass sie nicht mager wirkt. Sie sitzt gut im Fleisch. Sie zeigt ein unbedeckte Schulter. Der Roboter heisst die Frau sich drehen. Das smarte Babydoll hängt über die Brust. Die schmalen Träger verhindern, dass das Kleid weiter den Körper hinab gleitet. Der Roboter hantiert um die Busen herum und achtet darauf, dass der Stoff die Formen der Brüste gut wiedergeben, zupft eine Falte weg.
Die Frau lässt die seelenlose Maschine gewähren. Oder ist es die Frau, die seelenlos ist, weil sie ihre Brust solcherart dem Roboter zur Verfügung stellt? Die Seele ist jedoch nicht das, was frau sucht, wenn sie sich an diesen Ort begibt. Die Transzendenz sackt ab. Andere Streicheleinheiten stehen an. Die Gegenwart steigt ein. Die Magie des Leibes hat Einstand. Alles, was die Frau ziert, ist hier zur Disposition gestellt – auch das Locken der Haare.
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Der Zehen Nägel passt der Roboter mit einem freien Arm und flinken Handgriffen farblich dem Schuh an.
Kurz und gut: Hier dreht sich alles um die Frau und ihrem Outfit. Vor ihrem Gang in dieses Geschäft haben zwei Damen, die sich drei Kompartiments weiter bedienen lassen, ihre Frisur perfekt herrichten lassen, wie Elfie mit kundigem Auge feststellt. Wer kauft schon ein Kleid, das nicht zum Haar passt! Dieses hängt ihnen offen bis über die Schultern. Zwei Roboter umschranzen die beiden Kundinnen und achten darauf, dass sich die Locken regelmässig über den Schulteransatz verteilen.
Ob es sich um auf Bestellung fertig geschnittene Blusen oder Dress von der Stange handelt, das an bestimmen Stellen noch der Form der Trägerinnen erst richtig angepasst werden muss, enthüllt die Darbietung der Androiden in jenem Abteil nicht. In der besonderen Ausarbeitung des Gewandes liegt der Stoff hautdeckend auf den Körpern. Wie ein breites Band umgibt ein Jupe das Becken der einen Dame, die andere trägt einen Rock, der bis zu den Knien reicht. Beider Beine stecken in sommerlich leicht gestickten Strümpfen. Doch gibt der Stoff, dort, wo er offenbar fertig dem Leib angepasst ist, dessen Formen in ihrer natürlichen Schönheit und seinen die Sinne reizenden Charme präzis wieder.
Zwei Frauen befinden sich – auch im Doppelpack – in einem anderen Abteil. Die eine hält sich an ihrer Freundin fest, damit sie, auf einem Bein balancierend, nicht den Stand verliert, während sich ein Roboter mit einem Schuh abquält, den er der Dame über den Fuss zu stülpen sucht. Des anderen Fusses Verse schwebt bereits, mit bedenklicher Unsicherheit und wenig Trittfestigkeit, über einem Absatz, der von einem schmalem Sporn in hoher Position im Ungleichgewicht gehalten wird. Die fünf Zehen, gekrümmt wie Klammern, suchen in der Schuhspitze Halt, ohne diesen wirklich zu finden.
Wenige, enge, mit Glitzersteinen besetzte Lederbänder halten den High Heel am Fuss der Dame fest. Der Zehen Nägel passt der Roboter dann mit einem freien Arm und flinken Handgriffen seiner Metallklemmer farblich dem Schuh an. Es sprich für sich, dass in diesem Ausstellsaal ungebremster Selbstdarbietung die Roboter auf jedes Detail zu achten haben. Alle Arme des Geräts arbeiten in perfektem Teamwork zusammen.
Derweilen hält die Freundin ihre Begleiterin, deren Fuss noch immer in die Aufmerksamkeit des Roboters eingebunden ist, fest am Arm. Dank der Hilfe fällt die Anprobierdame nicht aus ihrer aufrechter Position. Beide Damen stehen, vom Kopf bis zu den Fesseln bestens eingekleidet und zu voller Schönheit ausgestattet, bereit für den Gang in die Abendvergnügen. Die Schenkel stehen zur Hauptsache frei und die meisten Beine fest auf dem Boden. Das Paar bewahrt die Balance und der Roboter tut alles, damit die Frau, die er bedient, recht bald ihre eigene Standkraft wieder findet. Nur das mit dem Schuh will noch nicht ganz klappen und dauert an.
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Der Voyeurismus lebt an diesem Ort von Innen heraus und nährt sich aus dem Anblick derer, die sich selber ausstellen.
Ungetrübt die Neugier, die beiden eigenen Robidiener in Gedanken fürs erste beiseite gestellt, schauen sich Elfie und Sölde weiter um und verweilen beim Betrachten des Raumes. Sie werden den Eindruck nicht los, können sich dessen nicht erwehren, dass sich in diesem Saal der gläsernen Durchsicht alles dreht und bewegt und eine grosse Unruhe herrscht. Eine nonchalante Vitalität, die das Auge bannt wie den Stier der Ring, der ihm durch die Nüstern gezogen ist. Das Spektakel zieht den Blick der Betrachterinnen auf sich.
Betrachter, die heimlich von aussen auf das Geschehen blicken können, gibt es nicht. Der Voyeurismus lebt an diesem Ort von Innen heraus und nährt sich aus dem Anblick derer, die sich selber ausstellen und in die Anderen vergucken; Lust aus dem selbst genährten Vulkan der flirrenden Stimmungen schöpfen, sodass die alles beobachtenden Augen nicht an Feuer verlieren. Aus dem Erdenkreis haben sich hier die Schönsten versammelt, gekleidet mit dem, was sie noch schöner machen soll.
Göttinnen – oder sind es doch nur Königinnen, die sich an diesem Ausstellungsort ein Stelldichein geben? Die Gesellschaft bietet jedenfalls einen erhabenen und erhebenden Eindruck. Der Raum offeriert dem allgemeinen Schauen eine Modeschau wie auf einem goldbrokatenen Tablett.
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Der Anblick fällt Männer. Die Roboter lässt er kalt.
Frauen kreisen in neuem Kleid um die eigene Achse. Sie folgen dabei nicht dem Beispiel einer niedlichen Modelleisenbahn, sondern jenem eines buntgescheckten Karussells, das sich in den Lichtern eines Lunaparks munter dreht. Die Damen prüfen in den Spiegeln kurz und gründlich, was sie auf sich tragen; beschauen sich von vorn und hinten und auch von oben, indem sie in die reflektierenden Flächen über sich an der Decke blicken. Von den Schultern bis zu den Beinen lassen sie ihre Hände glättend über Falten gleiten. Grazien, die formvollendet, wie aus Marmor gehauen, ihre Kreise ziehen, um die Lust der Anderen einzufangen: Dort, in den Museen, steinern, ohne Tüll und Stoff gehalten, die den Körper verdecken sollten, so dass dieser in all seiner natürlichen Pracht nackt quasi den Museumsbesucherinnen und Besuchern ins Augenmerk rückt. Hier aber in schmuckem Dress aus verschiedenerlei Textilien und wechselnden Mustern der Kundinnen Wohlwollen und auch kritisches Auge herausfordern.
Gekleidet in feinem und zart aufliegendem Batist oder enganliegender Viskose, überbieten sich die sich selbst darstellenden Mannequins für einen Tag in ihren halböffentlichen Selbstdarstellungen und offenbaren mehr von sich als die Kunst von der Frau zeigt. Hier die Weiblichkeit in all ihrer ästhetischen Raffinesse, die in ihrer natürlichen Ausstrahlung nicht behindert wird, dort die künstliche Verfremdung eines Bildes, das sich der Mensch von der Frau macht.
Und erst, wenn die Frauen bewusst ihre Vorderfront präsentieren, als Kampfansage an ihre Konkurrentinnen! Dann steigt an mancher Stelle im Raum der Atem hoch. Natur pur! Der Anblick fällt Männer. Die Roboter lässt er kalt. Die Erscheinungen dieser Nymphen wärmt bei den Lebenden das Herz, macht den Himmel zur Hölle und diese wieder zum Himmel, so dass aufgrund der Wechselwirkung die Betrachterinnen ganz benommen vor Bewunderung hinschauen, die Rivalinnen aus Neid. Wer Beine hat, wer Haut hat, scheut sich nicht, diese zu zeigen. Die Anprobe geht einher mit dem Bedürfnis, sich zur Schau zu stellen. Auch bei den Frauen, welche etwas dickliche Schenkel besitzen. Jede Haut will Lust.
Haben die Frauen mit ihrem Rücken entzückt, Neid geweckt, Bewunderung hervorgerufen oder auch Verachtung gefunden, so lösen sie erst recht ein Erschauern des Entzückens aus, wenn sie die eigene Busenwölbung und Beckenfülle von der Vorderseite her ihrem Publikum präsentieren und dabei die Anatomie in keiner Form und Weise hinter weit geschnittenen Stoffen verstecken. Keine Pumphose deckt den Feinschnitt der verschiedenen Körperkurven ab, die im Becken zusammenlaufen. Top sind an dem Ort die Shorts, die vieles frei lassen. Wirklich kurz getragen, bereiten diese, von Shirts sekundiert, die Körper auf das Tragen der Probierkleidern vor, sofern die beiden Garderobestücke nichts bereits die komplette Kleidung bilden.
In Mini-Short und Mini-Top preist eine weitere Holde ihren Leib an – ja, die Dame, drüben, vier Licht durchlässige Trennwände entfernt, wendet und schlängelt sich genüsslich vor einem Standspiegel ihrer Grösse und weidet sich an dem Bild, das sie von sich sieht. Sie scheint beweisen zu wollen, dass sie von keinem Hexenschuss geplagt wird. Oder möglichweise geht es ihr darum, das Lendenpiercing stolz der Runde zu zeigen und zwar so, dass wirklich alle anwesenden Damen das in die Haut eingezogene Kleinod erkennen.
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Geradezu ungeheuer wuchtig wirkt die Kraft der Frauen, wenn sie sich die von Stoff nur knapp gedeckten Leisten und darüber den aus dem Bauchfett schimmernden Nabel gegenseitig als Sinnbild ungezügelter Lebenslust vorführen.
Nicht alle folgen dem Beispiel der sich im Spiegel schauenden Dame. Aber doch einige, so dass zum Vergleich verschiedener Hüften und Büsten Material reichhaltig vorhanden ist. Auch wer Kleider von Nacken bis zum Fuss trägt, macht überaus deutlich, dass die eigenen Körpermasse die Konkurrenz nicht scheuen, die Körpersprache durchaus durch die Physis bestimmt wird und auf Gefallen ausgerichtet ist.
Der Blick auf den Bauch konkurriert mit jenem auf die Brüste. Gut bestückte Oberkörper und Hüften stehen im Widerstreit, während die Augen das Mass der Taille erfassen. Geradezu ungeheuer wuchtig wirkt die Kraft der Frauen, wenn sie sich die von Stoff nur knapp gedeckten Leisten und darüber den aus dem Bauchfett schimmernden Nabel gegenseitig als Sinnbild ungezügelter Lebenslust vorführen.
Nicht Lebenskunst allein zelebrieren an dem Ort, assistiert von kalten Robotern, die Frauen. Sie feiern vielmehr die eigene Schönheit, als ob sie sich nicht in einem Geschäft einer Einkaufsmeile befänden, sondern in der angenehmen Intimität eines Wellnessbereichs, wo der Körper auch geistig auftaut.
Eines der schönen Geschöpfe streicht mit spitzen Fingern durch das Haar und spreizt die Strähnen. Der Ärmel des neuen, weiten Gewandes gleitet mit Absicht bis über den Ellenbogen zurück und gibt schliesslich den ganzen Unterarm frei. Ein Roboter legt in grosser Eile, aber mit präzisen Bewegungen einen Reif, der er bereit hält, über das dargebotene Handgelenk.
Mit grosser Nervosität bearbeitet eine weitere Dame ihr Haar. Möglicherweise ist sie über ihren Terminkalender gestolpert und sollte genau in diesem Augenblick an zwei Orten gleichzeitig sein. Oder dann ist ihr Griff nach dem Haar Ausdruck der Unzufriedenheit über die Arbeit des sie bedienenden technischen Wundergeräts, Roboter genannt, oder des Kleides, das dieser herbei gebracht hat. Elfies und Söldes Blicke und Bemerkungen lassen die Dame und den Roboter in ihrem Geviert stehen. Sie sollen ihr Problem selber lösen.
Ihre Achselhöhlen präsentiert jene Dame rasiert – im Gegensatz zu denen anderer Klientinnen. Ein Beispiel, das die beiden Freundinnen in einer etwas von ihren entfernten Ecke ausmachen, klärt sie über ein weiteres Angebot des Hauses auf: Wenn eine Kundin wünscht, dass ihre Achselbehaarung entfernt wird, verrichtet der Roboter den Auftrag gewissenhaft. Er stellt nicht in Frage, dass der Achselausschnitt als Erscheinungsbild dem Kleid angepasst werden muss.
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Der computertechnische Automat bessert auf Verlangen auch ein Kleid aus.
Mit schnellen Schnitten oder flinker Nadel bessert der computertechnische Automat auf Verlangen auch ein Kleid aus. Nur, ist der Schnitt getätigt, kann er nicht mehr rückgängig gemacht werden – im Gegensatz etwa zum Achselhaar, das nachwächst.
Sitzt der neue Schnitt nicht, muss das Kleid möglicherweise nachgebessert werden. Solch starke Einschnitte in die ursprüngliche, ästhetische Unversehrtheit eines Kostüms duldet mit Gewissheit das Unternehmen nur, wenn sich die Kundin definitiv für den Kauf des Gewandes entschieden hat und der entsprechende Kaufbetrag im System abgebucht ist.
Die Ausbesserung des Kleides auf Wunsch und die Rasur von unerwünschtem Körperhaar gehören mit zum Service, den das Haus den Kleider anprobierenden Frauen anbietet.
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Der intensive Augenkontakt mit einer begutachtenden Konkurrentin verrät mehr als der elektronisch gesteuerte Kommentar eines Robikoks.
Was sich die Frauen an Kleidern verpassen, geht in mannigfaltige Richtungen. Das Angebot des Geschäfts wird voll ausgeschöpft. Die Vielfalt ist gross, der Zweck, dem das Kleid zu dienen hat, unterschiedlich. Dort steht eine Schönheit in kurzem Jackett, Reiterhose und dazu passenden Stiefeln, drüben eine, die sich ladylight für die Ladies Night einkleidet. Selbstverliebt und bedacht auf die eigene Ausstrahlung bereitet sie ihren abendlichen Ausgang vor.
Ganz anderes die Dame, die als Grazie etwas zur Rechten steht und von der Seite her die Neuankömmlinge unter dem Augenaufschlag hindurch, und vermutlich unbedacht mit der Zunge über die Oberlippe fahrend, betrachtet. Ihr ganzer Gesichtsausdruck inszeniert eine freche und herausfordernde Geste, als deren Adressatinnen Elfie und Sölde ausersehen sind. Sie schauen mit grossem Interesse die Fremde neugierig an. Die Diva trägt ein brustbetonendes, geschlossenes Kleid. Nach den Augen mustert sie ungeniert Bauch, Becken und Taille der Neuankömmlinge, die nach wie vor unter Kleider stecken. Elf und Dreiundzwanzig haben sich noch nicht der Gewandung Elfies und Söldes zugewandt, welche, auf ihren beiden Sitzen wartend, der Dinge harren, die kommen sollen.
Die beiden lassen die Inspektion, der sie ausgesetzt sind, nicht unerwidert und messen die Fremde mit ebensolchem Eifer. Nach eingehender Musterung wenden sie sich von ihr ab.
Die Schönen stehen in ständigem Kontakt zueinander, als wäre das Urteil der Anderen eine bessere Gewähr als jenes der Roboter, die um die Frauen streichen. Der intensive Augenkontakt mit einer begutachtenden Konkurrentin verrät mehr als der elektronisch gesteuerte und geschulte Kommentar eines Robikoks. Die Raumdiven drehen und dehnen sich zuweilen leicht, zeigen die Schulter, nicht die kalte, sondern jene, die bewundert werden will; lassen ihren Auftritt von oben bis unten prüfen; lassen die Wärme, welche der Blick der Anderen erzeugt, wenn er über den menschlichen Körper streift, über die eigene Figur von oben nach unten und wieder nach oben steigen.
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Wach geworden fragt sich Elfie unwillkürlich, ob die Fremde eine Perücke trägt.
Durchaus wahr, der Betrachtung ist kein Ende: Der bauchfaltenlose Torso zeigt aufgrund des büstenhalterbewehrten Überbaus, den Frau an sich trägt, dass in der weiblichen Mode die Busen eine wesentliche Rolle spielen. Die Einbettung dieses weiblichen Attributs in das sorgsam ausgearbeitete Gewand, den Kimono oder den Rock, bildet für jeden Schneider eine herausragende Stimulans. Die Modeschöpfer liefern den Stoff für den Schönheitskampf zwischen den Frauen.
Die Schneide, die am Wirksamsten in den Körper und Stolz der Anderen hinein fährt, ist die eigene Schönheit. Das sagt sich jede Frau vor Ort. In diesem Konsens stimmen sie überein: Sie ziehen die Kleider zur Probe an, weniger um sich selber zugefallen, als vielmehr um den anderen Frauen einen Spiegel vorzuhalten, in welchem sie sich selber der Konkurrenz gegenüber stellen, um sich zu besserer Leistung in der ästhetischen Zurschaustellung anzutreiben.
Geradezu mit der Leichtigkeit einer zerplatzenden Seifenblase geht mancher Betrachterin die Puste aus, wenn sie just jene Frau ins Visier nimmt, die wirklich wenig Kleid auf sich trägt, unbeirrt nur das Allernotwendigste mit Stoff bedeckt und dabei frontal-provokativ die ästhetische Wucht ihres Beckens und der Taille ins Rennen wirft. Sie reizt bewusst die Grenzen aus, welche der Anstand an diesem Ort setzt, und kämpft mit Bein, Becken, Bauch für ihren Patz in diesem Pantheon fescher Selbstdarstellung.
Elfie und Sölde schauen sich an und dann wieder die Dame, die mit einem leichten Beben des Bauches die Konkurrenz herausfordert und gleichzeitig auszuschalten sucht. Der überraschende Auftritt setzt die beiden Freundinnen perplex. Dennoch steigt ihnen eine Welle Wärme ins Herz. Es schlägt stärker, als ob der Anblick von so viel Anmut und Kraft das Blut schneller fliessen lasse.
Kalt lässt der Anblick nicht. Höher, gleich der Herzfrequenz, steigt Elfies Blick und verfängt sich oberhalb des stofflichen Konstrukts, das die Busen in guter Position hält, im reizenden Bewegungsspiel der Halsmuskulatur, wo Schlüsselbein und Schulterschwung oberhalb des entblössten Brustbeins zusammenfliessen. An einem Halskettchen hängt ein Traumfänger über der Haut, die direkt dazu einlädt, berührt zu werden.
Berühren? Das geht an dem Ort nicht. Dennoch ist Elfie ob all des Anblicks nackter Tatsachen und der Freizügigkeit auf den Geschmack gekommen und streicht mit den Augen über den Hals und die Brustwölbung der feschen Nachbarin und meint, sie nehme aufgrund der kurzen Distanz, welche zwischen ihr und der Frau liegt, deren Duft wahr. Dieser strahlt fast greifbar aus. Schönheit schmeckt gut, sagt sich Elfie.
Elfie atmet durch, mustert kurz, aber aufmerksam und doch diskret das Gesicht der Frau. Elfie Blick steigt weiter und wendet die volle Aufmerksamkeit der Haupthaarpracht zu. Diese wird zum zentralen Teil der Begutachteten und rückt in den Vordergrund. Das Haar ist nicht ohne Geruch, stellt Elfie benommen fest. Dem Haar kommt bei Lippenspiel zweier Wesen eine tragende Rolle zu, denkt Elfie nicht ohne Wärme im Herzen und streicht geistig der Fremden über das Haupt. Der spontane Einfall lässt der Betrachterin Sinne einen Augenblick lang taumeln, als sei diese beim geistigen Schreiten über der Unbekannten Scheitel in einzelnen Strähnen hängen geblieben und darum in ihrem Traum gestrauchelt.
Wach geworden fragt sich Elfie unwillkürlich, ob die Fremde eine Perücke trägt. Elfie benennt gegenüber Sölde ihre Sorge. Diese winkt ab. Die Frau trage ihr natürliches Haar.
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Sekundiert von den Robotern Brandolf und Pistel folgen Elfie und Sölde brav den mit Computerstimmen übermittelten Anweisungen.
Unbestritten ist dieser Ort des ausgewiesenen Konkurrenzkampfs auch ein Anwesen gegenseitiger Solidaritätsbekundungen, an welchem Frau die eigenen fehlerhaften Stellen am Leib den Anderen Preis gibt und somit deren Vertrauen in ihre eigene Unvollkommenheit stärkt. Frau steckt im eigenen Körper und lässt gleichzeitig die Körper der anderen Frauen hochleben. Ein Muttermal hier, ein Fettpölsterchen dort, eine Knochen, der unter der Haut etwas stark hindurch sticht, Busen, die nicht ganz so ausgewachsen sind, wie bestimmte Männer es sich wünschen, oder darüber hinaus ein Volumen verzeichnen, so dass sie eines Büstenhalters besonderer Grösse bedürfen.
Unbestreitbar: Jede Frau verfügt an dem Ort über genug Raum, um sich in die geeignete Position zu bringen, so dass sie ungehindert für ihre Umgebung zum Offenbarungserlebnis wird. Ausreichend Platz für die Bewegungsfreiheit ist gewährt, auch wenn sich wie Netze die Blicke der Nachbarinnen um die sich freiwillig und ohne falsche Scham, ein Muss an dem Ort, darbietenden Schönen winden. Entzieht sich eine Dame diesem Spiel, gerät die Kleideranprobe zum Fiasko. Der Ort gewährt keine Ausnahme. Die Show muss von allen mitgetragen werden.
Wer in seinem Kleid bewundert werden will, muss sich den Blicken der Anderen frei zeigen, auch wenn nicht eine Hülle aus Tuch und Stoff den Leib bedeckt, sondern sich wie eine satte Kette ein Gewand aus Bewunderung, Neid oder Missgunst um Waden, Bauch und Nacken windet.
Solcherart in das Selbst- und Fremdschaugeschäft eingebettet, können Elfie und Sölde selbstverständlich nicht mit ihren Reizen geizen, sondern müssen den weiblichen Herausforderungen Paroli bieten.
Das soll jetzt geschehen, denn die beiden Roboter drängen darauf, dass sie die beiden Frauen für die Anprobe bereit machen. Die Robis bemerken, die beiden Damen hätten sich nun erholt und möchten sich darum wieder erheben. Grinsend, abgelenkt von den Schönen, die um sie herum den Raum bevölkern, richten sich Elfie und Sölde auf. Die Roboter reichen ihnen die Hand, einen ihrer kantigen Greifer – der Kunststoff fühlt sich kalt an – und helfen ihnen mit einer ihrer metallenen Zangen auf die Beine.
Sekundiert von den Robotern Brandolf und Pistel folgen Elfie und Sölde brav den mit Computerstimmen übermittelten Anweisungen, ziehen ihre Blusen aus und hängen diese an den dafür vorgesehenen kompartimenteigenen Garderoben auf. Was an Kleidern vom Körper weggenommen oder für die Anprobe bereitgestellt wird, ziert Kleiderbügel und die wenigen Ablageflächen. Das Mobiliar in den Gevierten ist karg gehalten. Wird es nicht genutzt, dient es als Schmuck.
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Sie fordert den Roboter auf, ihr doch ein Kleid zu geben.
Elfie und Sölde sind froh, dass sie oben nicht nur mit den Büstenhaltern angetan am Orte stehen. Das wäre weiter nicht schlimm, denn die beiden Frauen wissen, dass sie bezüglich ihrer Oberweite von den anderen zur Schau gestellten Kleideranprobe-Nixen nicht ausgestochen werden.
Die beiden Roboköks bitten die Frauen, einen Augenblick zu warten. Sie würden gleich wieder zurück sein, verkünden sie und entfernen sich in Windeseile. Ebenso schnell sind sie zurück und bringen eine Auswahl Kleider mit. Das geht flugs. Es scheint, dass im Hintergrund andere Geräte das Assortiment bereits bereit gestellt hatten.
Einen Teil der herbei gebrachten Stücke hängen die Roboter eilfertig über die bereit stehenden Gestelle. Die erste Auswahl, die präsentiert wird, halten die Robis mit ihrem Gestänge zur Schau feil, indem sie ihre Arme, wenn nötig, etwas weiter ausfahren.
An den vorgestellten Stücken schienen die beiden Frauen durchaus Gefallen zu finden. Sie erklären sich damit einverstanden, das Angebot auszuprobieren. Um die neuen Kleider über den Leib ziehen zu können, muss von diesem jedoch erst alles Tuch, was als Stoff nur weggenommen werden kann, entfernt werden. Elfie und Sölde können es nicht vermeiden, sich, wie sie nun auch das Hemd ausziehen, gegenseitig schelmische Blicke zuzuwerfen, die eine deutliche Komplizenschaft signalisieren.
Das Scheinwerferlicht tut seine Arbeit. Glas und Spiegel verteilen den hellen Glanz vorteilhaft über den ganzen Raum. Jeder Winkel wird ausgeleuchtet.
Auch die Hüfte wird vom Kleid befreit. Selfie und Sölde haben Gefallen am eigenen Körper und wagen es darum, sich in diesem Selbstschauladen zu präsentieren. Mit Eifer kommen sie ihrer Arbeit nach.
Schliesslich zeigen sich die Beiden in kurzer Wäsche solcherart angetan, dass sie sich in gegenseitiger Begeisterung anschauen können. Ihr Auftritt passt voll und ganz in das Nirvana feliner Enthemmung, wie sie an diesem Ort toller Unbekümmertheit geboten wird.
Elfie betrachtet sich von hinten, von vorn und der Seite, in den Spiegeln. Ist verwirrt. Sie weiss gar nicht mehr, wo ihr der Kopf steht und die Hüfte, die zu ihr gehört. Geschweige denn das Gesäss, das sich dem direkten Einblick entzieht, weil es die Rückpartie des Körpers mitgestaltet; in dem Raum aber von einem Spiegel auf weitere spiegelnde Flächen, mehrfach multipliziert, geworfen wird, so dass Elfie ihre eigene Hinterpartie von verschiedenen Seiten sieht. Der Boden reflektiert Spiegelbilder, von der Decke kommen sie und auch die Säulen, welche den Spiegelsaal tragen, beteiligten sich am Spiegelspiel.
Verwundert schaut Elfie in die Runde und setzt aus all den Bildern, die sie in den verschiedenen, rückstrahlenden Glasstrukturen entdeckt und welche aus diesen auf sie eindringen, ihren Körper wieder zusammen. Beim Anblick ihrer selbst kommt ihr das eigene Haar in die Quere. Sie streicht eine Strähne aus dem Gesicht.
Die flüchtige Bewegung befreit Elfie von der letzte Scheu vor der Technik. Sie fordert den Roboter auf, ihr doch ein Kleid zu geben. Sie wählt ein ganz präzises aus.
Der Robokök angelt vom Gestänge das geforderte Kleid: ein Einteiler. Um sich der Interpunktion der Mode zu fügen – der Robe Schnitt ist aktuell in der Damenwelt in – hat sich Elfie entschieden, den ersten Versuch mit diesem Rundhals-Stück zu wagen, das dem Anschein nach die Taille nicht betont, wegen des kurzen Schnitts aber die Oberschenkel ab halber Höhe frei lässt.
*
Robokök Dreiundzwanzig macht sich daran, Elfie das verpasste Kleid wieder auszuziehen.
Elfie hebt brav die beiden Arme, damit der mechanische Hüpfapparat ihr das Gewand über den Körper ziehen kann. Abschliessend zupft das Gerät das Kleid zurecht, so dass keine Falte den Anblick stört.
Nun reicht der Robokök der Frau einen schnittigen Ziergurt, den sie sich um die Taille legt. Mit flinken Greifern sorgt der eilfertige, technisierte Hausangestellte dafür, dass der Gürtel passend auf dem Kleid liegt. Dieses sitzt, nachdem das Lederband festgezurrt ist, gut. Sölde zollt ihrer Freundin hohes Lob. Elfie schaut zu, wie Robokök Elf ihrer Begleiterin in ein ähnliches Outfit hilft, nur dass diesmal die Frau in das Kleid steigt und der Roboter dieses über den Frauenleib in die Höhe bis zu den Schultern hinauf führt. Danach schliesst er mit Hilfe von drei Greifern den Reisverschluss über den Rücken.
Elfie blickt zu den Frauen hinüber, die ein Auge auf sie beide werfen, und meint dann zu Sölde: „Sogar durch die Kleider hindurch sehen wir gut aus. Die Hexen gucken ganz neidisch.“
Sölde fragt nach: „Was meinst du? Ich verstehe nicht.“
„Mir wird ganz heiss, wenn ich daran denke, dass all diese Weiber zugucken. Männer wären noch besser. Die würden sich ganz nach uns verzehren. Die würden ganz verrückt in diesem Ambiente.“
„Hier geht es um das gewissenhafte Anprobieren von Kleidern. Männer haben hier nichts zu suchen. Die nehmen wir uns später vor. Dazu brauchen wir aber ein gutes Kleid. Derart zugeknöpft, wie wir jetzt ausschauen, weiss ich nicht, ob wir grossen Erfolg haben werden. Mit dem Tuch um den Hals sehen wir total unzugänglich aus.“
„Aber unten schaut es gut aus“, bemerkt Elfie, indem sie Sölde auf die Knie schaut und selber ihr die Beine zeigt.
„Das genügt nicht. Wir schauen schon den ganzen Nachmittag Kleider an und können uns nicht entscheiden, welches von diesen die Männer am meisten verrückt macht. Hier müsste man ein paar Männer mit Fleisch und Blut aufstellen. An ihren Blicken würden wir ablesen können, was sie aufstellt. Aber diese dämlichen Roboter bestehen nur aus Draht und Blech. Bei denen ist nichts zu machen. Denen steigt kein Blut in die Wangen.“
Auf die Bemerkung hin antwortet Elfie: „Hier hat es noch andere Kleider. Wir können ein weiteres anprobieren. Das beschäftigt die Roboter. Sie stehen dann nicht so unbeschäftigt und ratlos herum. Die haben noch andere auf Lager. Die werden uns auch passen, wenigstens was die Masse angeht. Wie das mit dem Aussehen aussieht, werden wir ja sehen.“
„Na, lieber Brandolf und Pistel, viel kürzer, als ihr es uns jetzt serviert habt, könnt ihr es uns nicht mehr bieten. Mit noch weniger getrauen wir uns nicht mehr auf die Strasse.“
Robokök elf antwortet: „Wir haben andere Kleider. Diese gehen bis an die Verse. Sie gehen bis zu den Knöcheln.“
„In der menschlichen Anatomie kennt ihr euch aus. Ist das auch der Fall mit der weiblichen Ästhetik“, versetzt Sölde.
Robokök Dreiundzwanzig antwortet: „Wir verkaufen Kleider. Wir passen Kleider an. Das ist unsere Aufgabe. Dazu sind wir programmiert. Wir verrichten unsere Arbeit präzise. Das ist unser Metier.“
Sölde gibt sich etwas ungeduldig: „Also gut, wenn ihr schon was mitgebracht habt, dann werden wir das anprobieren. Aber, wie gesagt, nicht allzu kurz, sonst werdet ihr zwei noch geil und fallt über uns her.“
„Auf anzügliche Wörter reagieren wir nicht. Gewisse Wörter sind nicht statthaft. Wir haben ein Sperre“, klärt Robokök Elf auf.
„Das ist ja ein schönes Programm, das ihr uns offeriert. Ich hoffe, eure Kleider sind nicht derart kastriert wie eure Sprache. Du hast da ein grünes Kleid. Ich würde es gern mal anprobieren“, sagt Sölde zu ihrem Robokök Elf.
Dieser gibt Auskunft: „Es handelt sich um die Luxus-Line. Keck und frech. Über den Knie schräg hoch geschnitten. Das gibt dem Becken besonderen Schwung. Ein flauschiger Sommerschal bedeckt die Brust. Die Schultern sind frei.“
„Du meinst also ein Kleid so richtig kokett?“
„Ich habe die Kleiderbeschreibung vorgelesen.“
„Richtig, du hast es ganz präzise beschrieben. Nun stellt sich aber auch die Frage, ob das Kleid zu meiner Aura passt. Verfügt ihr zwei über ein Ästhetikprogramm, das die verborgene Atmosphäre der natürlichen Zuneigung von uns Menschen zu messen weiss? Und das auch den emotionalen Wert eines Kleides bestimmen kann?“
„Die Masse der Kundinnen werden mit Laser gemessen. Das Gewicht wurde beim Eintreten gemessen. Wie kennen den Bodyindex. Eine Drei-D-Bilderkennung vervollständigt das Profil. Die Kleider sind Schnittmustergerecht geschnitten. Sie sind fachgerecht zusammengefügt.“
Das Gespräch zwischen Robokök Elf und Sölde ist hiermit beendet. Robokök Dreiundzwanzig macht sich daran, Elfie das verpasste Kleid wieder auszuziehen. Sie hebt wiederum ihre Arme, so dass der Roboter sein Werk vollenden kann, indem er der Frau das Kleid über den Rumpf hinaufzieht, ohne dabei mit einem seiner Greifer die Haut zu verletzen.
Elfie steht mit dem technischen Gerät quasi Brust an Brust. Die Frage stellte sich aber: Was kann an dem künstlichen Gehäuse des Roboters als Brust bezeichnet werden? Die menschenähnlich aufgebaute, mechanische Apparatur weist dort, wo dem Menschen der Oberkörper gewachsen ist, einen Kunststoffkasten auf, den Beine tragen und aus welchem die Greifer gleiten. Ob das synthetisch zusammengesetzt Ding seinen Motor in der Bauchwölbung trägt oder an der Stelle, wo den Lebenden das Herz schlägt, lässt sich für die Betrachterinnen von aussen nicht bestimmen.
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Sie gehorchen den Gesetzen einer menschengemachten Mechanik.
Mit derartig kniffligen Fragen beschäftigen sich die beiden Frauen nicht. Wie Elfies und Söldes Po, Rücken und Brust wieder vom Probestoff befreit sind, verharren die beiden Damen in ihrer Pose. Die beiden Maschinen beeilen sich. Sie wollen nicht, dass die Damen zu lange anzüglich wie eine Venus, die als Statue von einem begabten Künstler kunstvoll und mit grosser Liebe mit allen Attributen einer Frau ausgestatten ist, stehend am Ort, aber verlassen wie ein beiseite gestelltes Standbild, verharren und warten müssen.
Die Roboter gehen in die Knie, vielmehr sinken in die Tiefe. Denn von Knieen kann im Zusammenhang mit den Geräten schwerlich gesprochen werden. Die Gelenke der Gestänge, welche den Maschinen erlauben, sich zu bewegen, haben nichts von einem natürlichen Bewegungsapparat an sich. Sie gehorchen den Gesetzen einer menschengemachten Mechanik, bedürfen keiner Synovia, welche die kernigen Knochengelenke schmiert, sondern brauchen ganz normales Öl, um die steifen Kugellager beweglich zu halten.
Brandolf und Pistel heissen die beiden Damen, die sie betreuen, mit den Beinen in das neue, geöffnete Kleid zu steigen. Auch Sölde muss nun die Arme hochheben. Mit viel Sachkenntnis ziehen die Roboköks anschliessend die Gewänder über die ihnen dargebotenen Leiber hoch. Auf der Höhe der Schultern angekommen, dürfen die Damen ihre Arme sinken lassen und diese in die Ärmel einführen. Den Sitz des körperlangen Kleides auf dem Leib besiegeln die beiden mechanischen Hilfen, indem sie die Reisverschlüsse bis übers Kreuz hinauf ziehen. Vorne schliesst das Gewand zum Hals auf.
Die beiden Frauen begutachteten das ihnen verpasste Gewand. Die beiden Roboter treten ein Stück weit zurück und ermuntern die Frauen, sich in den Spiegeln zu beschauen. Sölde erkennt im Bild, das sich im Glas präsentiert, dass Elfie sich ein anderes Kleid wünscht. Beider Frauen Gesicht drückt nicht vollkommene Zufriedenheit aus. Die Rücken entzücken, die Kleider wirken aber zu geschlossen. Begeistern wenig, auch wenn sie, bei einem leichten Farbunterschied, violett und schwarz variiert, im Paarlook daher kommen.
Eine weitere Frau, aus einem benachbarten Kompartiment, schaut an Sölde vorbei auf Elfies Vorderfront. Elfie muss lächeln.
*
Zum Gewand passend hält der Roboter ein leichtes, weisses, neutrales Hemd bereit.
Über den Blick der Frau sieht sie wie als Spiegelbild den nackten Rücken der Freundin, vielmehr den eigenen Rücken, den ein analoges Kleid bedeckt. Elfie kann sich vorstellen, wie ihre Rückseite auf Umstehende wirkt.
Elfie ist mit sich sehr zufrieden. Das glaslose Spiegelbild, das die fremde Frau wirft, ihr Blick und auch der Gesichtsausdruck zeigen klar an, dass die Fremde durchaus von den Gewändern angetan ist, welches die beiden Freundinnen zur Probe angezogen haben.
Elfie wischt sich mit einer Hand über den unteren Teil ihres Rumpfs und zieht das Kleider in der Achsel etwas zurecht, damit sich die Spannkraft des Stoffes über den Körper etwas besser verteilt. Elfie zeigt der fremden Schauenden, als ob ein Spiegel das Bild übertrage, ihren Körper etwas von der Seite und misst am Blick der Betrachterin gleichzeitig, was sie von der Gesamtansicht des Rocks denkt.
Die Unbekannte mustert lange, aufmerksam und ohne Scheu die Gestalt, die sich ihr darbietet, und nickt schliesslich zustimmend. Elfie scheucht den Roboter weg, der überraschend zwischen sie und ihrem natürlich kokettierenden Spiegelbild geraten ist.
Sölde drängt darauf, ein weiteres Kleid zu probieren. Elfie wendet sich von ihrem Spiegel ab und bittet den Roboter, den sie wieder zu sich ruft, ihr beim Ausziehen des Kleides behilflich zu sein.
Elfie entscheidet sich diesmal für einen königsblauen Hosenanzug. Die Hose, danach sieht diese aus und der Roboter spricht zudem von einem leichten Stretch-Anteil, wird sich satt an ihre Beine schmiegen. Der Blaser, mit schmalem Reverskragen, von vorteilhafter Kürze, wird knapp auf der Hüfte aufliegen und, von der klassischen Form leicht abweichend, diese doch leicht betonen. Zum Gewand passend hält der Roboter ein leichtes, weisses, neutrales Hemd bereit.
Pflichtbewusst bringt sich der technische Helfer in Position, um als Assistent der Frau zur Hand zu sein. Gekonnt unterstützt er sie beim Anprobieren der Hose, zieht diese hoch, schliesst fachgerecht über den Lenden Reissverschluss und Druckknopf und drückt schliesslich mit erfahrener, mechanischer Geste die Stoffabdeckung über den Hosenverschluss fest, so dass dieser am Ende kaum sichtbar ist und der Hosenbund auch im Rücken wie eine geschlossen Linie wirkt.
Die Technik leistet auch in dem Fall dem Menschen Beistand, wenn sie ihm nicht sogar die Arbeit fast ganz abnimmt. Traktoren bewegen Pflüge. Kaffee brüht heute niemand mehr auf. Dieser wird vorgefertigt und in der richtigen Duftnote durch Maschinen aus Kapseln heraus gedrückt und von den programmierten Geräten in Kartonbecher abgefüllt – notfalls auch, wenn die Kundschaft es wünscht, nostalgisch galant in porzellanene Tassen eingetropft.
Lange Reisen verkürzen sich zeitlich massiv aufgrund der Flieger, welche den Menschen mit Hilfe technischer Wunderdinger wie Propellerantrieb oder Düsentrieb von einem Kontinent auf den nächsten befördern. Uhren sorgen dafür, dass der Mensch seine Technik nicht verpasst. Züge fahren, menschenfrei gesteuert, Waren sicher und schnell, kostengünstig und zuverlässig, an ihre Bestimmungsorte. Selfie-Kameras übernehmen die Rolle der Spiegel und senden auf Wunsch das Bild jener, die in die Linse gucken, fakeverklärt in alle Welt hinaus.
Der Fortschritt ist unaufhaltbar. Ein Heer von Menschen arbeitet an der Verbesserung der Geräte, an der Steigerung ihrer Effizienz, an der Perfektionierung der Steuersysteme, damit die automatischen Puppen reibungslos ihre Dienste verrichten können. Unbestreitbar ist, dass die motherboardbetreuten und chipgesteuerten, hochgezüchteten Werkzeuge dem Menschen sehr viel Arbeit abnehmen und ihm sein Tagwerk auf diese Art erleichtern. Von der täglichen Mühsal, dem mechanischen Abwickeln sich immer wiederholender Verrichtungen befreit, verwendet er seine Zeit für aufbauende Beschäftigungen wie das Zubereiten von Feinkost, das Abrasseln von Glücksspielen oder den Einkauf von Büchern und Kleidern.
*
„Was heisst das: Klimbim?“
Das Ankleiden Elfies dauert etwas. Die Justierung des Gewandes durch den Roboter auch. Wie dieser endlich etwas zurück tritt, blickt Elfie erneut in den Spiegel, den ihr die Fremde unverwandt zuwendet. Doch der Blickwinkel hat sich geändert. Elfie trifft das Auge der Frau in einem Spiegel, welcher von einem Roboter zufällig solcherart gestellt worden ist, dass die Nachbarin sich in diesem Spiegel sehen kann und erkennt, was in ihrem Rücken geschieht
Elfie denkt auf den ersten Moment, die Frau betrachte das neue Kleid nicht, und zeige ihr darum die kalte Schulter. Jedoch, wie Elfie wahrnimmt, mustert die Fremde sie nach wie vor im Spiegelspiel. So, wie sie jener Gesicht im Spiegel erkennt, muss auch jene ihr, Elfies, Antlitz sehen. Die Blicke kreuzen sich und beide stimmen überein, dass das Kleid wenig befriedigt.
Dem Roboter scheint zu schwanen, dass Elfie nur mit halber Aufmerksamkeit der Anprobe des Kleids beiwohnt. Er wirkt auf einmal unruhig und entwickelt eine ganz eigenartige Aktivität, springt in spitzen Bewegungen um die Frau herum, der er zuwartet. Dem Gesellen ist es vermutlich etwas unheimlich im Inneren seines metallenen Herzens, das wohl Halbleitersteuerung genannt werden muss und die Entscheide und Bewegungen des Geräts taktet.
Pistel wendet sich mit folgenden Worten an Elfie: „Bist du unzufrieden? Stört dich der Spiegel? Soll ich ihn wegnehmen? Soll ich einen Bildschirm aufstellen? Meine Kamera filmt deinen Körper. Sie nimmt Details auf. Ich hole einen Bildschirm. Wir haben grossflächige HD-Bildschirme.“
Der Roboter macht Anstalt, sich zu entfernen. Der Frau fährt auf: „Nein, was fällt dir ein! Ich will keinen solchen Klimbim. Lass das!“
Der Roboter dreht sich um: „Was heisst das: Klimbim?“
„Das heisst, dass ich ganz einfach keinen solchen Spiegelklon will.“
„Was heisst das: Spiegelklon? Ich werde in meiner Datenbank nachsehen.“
„Ach, dieses technische Zeugs. Lass es gut sein. Hast du noch ein anderes Kleid, das ich anprobieren kann?“
„Gefällt dir dieses nicht?“
„Doch, schon etwas. Die Hose fasst bestens die Beine ein und auch um den Po fühl ich mich gut an. Das Kleid wird sicher Männerinteressen wecken. Und oben durch ist es auch gut.“
Sölde mischt sich ein. „Wir haben noch viel zu wenig Kleider anprobiert. Da lässt sich noch kein Urteil bilden. Wenn wir nicht genug Kleider anschauen können, dann lohnt sich unser Auftritt hier nicht. Es muss schon mehr her, damit wir einen Entscheid fällen können. Das sage ich dir so zwischendurch, mein lieber Freund auf Kunststoffbeinen. Und zudem weiss ich nicht einmal, ob du den Blick für Frauenbeine hast. Da lässt sich bei dir hormonell nichts umsetzen.“
„Ja, du hast einen ganz steinernen Blick. Der macht Angst. Ich zweifle zudem daran, dass das, was du uns an Kleidern verpassest, Männern in die Hose geht und in jene Lebenssituation versetzt, in welcher wir sie gerne haben. Die Hose gibt zwar die Linien der Beine klar an. Ich möchte aber doch etwas mehr am Kleid haben, was den Männern gefällt.“
„Brauchst du ein zweites Kleid? Soll ich dir eines über die Hosen ziehen?“
An der Statt von Elfie entgegnet Sölde: „Du bist auf die Kleider fixiert, nicht auf die Frau.“
Und Elfie fügt, Söldes Intervention sekundierend, hinzu: „Du hast einen Kurzschluss.“
„Wie soll ich das verstehen?“
Sölde erklärt: „Du denkst nur mit halber Intelligenz.“
Elfie unterbricht, als wolle sie sich mit den seltsamen, dummen Dingern nicht auf eine Endlosdiskussion einlassen: „Hilf mir jetzt aus den Hosen und heb die Jacke nicht zu hoch. Sonst verknallt sich die Dame drüben noch ganz in mich. Und ich muss ihr dann mit den Pobacken noch zuzwinkern“.
„Das tönt obszön“, bemerkt Robokök Elf.
Elfie stellt sich dergestalt hin, dass er ihr ohne grosse Mühe aus den Kleidern helfen kann. Der Roboter dient Elfie weiter zu und tut, wie ihm beordert ist, hilf ihr aus dem Beinkleid, der Jacke und dem Hemd, verkündet dann, dass er sich kurz entfernen werde, um zwei weitere Kleidungstücke zur Anprobe zu holen, die der Computer für ihn ausgerechnet habe.
Die Bemerkung der Frau, ob er sich kein eigenes Urteil bilden könne, lässt er wie ungehört und darum unbeantwortet an sich abprallen. Er führt hingegen aus, was er verkündet hat und verschwindet. Die zweite elektronische Handorgel folgt ihm.
*
Auch Sölde wartet nicht auf den Einsatz des Roboters und ergreift die Initiative gleich selber.
Die Faszination des Menschen, die Faszination der Maschine – irgendwie ist es wunderschön, wie beides nicht zusammen passt, obwohl beides zusammen geführt werden kann. Eines dem anderen auf verschiedene Weise behilflich sein kann. Eines aus dem anderen aber nie sein wird.
Die menschliche Maschine wird es nie geben. Den technischen Menschen schon, den Menschen, der die Freiheit, Mensch sein zu können, nicht schätzt, abgibt und sich darum der Maschine völlig hingibt und unterwirft, freiwillig sich selber dem Menschen entfremdet, den er selber darstellt und bleibt. Seine sexuellen Lüste und genderorientierten Bedürfnisse an einer Maschine auslebt, geliebt von einem Bildschirm und angebunden an eine hydraulische Pumpe, die ihm Kräfte und Säfte absaugt. Sex ist Kraft. Liebe auch. Die Maschine verlorene Zeit.
Die schöne, neue Welt voller technischer Möglichkeiten und Anwendungen appelliert an den Menschen, dass er sich ihr ausliefert, greift ihm um den Körper, kommt näher an ihn heran als je eine Eisenbahn, in welche er sich setzt. Ausser, diese springt aus den Schienen, unkontrolliert, nicht einmal durch Kinderhände manipuliert, die zwei Loks in spielerischem Übermut aufeinander prallen lassen, sondern, wie die Wagen bei einem Unfall aus den Schienen springen, die Wagen sich selber in Stücke reissen, den Menschen mit, der in ihnen sitzt, zerfetzen, jene, die reisen, in einen Haufen geöffneten Fleisches voller Schmerz verwandeln.
An all das denkt Elfie nicht, wie sie sich, nur mit Unterwäsche angetan, an diesem langen Einkaufstag für ein Bisschen Erholung wieder auf der Chaiselongue niederlässt, wohlwissend, dass sie auf diese Weise ihren wunderbaren Körper den Blicken ihrer Nachbarinnen nun in einer anderen Position als zuvor Preis gibt.
Entspannt lehnt sie sich auf dem Erholungsgerät zurück, dessen Rückfront sie etwas in die Liegeposition bringt, und legt die Beine übereinander. Sölde, weil sie noch steht, lacht und bemerkt: Ob ihr die Kräfte ausgegangen seien oder ob sie von ihrem Liebhaber, dem Roboter, im Liebeseifer niedergerungen worden sei? Oder erhole sie sich ganz einfach von dem aufdringlichen Objekt? Ihr Gerät habe sich, Elfies Pistels Beispiel folgend, auch entfernt und zwar für die Dauer, die er benötige, um eine neue Kleidergarnitur zu holen, die ihm der Computer sicherlich präzise zurecht gerechnet habe.
Dann solle sie doch ebenfalls Platz nehmen. Sölde folgt ohne Widerspruch der Aufforderung. Die beiden Damen liegen nicht weit voneinander. Auch Sölde wartet nicht auf den Einsatz des Roboters und ergreift die Initiative gleich selber, indem sie das nicht zu schwere Gestell, welches als Liege und Stuhl zugleich fungiert, schnell näher zu Elfie schiebt und die Rückenlehne niederfährt.
Die beiden Frauen geniessen die Ruheposition, lassen sich bewundern und spielen mit den Zehen, die am unteren Rand der Liege keck in die Höhe ragen. Die Fussnägel leuchten in Grün und Silber. An dem Tag tragen die beiden Damen keine Socken, weil solche nicht zu den Schuhen passen, die sie für ihren Ausgang ausgewählt haben: Sandalen, die keinen Stoff vertragen, der den Fuss abdeckt.
*
Aus einer leichten Distanz betrachtet, zu einem Ganzen zusammengefügt und als Einheit wahrgenommen, sehen die drolligen Gesellen irgendwie danach aus, als würden sie durch den Raum swingen.
Der entspannende Moment im hübschen Spiegelkabinett lässt sich durchaus geniessen. Die beiden Frauen fühlen sich weit ab versetzt von jedem Verkaufsstress. Nötig ist es nicht, sich von einer Kleiderauslage zur nächsten zu bewegen, um, wie während eines Ausverkaufs, an welchem sich zahlreiche weitere gierige Käuferinnen um die gut gefüllten Wühltruhen drängen und gleichzeitig mehrere Hände nach dem besten Stück angeln, nach dem geeigneten Kleid zu suchen – bemüht, notfalls im letzten Augenblick das begehrte Stück aus den Händen einer Konkurrentin zu reissen.
Sicher, das emsige Herumstöbern in den vollen Kleiderauslagen hat seinen Reiz. Frau kann überraschend den richtigen Rock aus der Menge des Angebots heraus greifen. Aber hier, in diesem Geschäft, diesem Spiegelsaal, verhält es sich ganz anders. Schier königlich. Zwar bringen merkwürdige Wesen, nicht aus Fleisch und Blut geschaffen, die Ware herbei. Die metallenen Gesellen schleppen aber wenigstens nicht merkwürdige Kleider herbei. So lautet das bisherige Urteil der beiden Frauen.
Sie strecken alle Viere von sich und sonnen sich im Lichte der zahlreichen Blicke, die von allen Seiten, wenn zum Teil auch nur kurz, als Lichtblitze, zu ihnen, Seele und Gemüt erhellend und aufwärmend, dringen. Elfie und Sölde sprechen über das Kleiderangebot des Hauses. Das, was sie bisher anprobiert haben, das, was sie zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken ausmachen. Sie blicken auch voraus und sind gespannt, was das Roboterduo herbei schaffen wird
Das, was die beiden Damen bisher ausprobiert haben, besticht durch den Charakter gehobener Klasse, die, ohne dass die Frauen dabei rot werden müssen, auf der Strasse und im halböffentlichen Bereich des Gesellschaftslebens getragen werden kann, weil das Kleid nicht zu viel Haut zeigt oder zu viel Einblick auf Körperstellen gewährt, deren Anblick nur in intimen Augenblicken frei gegeben wird. Für das Geschäftsleben wünschen die beiden Damen im Augenblick jedoch kein neues Gewand. Im Moment suchen sie überhaupt gar nichts. Sie geniessen.
An dem Ort ist es angenehm warm. Wie in einem Wellnessbereich, wo der Mensch spürt, dass sich der Körper vor Kälte nicht zusammen zieht, sondern aufgeht wie eine sich öffnende Blume, wie ein knuspriges Weissbrot, das dem guten Lebensgefühl dient, welches das Frauenpaar so lange wie möglich auskosten will.
Solcherart liegen Elfie und Sölde auf ihrer Liegestatt und schwelgen im reinen Nichtstun. Sie betrachten gelassen das geschäftige Treiben, das diese technische Börse primärer Kleider mit viel Bewegung, Hin und Her und Geraune, Geflüster und Gekicher füllt. Secondhand wird an dem Ort als Fremdwort gehandelt, das nicht einmal über einen Nachklang verfügt. In diesem feudalen Kaufhaus kommen nur Kleider erster Güte zum Zuge. Andere Züge fahren nicht durch dieses Lokal.
Wie von unsichtbarer Hand gelenkt läuft das Programm ab, welches das Geschehen im Raum bewegt und dafür sorgt, dass die Roboter in ihrem Tatendrang nicht aneinander geraten, ineinander krachen, sich stattdessen elegant kreuzen, aus dem Weg gehen, wenn es von der zentralen Steuerung als notwendig erachtet wird. Eine gewisse Eleganz kann dem ganzen Geschehen, Kommen und Gehen nicht abgesprochen werden. Aus einer leichten Distanz betrachtet, zu einem Ganzen zusammengefügt und als Einheit wahrgenommen, sehen die drolligen Gesellen doch irgendwie danach aus, als würden sie durch den Raum swingen, sich nach einem vorgegebenen Rhythmus in reinem Reigen hierhin und dorthin neigen; als seien sie die zeremonielle Komponente eines festlichen Balls.
Möglicherweise sind die Geräte aber bereits elektronisch so bestückt, dass sie keiner zentralen Anlaufstelle bedürfen, um sich aus dem Weg zu gehen, sondern diesen Entscheid aufgrund von Impulsen, die sie aus ihrer Umgebung aufnehmen, selber fällen.
Die Geleise verlaufen in dem Lokal demnach nicht, wie bei einer Modelleisenbahn, über festgelegte Schienenstrecken, die den Lauf der Fahrten vorgeben. Die Roboter und die Frauen finden ihren Platz, ohne dass sie über Weichen gelotst werden, welche sie in die richtige Position bringen. Kein verrückter Knabe sitzt an einer relevanten Schaltstelle und sorgt dafür, indem er die Hebel der Macht gemäss seinem sinnlichen Gutdünken betätigt, dass die Damen sich zu nahe kommen oder mit ihrem technischen Diener kollidieren und so aus ihrer Rolle fallen. Die Handlung spult sich vorzüglich ab.
*
Die Wünsche können den beiden mechanischen Kobolden übermittelt werden.
Elfie hebt das eine Knie und lässt leicht die Bauchspeckmuskeln spielen. Über der Kniebeuge nimmt sie eine andere Frau aufs Korn, die nicht weit entfernt steht und mit ebenso viel Kleid angetan wie die beiden Freundinnen auf die Rückkehr ihres Roboters wartet.
Übers Knie vergleicht Elfie ihre eigene Haut mit jener der anderen Diva. Sie spielt ihrer beiden Hauttönungen gegeneinander aus und wägt die farblichen Qualitäten ab. Elfie zeigt sich vom Schimmer ihrer Schenkel überaus zufrieden und teilt dies Sölde auch mit. Sölde beschaut nun ihrerseits die eigenen Beine und hebt ein Knie leicht an. Die einsehbare Struktur des Becken-Bein-Bereichs verändert sich auf verführerische Weise.
Die Innenfläche des Oberschenkels wird in seiner Gänze auf einmal auch dort sichtbar, wo das andere Bein ihn zuvor in seinen obersten Teilen verdeckte. Die freigelegte Anatomie des Unterleibs stellt Sölde ihrer Freundin freizügig zur Schau. Eine kleine Textilie nur deckt den Schoss ab. Elfie betrachtet die Partie, die sonst sittsam eingekleidet wird und fremden Blicken verborgen bleibt. Dort, wohin sich die Gedanken täglich ihren Weg bahnen, ist die Haut zart und lippenweich.
Sölde hebt schliesslich, frei von jeder Roboterzudringlichkeit und Maskerade, das ganze Bein hoch und dreht es kurz hin und her. Manche Nachbarin äugt herüber und will herausfinden, was die beiden Frauen für ein Spiel treiben.
Sölde äusserst sich zufrieden über den regelmässigen Tint ihrer Haut. Elfie nickt zustimmend und bemerkt: bewundernswert. Sölde lässt das Bein wieder sinken.
Die Finger als Sensoren über die Oberfläche des Beins der Nachbarin fahren zu lassen, ist an dem Ort überhaupt nicht gestattet. Berühren dürfen diese nur das Auge und nicht die Hände. Die beiden Damen befinden sich schliesslich in einem, wenn auch leicht abgeschirmten, so doch öffentlichen Raum. Ihr Job heisst hier: Kleider anprobieren. Keusche Berührungen sind zu unterlassen. Freizügiges Zuschaustellen des eigenen Leibes dagegen erlaubt. Elfies süsses, kleine gedankliche Vergehen oder vielmehr ihre kleine, gedankliche Eskapade treibt ihr kurz eine leichte Röte ins Gesicht, die bald wieder schwindet.
Im Augenblick lautet die klare Losung: liegen, warten und geniessen. Und ausschauen nach dem, was die anderen Frauen ausprobieren und an Kreationen zu ihren Lieblingen erwählen. Was Frau sieht, kann sie zu eigenen Ideen inspirieren. Die Wünsche können den beiden mechanischen Kobolden übermittelt werden, sobald diese wieder aus ihrer Versenkung in der Kleidervorratskammer aufgetaucht sind.
Eine Frau passt sich just ein Abendkleid an, das bis zu den Achseln reicht, auf der einen Seite aber vom Fuss bis zur Taille aufgeschnitten ist. Jede Bewegung offenbart, je nachdem, wie das Kleid sich über dem Bein öffnet, einen wechselnden Anblick auf den Schenkel. Nur mit dem Slip müsse sie aufpassen, meint Sölde. Der müsse so ausgewählt sein, dass er gut zum Kleid passe und vom Po genug aber nicht allzu viel zeige. Dieses Kleid sei schliesslich kein Nachtgewand, das, wenn nötig, schnell von der Haut müsse.
*
„Ich werde ihm meine Kleidervorschläge wie dicke Bänder um das Rechenzentrum winden.“
Ein Ballkleid, bemerkt Elfie. Da dürfe man schon etwas von sich selber sichtbar machen. Auf ein Gewand, das vom ganzen Körper ablenke und nur einige seiner Details Preis gebe, habe sie aktuell jedoch keinen Bock. Sie sei aber gut in Form und wolle diese auch zeigen. Da genüge schon viel weniger Stoff, als für ein Nonnenkleid aufgewendet werden müsse. Sie wolle ihren Körper nicht abwerten.
Stimmt, heute suchen Elfie und Sölde was Elegantes, mit welchen sie die Männer auf der Strasse narren können. Beide teilen uneingeschränkt diese Ansicht, heisst es unisono von den zwei Pritschen. Als Nornen den Männern aufs Maul schauen, etwas Schicksal mit ihnen spielen und auch noch den Marsch blasen, damit sie fit werden für eine Anhörung, deren Ausgang möglicherweise dann zu einem Aperitif führt! Das gefällt. Das steht an!
Eigentlich wünsche sie sich etwas sportlich Enges und körperlich Betontes, verkündet Elfie. Sie bezweifle aber stark, dass der Robi ihr die Wünsche von den Lippen lesen könne. Im Übrigen müssten sie beide aufpassen. Da seien sicher irgendwo Mikrophone versteckt, mit welchen ihre Gespräche abgehört würden.
Das wäre gut so, jubelt betont laut ihre Freundin. Auf diese Weise könnten sie beide die Roboter foppen und ihnen das Laufen beibringen, indem sie verfänglich das Gespräch auf Kleidungsstücke lenken, die sie gar nicht begehrten.
„Den Versuch ist es wert!“ Also, sie würde den Militärlook wählen, wo man, abgesehen von den militärisch sachlich eingepackten Pobacken, sonst von der Körperform rein gar nicht mehr wahrnehme. „Oben weit und unten large“, meint Elfie weiter. Die Schuhe schwer und oben drauf noch ein Paar hohe Gamaschen. Als Mantel einen weiten Kämpfer, der unbequem und grosszügig mit Taschen ausgestaltet von den Schultern runter falle und in welchem sich neben der Brust noch vieles andere verstecken lasse, unsichtbar für alle Voyeure und dienlich nur dem dienstlichen Überleben.
„Ich nehme einen Dirndl“, verkündet Sölde. „Und zwar ein solches von der Sorte, das bis zu den Knöcheln reicht. Unter diesem Stoff gibt es dann auch vieles zu entdecken. Aber da lass ich nicht jeden Mann ran. Oben müssen beide Arme bedeckt sein und auch der Brustansatz“, schwärmt Sölde weiter und ergänzt: „Die Oberbreite muss gut zur Geltung kommen, damit ich auch nach einer rechten Biene aussehe, die sticht, wenn es sein muss, und dem Kerl die Luft ablässt, wenn er mir zu nahe kommt. Der Vorschlag wird unsere munteren Computer recht durcheinander bringen. Denn eine Dirne trägt das Dirndl kurz, sonst sieht sie aus wie die Bauersfrau, welche im Keller Kartoffeln schaufelt und Staub um sich herum aufwirbelt.“
„Du bringt recht alles durcheinander mit Staub und Dirndl und Keller“, bemerkt Elfie.
„Den Computer soll es durcheinander bringen. Wenn wir so weiter reden, wird er recht bald nicht mehr wissen, was er entscheiden soll. Mit meinem Gerede von Kürze und Länge lege ich Schlingen um sein Hirn. Ich werde ihm meine Kleidervorschläge wie dicke Bänder um das Rechenzentrum winden. Er wird vor lauter Fesseln nicht mehr wissen, wo mir die Fesseln stehen und wohl aus Versehen statt des Kleides einen Schuh bringen, den er mir über das Fussgelenk zieht und als Gurt verzurrt.“
„Ihm zum Schaden, uns zur Freude“, kommentiert Elfie. „Warte, ich helfe dir bei diesem Knäuelspiel. Darum schlage ich vor, dass wir einen klassischen Mantel nehmen, der so lange ist wie das Kartoffeldirndl und sich auch bei Regen trägt und lediglich unsere Waden frei lässt, wenn es windet. Das passt gar nicht zum heutigen Wetter. Ist aber Nebensache. Dem Computer tut es allerdings gut, wenn er noch etwas Material für seine elektronisch gespiesene Grütze erhält. Und für den Hut werden wir den Roboter auch noch herumjagen.“
„Die Tanten, die nach uns schielen, wird es höllisch verwirren, wenn der Robi bei der heutigen Wärme mit makellosen Anstandskleidern daher kommt und auch noch einen Regenmantel über uns wirft. Wir würden geradewegs als Kartoffelsacktanten dastehen, die für schlecht Wetter präpariert sind.“
„Wenn wir so weiter reden, bringt uns der Robikok tatsächlich noch Schleier, Strohkordeln und Mehlsäcke, die wir als Niklause über den Kopf stülpen und über das Gesicht ziehen können.“
Und munter plaudert Elfie weiter: „Wir sehen dann wie gesichtslose Eulen aus, die man nur im Dunkel lieb haben kann, am Tage aber aus dem Weg räumt. Um den Bauch binden wir das Strohband fest. Dieses betont unsere Taille. Wir schauen dann doch noch trotz all dem stofflich abtörnenden und formlosen Gefälle aus Heu und Hanf über unseren Körper etwas nach Frau aus.“
„Der Eule müssen wir aber auch die Augen nehmen. Von unseren Körpern soll man nichts mehr sehen. Mit verhülltem Gesicht, versteckten Beinen und Armen würden wir hier richtig scharf auffallen. Niemand sähe unter das Tuch.“
„Niemand würde merken, dass wir es sind. Wir kämen als gesichtslose Gören daher, die lediglich als Werkzeuge der Lust des Mannes dienen und selber nicht Frau sein dürfen und, wenn sie nicht gebraucht werden, als Kartoffelsäcke in die Vorratskammer der Macht gesteckt werden. Dort können wir Staub fressen, diesen aber auch aufwirbeln, wenn wir es wollen“, bemerkt Elfie und massiert im gleichen Atemzug leicht ihren Oberschenkel, knetet besonders den Quadriceps, als ob sie dessen feste Natur besser herausheben möchte. Sie schiebt dann das Bein der vollen Länge nach auf die Liege und lässt sich zurück auf ihre Couch sinken, den Blicken all ihrer neuen Freundinnen im Raum ausgestellt, konfektionsfrei, so wie die Natur sie geschaffen hat und kein Klon eines anderen weiblichen Geschöpfes, sondern ausgestellt als Original, das sich in sich selber gefällt.
*
„Wir sind zwei Schmuckstücke, die man nicht einfach auf die Strasse stellt.“
Sölde nimmt das Bild der amorphen Kartoffelsäcke auf und entwickelt es weiter: „Hier, in dieser stattlichen Umkleidekabine wollen wir es nicht mit den Kartoffeln halten! Hier lassen sich die Gedanken variieren und ausschmücken. Ich verwandle diesen Raum jetzt ganz spontan in eine grosse Küche. Statt auf Kartoffelstaub setze ich auf Mehl und sende diese Botschaft gleichzeitig unseren beiden Roboterfreunden.“
„Einverstanden“, erklärt Elfie.
„Mit Mehl lassen sich wunderbare Schlachten austragen. Ich nehme eine Handvoll davon und beginne mit dem Wurf. Du ziehst mit einem weiteren Häufchen nach und so werden wir mit der Zeit ganz mehlig aussehen, eingeweisst zu farblosen Frauen. Auf diese Weise wollen wir unseren Robis weitere gedankliche Schrecken einjagen, damit sie nicht mehr wissen, wo ihnen der drahtgefächerte Kopf steht.“
„Da halte ich mit.“
„Je mehr Mehl wir aufwerfen, desto stärker werden wir uns in Mehlpappendamen verwandeln, die, spinne ich das Geschichten mit dem Kartoffelstaub weiter, als Arbeitsdirnen, in diesem Fall als Klageweiber unseres eigenen Schicksals, mehlgezeichnet eine traurige Spur durch das Leben ziehen und eine ebensolche über den Spiegelboden unseres Lokals legen, sofern wir uns, solcherart schicksalsmarkiert, durch dieses bewegen dürfen und nicht auf die Strasse hinaus geworfen werden.“
„An der Stelle würde ich sofort einen Strich unter unsere Präsenz ziehen und gehen. Die hier werden es aber nicht so weit kommen lassen. Denn wir sind zwei Schmuckstücke, die man nicht einfach auf die Strasse stellt. Dort könnten wir gestohlen werden und der wertvolle Schatz könnte dann diesem Geschäft fehlen. Das aber mit dem Mehl gefällt mir“, bemerkt Elfie. „Der Vorschlag ist so richtig mehlig, so dass er unweigerlich an allem kleben bleibt, was mit ihm in Berührung kommt. Das wird unseren beiden Freuden recht den Kopf verkleben. Lass uns die Idee weiterspinnen, bis die Robis zurückkommen.“
„Ja, mit dem Mehl wollen wir weiterkochen. Von uns beiden aufgewirbelt, würde es dieser Landschaft ein neues Gesicht geben.“
„Das wird eine, eine …“
„Tolle Fete.“
„Ganz richtig.“
„Das Mehl würde sich über alle Spiegel legen und die Welt in eine obskure, dunkle Gesellschaft freudloser Unterdrückung verwandeln, wo nur Zucht und Ordnung das edle Weib beherrschen und kleiden. Das gäbe einen matten Einblick von dem, was die zuweilen von obskuren Gedanken regierte Welt uns Frauen antut.“
„Ein solches vermehltes Fest mag ich nicht. Ich bin geradezu glücklich, dass ich hier quasi unverhüllt auf dieser Pritsche süsser Kleiderwahl liege und mich nicht in Pappmache durch die Welt bewege, geschweige denn an einer derartigen, frauenmiesmachenden Party beteiligen muss.“
Sölde studiert im Spiegel, der neben ihr steht, ihre Wade und dreht das Bein hin und her und befördert etwas, das wie Staub aussieht, mit der grossen Zehe von der Oberfläche der Pritsche hinab auf den Boden.
„Mit der Zeit“, fährt Elife weiter und streicht gleichzeitig an ihrer Hüfte eine imaginäre Falte weg, „werden wir wundervoll eingemehlt dastehen und dann, ganz anders als wir es jetzt tun, als wilde, weisse Tänzerinnen durch diese Halle wirbeln. Das wird einen Nebel aus Mehl aufwerfen und dem Glashaus eine ganz besondere Note geben.“
„Ja, eine ganz andere Stimmung als jetzt.“
„So etwas wie einen Wüstensturm.“
„Eine Wüstenatmosphäre, in der Weltuntergangsstimmung herrscht und wo die Dromedare ihren Herren einen Tritt in den Hintern geben und die Karawanen verhüllte Frauen hinter sich her ziehen.“
„Das ist ein ganz übles Bild“, bemerkt Sölde.
„Es ist unser Glück, dass wir nicht in einer solchen Einöde liegen und uns als Dementoren, vielmehr Dementorinnen“, präzisiert Elfie, „mit langen, schwarzen Schleiern oder Lappen über Augen, Nase und Stirn durch das Leben schleppen müssen. Dieser Spiegelsaal bietet verglichen zu jener Welt ein geradezu himmlisch anmutendes Bild. Es hebt sich wohltuend von den burkinisierten und politisierten Umstandskleidern ab, welche Frauen gezwungen werden zu tragen“, schiebt Elfie nach und schaut zu einem der wenigen, kleinen Bildschirme hinüber, der diskret zurückhaltend Werbefilme vorstellt.
Das Display hebt sich nicht sonderlich von der Umgebung ab. Es löst sich auf in den weiblichen Akten, die sich in den Spiegeln zeigen. Das originale Bild liefern die Frauen, welche den Verkaufsraum bevölkern. Die Damen in den Werbenachrichten unterscheiden sich nicht von jenen, die im Laden auf ihre Kleider zur Anprobe warten. Elfie blickt wieder hinüber zu ihrer Freundin, die meint: „Wir liegen hier von allen Binden und jedem Band befreit, mit welchen Männer uns Frauen in unserer Bewegungsfreiheit einschränken wollen.“
„Den Stoff für uns Frauen haben sie in der Hand. Sie machen die Mode. Das dürfen wir nicht vergessen.“
„Wir bestimmen, was wir tragen wollen.“
„Nicht alle Frauen können das“, wirft Elfie ein. „Etliche dieser Männer wollen uns Frauen verstecken. Sie diktieren den Frauen Gewänder, deren Inspiration sie sich von Manitu oder irgendeinem anderen Weltengründer geholt haben wollen. Es ist zuweilen doch recht gespenstisch, was aus der Garküche der männlichen Inspirationen oder vielmehr der männlichen Weltanschauung erwächst.“
„Dann doch lieber nur ein Tuch über den Kopf, um unser Haar vor dem Mehl zu schützen, das wir zu unserer Aufheiterung um uns aufwerfen wollen“, meint Sölde entschieden. „Alles andere lassen wir frei für unser Fest.“
„Mein Haar ist mein und auch mein Gesicht. Da lasse ich mir von niemandem dreinreden und ganz sicher nicht von Männern, die mir vorschreiben wollen, was und wieviel ich von meinem Haar und von meinem Haut zeigen soll“, erklärt Elfie und fügt hinzu: „Mein Gesicht brauche ich nicht zu kaschieren. Wenn ein Mann sich an diesem stört, so will ich es doch nicht verbergen.“
„Du hast recht. Wir Frauen machen ihnen vor, was sie zu tun haben, wenn wir nicht schlapp machen und uns durch deren von Gottes Gnaden selbst gewährter Gewalt einschüchtern lassen.“
„So ist es. Es braucht weibliches Löschwasser, um solches Schwarzmehlsackdenken aus der Vorstellung uniformgelenkter Männer zu entfernen und diesen etwas Lebensfrische einzuspritzen.“
„Eine auf Hüllekleidern basierende Religionskur wollen wir unseren Freundinnen links und rechts nicht zumuten. Eine derartige, kleiderverfügte Mehltauschocktherapie „, so Sölde, „würde ihnen nicht gut bekommen und zudem unseren Ruf schädigen, wären wir die Urheberinnen.“
„Den Männern“, meint Elfie, „muss man ab und zu die einengenden Schablonen aus dem Tresen enggelenkten Denkens lösen, die sie sich aufgrund falsch verstandener Traditionen zulegen und als vorfabrizierte Auslegeordnung vor sich hin ausbreiten. Wir wollen doch nicht, dass unsere Männer zu fremdgeschalteten Computern werden.“
„Das meine ich auch. Die Männer, die den Frauen das Tuch über den Kopf ziehen,“ – Sölde ist aufgrund der angeworfenen Diskussion, in welche sie sich mit ihrer Freundin eingelassen hat, nun auch auf den Geschmack argumentativ gefestigter Überlegungen gekommen – “ haben was von Robotern, die keine Beziehung zu sich selber finden. Sie lassen sich absolut fremdgesteuert lenken. Der Blick auf das verschleierte Gesicht der Frau dient ihnen als Spiegel auf das eigene Gesicht: Je weniger man vom Haar der Frau sieht, desto mehr Substanz fällt vom Gesicht der Männer weg und desto enger ist das Denken dieser Herren. Die würden schön gucken, wenn sie hier herein kämen und uns in all diesen Spiegeln sehen würden.“
„Das hast du richtig gesagt: Nicht Mann, aber Herr“, pflichtet Elfie bei und ergänzt: „Ist das Gesicht der Frau weg, versteinert der schon stumpfe, dunkle Ausdruck des Herrn in Eiseskälte und wird zur engmaschig getragenen Maske, die kein Lächeln zulässt, sondern nur ein freudlosen Grinsen. Er windet sich weiteres Eisen um die Brust und wird zur ausführenden, mechanischen Puppe eines Denkvorgangs, der sich, alles durchdringend, seiner selbst beraubt. Eben ein Roboter.“
„Die Herren sperren sich in die eigenen Gefängnisse ein und sehen die Welt wie durch die Gitterstäbe einer Burka.“
„Nur“, bemerkt Elfie, „sieht man ihnen das nicht von aussen an. Erst wenn man mit denen spricht, werden die inneren Gitterstäbe sichtbar. Es ist mühsam mit ihnen. Das unsichtbare Gitterwerk, das sie mit sich tragen, führt dazu, dass sie aus dem Gedankengefängnis nicht heraus kommen, in das sie sich gesetzt haben. Männer, die hinter Gittern sitzen, sind nicht schön. Ihr Geschleier muss weg. Diesen Zuhältern des geistig Eingeschlossenseins gehören die Gitternetze vom Gesicht gerissen. Danach werden sie bei den Frauen von selbst fallen.“
Ganz erstaunt blickt Sölde ihre Freundin an und stellt dann ganz perplex fest: „Du sprichst ja geradezu voller politischem Engagement und philosophischem Elan.“
„Mag sein. Vaganten sind sie dennoch. Ich mag die nicht. Wir können denen nur zu Geist verhelfen, indem wir Frauen die Kleider ablegen und so diese Männer bloss stellen und ihre Blick öffnen für das, was die Welt an Freuden bietet. Die geistige Aufwertung dieser Männer muss über ihre eigene Frauen geschehen und dabei müssen wir deren Gemahlinnen, Gespielinnen und Töchter unterstützen. Wir müssen die Männer von den Ketten befreien, die sie den Frauen anlegen.“
„Wir Frauen müssen unsere Mode selber gestalten.“
„Hier machen wir einen Anfang, hier sind wir doppelt gut bedient. Das nach allen Seiten offene Gitterwerk des Spiegelraumes macht uns Frauen frei. Wir dürfen uns kleiden, wie wir wollen. Hier zwingt uns niemand eine religionspädagogische Zwangsjacke auf. Die vielen Spiegel sorgen für Durchsicht und offenbaren die verschiedensten Perspektiven. Das ergibt ganz unterschiedliche Sichtweisen. Sie wirken sich bereichernd auf das Angebot aus. Wir müssen nur um uns schauen und dann sehen wir, was an Kleidern die Frauen in grosser Vielfalt gut kleidet.“
„Aufgrund der Freiheit, die wir leben“, wirft Sölde ein, „können wir den Männern Mehl in die Augen streuen. Die Roboter machen uns frei. Hier lassen wir uns kein Gitterwerk aus Stoff und Rosshaar als Sichtfenster vor das Gesicht hängen, wie es den von den Traditionen eingefangenen und festgesetzten Frauen widerfährt.“
„Ich stimme dir zu. Dafür sind wir hier. Mit den Kleidern, die unsere Körper frei lassen, wollen wir die Welt erfreuen und all jene erschrecken, die Angst vor unserer Nacktheit haben. Die kurzen Röcke, die wir anziehen, und die taillierten Dessous dienen wirklich ideal dazu, um bei den geistig eingemehlten Kreaturen den Mehlstaub wie mit einem Hexenbesen aufzuwirbeln und hinaus zu befördern, so dass sie schliesslich von ihren Röhrenblicken befreit dastehen.“
„Damit könnten wir an Grenzen stossen. Viele Männer werden unseren Hexenzauber nicht zu schätzen wissen.“
„Wie meinst du das?“
„Erinnerst du dich an die kleine Bahn?“, meint Sölde und nickt hinüber zum Ausgang.
„Welche?“
„Die drüben im Schaufenster, an der Strasse, draussen.“
*
„Scharf sehe sich aber gar nicht, um auf den Zweck unseres Besuches zurückzukommen, wo unsere Robis bleiben.“
Es handelt sich um jene Bahn, die in einem Schaufenster auf einer kleinen Geleiseanlage brav ihre Runden dreht. Viele Passanten gehen an ihr vorbei. Wenige bleiben stehen und gucken zu, wie die Lokomotive ihre Kreise zieht und immer wieder die Kurve nimmt, die sie schon tausendfach gefahren ist. Die Bahn erinnert an jenen Panther, der, eingesperrt in einem engen Käfig, endlos an den Stäben seines Käfigs entlang streicht, sie nicht mehr zählt und nur noch in sich geht und geistig verendet.
„Stimmt.“
Das Gespräch nimmt eine ganz unerwartete Wendung – als ob es nicht durch Stäbe und Stoffe gefangen wäre. Sölde setzt ganz keck Elfies Schwärmen übers Tanzen und Mehl ihre Idee vom Spielzeug Bahn gegenüber.
„Das mit dem Panther, der an die Stäbe gerät und hinter diesen keine Welt, das passt, denke ich, ganz gut zur Modelleisenbahn. Diese Adepten der mechanischen Selbstinszenierung bewegen sich auch in einem allerkleinsten Kreise. Wohlmöglich ist der Mann, der sich einer solchen Selbstfindung hingibt, selber ein gefangener Panther – nur dass er den Käfig aus Schienen freiwillig um sich legt. Ob er aus diesem herauskommen will, ist wahrlich eine andere Frage. Dort hat er Übersicht, dort ist er Meister.“
„Da muss einer wahrlich kleinkrämerisch ausgerichtet sein, wenn er seine ganze Zeit darauf verwendet, auf einem Brett einen Schienensatz zusammenzuzimmern“, spinnt Elfie den Faden der Freundin weiter. „Er macht dann zwar schon eine Modelleisenbahn daraus, die dem entspricht, was er will. Doch, sind die Geleise einmal gezogen, was tut er dann? Er ist Meister – und was noch?“
„Darüber kann er sinnen. Er kann dann wie der Panther, wenn er sich aufrichtet, eine weitere Runde drehen und den Fragen nachstellen, die ihn bewegen.“
„Da stellt sich aber schon die eine Frage: Welcher Frage? Er müsste wohl jener nachgehen, wer in seinem Spiel, wen im Griff hat? Der Bahn den Mann oder der Mann die Bahn. Das will ich hier auf meiner Pritsche nicht entscheiden.“
„Du meist also, ob nun der Zug auf der Schiene fährt oder der Mann, das tue nichts zur Sache.“
„Scheuklappe oder Schiene: Es kommt beides auf dasselbe heraus. Panther und Mann unter scheiden sich in der Sache aber doch erheblich. Sie treffen sich im Unterschied vom selbstverordneten Tunnelblick oder fremdverordneten Burkablick. Das macht den Panther aber auch nicht glücklicher“, schiebt Elfie nach.
„Du siehst das ganz scharf.“
„Scharf sehe sich aber gar nicht, um auf den Zweck unseres Besuches zurückzukommen, wo unsere Robis bleiben. Und ich frage mich nun doch ganz ernsthaft: Wo haben diese ihren Blick, dass sie einfach nicht zurückkehren?“, meint nun Elfie. „Haben wir die etwa mit unserem ganzen Gerede derart durcheinandergebracht, dass ihnen Konfuzius abhanden gekommen ist? Studieren sie etwa die Bildschirme, um heraus zu finden, was wir uns als ideale Kleider wünschen, und werden dabei nicht schlüssig?“
„Die lassen nichts von sich hören, als hätten sie sich in einem Kreis verfangen, aus welchen sie nicht herauskommen.“
„Sie hören uns vermutlich noch immer im Geheimen zu und rotieren. Vermutlich haben wir mit unseren Überlegungen ihr Räderwerk und ihren elektronischen Schaltkreis derart durcheinander gebracht, dass die Elektrohirn aus dem Ruder gelaufen ist und uns die beiden Gesellen nicht mehr zuzuführen vermag. Ein Kurzschluss wird sie in ihrem rechnerischen Verwaltungsbezirk zurückhalten. Der muss wieder lang geschlossen werden.“
„Dann wollen wir halt noch ein Stück lang auf sie warten“, konstatiert Sölde kühl.
„Und uns zurücklehnen.“
Die beiden lassen nun auch den Kopf auf das Polster sinken, das ihren Körper in der Waagrechte hält, und schweigen. Sie blicken zur Decke. In den Spiegelbildern über sich betrachten sie, wie sie nebeneinander liegen. Sie lassen die Blicke über ihre leicht bekleideten Gestalten ziehen. Einige konvexe und konkave Kugelspiegel setzen die beiden Damen in variierenden Körperformen in eine neue Umgebung, die in den Perspektiven nicht jenen entsprechen, welche der Boden an die Decke sendet.
*
„Ich pflichte dir bei: Damit ich sie an meinen Slip lasse, müssen sie mir anders kommen als in Stahl und Draht.“
Das Warten zieht sich in die Länge. Keiner der beiden Elfie und Sölde zugeordneten Roboter zeigt auch nur einen seiner Greifer, geschweige einen anderen Teil von sich. Wohlbefinden macht die Kundinnen gefügiger und erhöht ihren Kaufwunsch, heisst vermutlich an dem Ort eine der Verkaufsmaximen.
Elfie und Sölde liegen, geplagt von der Neugierde, was die Roboter ihnen als neue Kleider bringen werden, und halten darum nicht still. Sie suchen nach neuen Themen, über welche sie plaudernd die Wartezeit verkürzen können. Sölde setzt in ihren Gedanken unweit vom eben beendete Gespräch über die Bahnen an: „Die Gewalt der Technik dürfen wir nicht unterschätzen. Sie ist genauso hart zu nehmen wie die harte Materie selber, aus welcher die Technik hergestellt wird. Sie hält die Welt in Schwung. Ich denke da nicht an unsere beiden zärtlichen Robis und ihre Elektronik. Ich sehe da vielmehr die riesengrossen Schwungräder einer Dampflokomotive die so stark sind wie – nun, wie wer?
„Herkules, meine ich.“
„Ok, das geht hin. Also, diese Schwungräder, die sich weiter drehen und über alles hinweg setzen, was sich auf ihrem Weg befindet. Ganz anders, als die kleine Bahn drüben mit ihren drei Wagen, die im Ringelreihen ihren Kreis zieht. Die Räder sind mannshoch. Die Welt, draussen, reissen sie mit. Da kannst du nur von den Schienen springen, wenn so ein Unding naht, und dich in Sicherheit bringen, wenn die Räder auf dich zu rollen.“
Elfie sinniert kurz und sagt dann: „Einstweilen liegen wir hier und zwar sicher. Unsere beiden Roboter werden uns nicht auf diese Weise begegnen und dampfschnaubend auf die Pelle rücken.“
„Was meinst du wohl, wie wir aussehen werden, wenn die mit Gothic-Kleidern anrücken und uns in Eisen und Silber stecken und uns mit Ketten und Bändern kleiden wollen? Wir könnten dann in unserem Kathedralenlook als Dampflockfahrerinnen auftreten und den Männern auf diese Weise einheizen.“
„Mal nur nicht den Teufel an die Wand!“, meint Elfie. „Die beiden Robibocks sind liebliche Wesen, auch wenn es Roboter sind, die uns warten. Ich sehe in ihnen nach wie vor eine niedliche Modelleisenbahn. Ihr Zug hat zwar den Weg noch nicht zu uns zurück gefunden. Das wird aber schon noch werden. Die Lok dreht fleissig und dampflos ihre Runden. Und sie hat nichts von überdimensionierten Rädern, die über alles hinweg fegen und uns an die nackte Haut wollen. Wenn schon, müssen wir das Fegen übernehmen und für Ordnung sorgen.“
„Was willst du hier fegen? Das ist wirklich eine Aufgabe, für welche die Roboter ausersehen sind. Ich denke, in der Sache sollten wir uns nicht in die Elektronik einmischen.“
„Du hast recht. Wir dürfen ihre Software nicht durcheinandermischen.“
„Sie könnte zusammenkrachen“, setzt Sölde hinzu.
„Was aus unseren beiden Kratzfüssen bei einem Neustart wird, will ich lieber nicht wissen. Sie könnten an die falsche Software geraten sein, die macht, dass sie uns an die Unterhosen wollen. Bei diesen Gesellen müssen wir uns vorsehen und auf der Hut sein.“
„Ich pflichte dir bei: Damit ich sie an meinen Slip lasse, müssen sie mir anders kommen als in Stahl und Draht.“
„Nur keine Angst. Die werden sich nicht in Vorschlaghämmer verwandeln, die uns eine Kopfnuss geben wollen. Hier werden sie sich anständig benehmen. Das gibt die Kleiderordnung vor, auch wenn die Kleider uns im Augenblick nicht zu stark von den schlagenden Blicken unserer Freundinnen schützen.“
„Du hast Humor“, bemerkt Sölde
„Mit den Robibobies müssen wir auch nicht wissenschaftlich argumentieren“, erklärt nun Elfie. „Die verstehen das nicht. Sie sind Maschinen. Was wir aber tun müssen, ist tanzen und sie mit unseren Bewegungen reizen und verführen, auch wenn wir sie auf Distanz halten wollen. Das Spiel ist alles. Unsere Energien frei setzen, so dass unsere Kräfte in alle Richtungen fliegen und zeigen, dass wir viel zu wenig Muskeln haben, um all unser überschäumendes Temperament zu verarbeiten, und dass wir nicht der Roboter bedürfen, um Meisterinnen unserer Lage zu sein. Wir brauchen keine Eisenbahn, die uns den Kopf verdreht.“
„Ja, soweit kommt das noch. Wir bleiben brav hier liegen und lassen uns nicht von unserer überschwänglichen, zurzeit aber ruhenden Lebenskraft hinweg tragen. Ich bleibe hier. Du kannst schon mal ohne mich an den Frauen vorbei tanzen und dich in die Arme der Roboter werfen.“
„Wir Frauen werden uns nicht versetzen lassen,“ entgegnet Elfie.
„Im Augenblick sind wir es, die sitzen und geistig Mehl aufwirbeln und um uns herum streuen.“
„Alles zu seiner Zeit und im rechten Augenblick. Sollten die Dinger zu stark an uns heran kommen, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als aufzustehen und ihnen kräftig den Hosianna beizubringen, so dass es den Apparaturen die Bolzen und Stifte aus der Verkleidung jagt. Wir Frauen dürfen uns nicht unterschätzen. Wir haben einen Kraftausstoss, der immens ist, und überall hin ausstrahlt. Wir senden unser Feuer in unsere ganze Umgebung aus und beleben diese mit unserem Appeal. Das nenne ich Entropie. Die bläst alle böse Technik weg und setzt neue Kräfte frei. Das Leben ist stärker als die Robis.“
„Wo hast du dieses Entropie nur wieder aufgelesen?“, erkundigt sich Sölde.
„Populärwissenschaftliche Lektüre. Ich bilde mich eben weiter.“
„Dir ist, vermute ich, unser Mehltanz zu Kopf gestiegen. Ich sehe, er richtet Schaden an.“
*
„Mit welchem Lockstoff wollen wir unsere lieblichen Stelzenjohnnys herbeizaubern?“
In der Umgebung der Eingangstür herrscht erneut Bewegung. Begleitet von ihrem Roboter betritt eine weitere Kundin den Raum. Vielmehr eine geschäftsgewohnte, will also bedeuten: eine alte – denn die Dame heisst ihre elektronische Hornisse, hinter ihr gehen. Die Frau strebt zielstrebig auf ein Kompartiment zu, das anscheinend für sie frei gehalten worden ist. Die Dame des Hauses weiss, was sich gehört und welchen Platz ihr Zudiener einzunehmen hat. Sie hält das Gerät auf Trab, das ihr folgt. Dieses bekundet Mühe, all den Anordnungen der Dame im gebotenen Zeitraum Folge zu leisten.
Möglicherweise hat der Roboter Alarm geschlagen und Hilfe angefordert. Ausgeschlossen werden kann das nicht. Das Geschäft weiss vermutlich, dass der Frau nur mit mehreren Hauspagen beizukommen ist. Doch die Hilfe eines weiteren, herbeihüpfenden Leibdieners weist die gestandene Kundin resolut zurück, klaubt bereits selber in den paar Kleidern herum, die bereitgestellt sind und der Anprobe harren.
„Schau dir den armen Robi an. Jetzt wurde er von der Hexe zurückgewiesen. Wir dürfen es mit unserem traulichen Reigen aus Pulver und Mehl nicht zu weit treiben. Sonst verwirrt er unsere Robiböks gehörig und vertreibt ihnen den Verstand aus ihrer Elektronik.“
Elfie antwortet: „Die Puder wird ihnen in die Gelenke und Winden greifen und diese verstopfen. Damit wir unsere stählernen Kabinettsmitglieder wieder fit für die Ankleide kriegen, werden wir sie putzen müssen. Und das kann nur über eine Dusche geschehen. Diese soll die Kugellager vom Mehl befreien, so dass die Robiböcke beweglich bleiben und uns umgehend bedienen können.“
„Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass ich mich, und sei es auch nur für eine Dusche, neben einen nackten Roboter stelle. Nicht mit mir! Dazu habe ich keine Lust. Ich mag ihre Öle nicht.“
„Die riechen nach Technik“, ergänzt Elfie mit einem Nasenrümpfer und streicht sich mit der Hand über die Nasespitze. Die andere lässt sie auf dem nackten Bauch liegen. Sie beseitigt noch ein Haarsträhne von der Schulter und sinkt dann wieder zurück in die Rückenlehne.
„Zuerst gilt es aber, unserer beiden Roboter Frau zu werden und ihnen auf die Beine helfen. Wo stecken die nur?“
„Du wirst doch nicht ungeduldig.“
„Die Geduld ist der Technik engste Begleiterin. Und die Technik ist erst noch ängstlich.“
„Die haben wohl, wie die traurigen Gesellen von der Gittergestalt, Angst vor unserer Haut und unseren Gedanken und getrauen sich nicht mehr her“, spottet mit einem süsslichen Lächeln Elfie und grüsst ein Dame aus der Ferne, die sich vermutlich durch das ständige Plaudern der beiden Freundinnen in ihrer Kleideranprobelaune beeinträchtigt fühlt.
Sölde hält am Gespräch fest und erkundigt sich bei ihrer Nachbarin: „Mit welchem Lockstoff wollen wir unsere lieblichen Stelzenjohnnys herbeizaubern?“
„Unsere Robis fahren ganz eigene Schienen. Wir haben noch nicht ganz die Durchsicht auf das, was sie bewegt. Um ihre Augen befinden sich binäre Scheuklappen. Das verunmöglicht unseren beiden von Basalt und Prozessoren gesteuerten Hausgenossen das Wesen unserer Schönheit in der ganzen Tiefe wahrzunehmen. Wie durch Weichen schlecht gelenkt gehen sie an unseren Formen vorbei und achten unserer Pracht nicht. Darum lassen sie uns warten.“
„Ich werde die beiden liederlichen Burschen, wenn sie kommen, an der Schraube nehmen und mit ihnen ein binäres Wörtchen reden. „
„Wir dürfen ihnen nichts zu Schlimmes antun“, warnt Elfie. „Es sind ja nur Roboter. Roboter der Technik und nicht des Glaubens oder der Gewohnheiten. Dort drüben sorgt einer für Aufregung und was wir uns anhören müssen, ist wirklich nicht ladylike. Der hat mindestens eine Schraube locker.“
Einer Dame in unweiter Entfernung serviert ein Roboter ein Erfrischungsgetränk, vegan mit Cervelatextrakt und Sahne, wie er freundlich und resolut verkündet. Elfie denkt sich: Der Geschmack ist gut getroffen.
Diese Wurst eignet sich ausgezeichnet dazu, kalt gepresst zu werden, erläutert der Maschinen getriebene Saalsteward. Auf die Bemerkung hin, in dem Getränk dürfe es nichts Tierisches haben, entgegnet der dienstbeflissene Bewirter, dass der Wurst rechtzeitig alles Fleisch entzogen worden sei und ebenfalls sämtliche Spurenelemente. Sie sei zudem antispezistisch ausgewaschen worden, so dass sich wirklich nichts Verfängliches in dem Getränk befinde.
„Die Kerle sind dämlicher, als ich dachte“, konstatiert Sölde.
„Bei all den Unterbrüchen und Ablenkungen kommen wir gar nicht zu einem Vernünftigen Reden, während wir auf die Robis warten.“
„Diese Computer frönen eine eigene Weltanschauung“, hält Sölde fest. „Was die Frauen uns hinhalten können.“
„Wir könnten unsere Warterei mit dem Plaudern mit einer Dame von nebenan verkürzen.“
„Nein, nur das nicht. Dann dauert das Warten noch länger und wir kommen nie zu unseren Kleidern. Die haben uns eh fast nackt hier hingelegt, damit wir ihnen nicht davon laufen.“
„Es nimmt mich aber doch wunder, wo die sich herumtreiben. Wir sollten aufstehen und denen hinter die Kulisse schauen.“
„Wir können uns wirklich fragen, warum sie so lange auf sich warten lassen, und auch, was sie für ein hinterhältiges Spiel treiben. Wollen die eigentlich nur, dass wir den anderen Frauen zuschauen und uns selbstsüchtig mit ihnen vergleichen. Wir sind hier, um Kleider anzuprobieren, und nicht für etwas anderes. Vermutlich stehen in dem Laden das Geniessen und Anpreisen von uns Frauen über dem Anpreisen der Garderoben.“
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Wenn sie kneift, dann gute Nacht
Das Warten auf die Technik ist eine gigantische Angelegenheit. Wenn die Technik funktioniert und sie ihre Arbeit so erledigt, dass der Mensch zufrieden mit ihr sein kann, dann ist es eine kurze Angelegenheit. Wenn sie jedoch kneift, dann gute Nacht! Dann kann es mehrere Morgen dauern, bis sie wieder zufriedenstellend funktioniert.
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„Unsere Robis mit ihrem Tunnelblick könnten auf dumme Gedanken kommen und uns auf einmal, durch unsere Worte inspiriert, mit Mehl bewerfen.“
Elfie schaut weg, hin in eine andere Richtung des Saales, und hört zu, wie Sölde anregt: „Ich schlage vor, dass wir so liegen bleiben, wie wir sind. Wir wollen unsere beiden, mechanisch gehaltenen Brüder nicht mit den stofflichen Abdeckungen, die nur Weniges von uns verhüllen und darum unser Ebenmass bestens zur Geltung bringen, in die Bredouille bringen.“
„Wenn wir ihnen zu viel von unserem Charm zeigen, wird der Neid ihnen nur Akne auf die Metallhaut treiben und keine Röte.“
„Bei den beiden Kerlen, die uns härmen, wird es vermutlich nur Rost sein, das aus ihrem Gestänge treibt.“
Wenn die Technik nicht will, steht der Mensch still. Das ist keine Durchsage, welche von einem Deckenlautsprecher stammt. Vielmehr handelt es sich um einen Gedankenzug, der aus dem Gespräch zwischen den beiden Frauen stammen könnte. Doch diese führen ihren Dialog auf ihre Art fort.
„Wenn wir uns ganz unter Tuch verstecken, so dass auf der einen Seite nur noch unsere Zehen und auf der anderen unsere Haarspitzen heraus schauen, dann werden die beiden Freunde vermutlich ihre Scheu ablegen und wieder zu uns strotzen.“
Sölde schlägt vor: „Vielleicht müssen wir unsere Wimpern und Lippen abdecken. Mit Tusche oder Schönheitscreme. Am besten mit silbermetallenem Lack. Der lockt sie möglicherweise herbei.“
„Nein, das nicht. Ich bin zuversichtlich“, affirmiert Elfie. „Die tauchen wieder auf“, versichert sie ein zweites Mal. „Unsere Roboter sind nicht wie Robotermänner, die sich selbstgerecht an unserer Schönheit vorbei leiten, und uns, aus welchem Grund auch immer, nicht in unserer vollendeten Ausformung wahrnehmen wollen. Möglicherweise sind jene scheu. Unsere Roboter sind das nicht.“
„Wir sind gesittet und wissen darum, wie wir uns zu benehmen haben. Wir müssen aufpassen und nicht zu viel von Mehl reden.“
„Unsere Robis“, meint Elfie, „mit ihrem Tunnelblick, der durch ein Gitterwerk aus Schaltkreisen und Drahtverschaltungen modelliert ist, welche die Computer und Roboter hierhin und dorthin führen, könnten auf dumme Gedanken kommen und uns auf einmal, durch unsere Worte inspiriert, mit Mehl bewerfen.“
„Es kann gut sein, dass die beiden Geräte heimlich zugehört haben und, um uns foppen, aus lauter Einfalt so etwas wie Mehl mitbringen und diesen Showroom in eine Garküche verwandeln, vielmehr, so ungeschickt wie sie sind, mit Getreidepuder direkt in eine Mehlsuppe überführen, wo es unser ganzes Haar zusammenklebt und unsere Kleider zum Maische macht. Tollpatschig wie die sind, könnte ihnen dieses Chef d’Oeuvre gelingen.“
„Es könnte aber auch sein, dass sie diesen Raum in ein Schlaraffenland mit tausend Leckereien aus Mehl und Zucker transformieren, die sie für uns produzierten.“
„Dann würden die Roboter allerdings nicht so agieren, wie wir es gewünscht haben und unserem Entscheid zuwider handeln“, warnt Sölde. „Der Dienst kann uns gestohlen bleiben.“
„Stimmt, wir sind nicht hier, um zu essen. Kleider müssen her, nicht Kalorien.“
Die beiden Frauen pausieren, bis Sölde das Gespräch wieder aufnimmt: „Also, wenn sie das tun, dann ziehen wir ihnen das Zuckerzeugs eigenhändig über den Kopf und stopfen damit ihre Ritzen zu. Dafür stehe ich sogar auf. Wenn wir ihren Kopf mit unserer Mehlspeise gut anrichten, dann wird man unter dem ganzen Stoff- und Mehlgemenge, das ihre Metallschädel bedeckt, gar nicht mehr merken, dass unter der Hülle Hightech steckt. Diese Gebilde werden für wandelnde Vogelscheuchen gehalten werden.“
„Der Anblick wäre wirklich“, so Elfie, „ein Jammertal. Da lob ich mir meine grosse Zehe, die über den Liegestuhlrand in die Gegend guckt und den Robis zuwinkt, sobald sie wieder kommen.“
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Die Frauenbediensteten verhalten sich so, als sei das Ausbleiben etwas ganz Normales.
Doch von den beiden Gesellen zeigt sich weit und breit keine Spur. Deren Kommilitonen drehen derweil in anderen Kompartimenten ihre Runden und lassen die beiden wartenden Kundinnen links liegen oder vielmehr auf ihrer Pritsche ausharren, ohne dass sie den zwei leichtbekleideten, wartenden Schönen irgendeine Nachricht von ihren säumigen Burschen überbringen. Die zahlreichen hurtigen Frauenbediensteten verhalten sich ganz so, als sei das Ausbleiben der beiden Hausangestellten etwas ganz Normales im Kreislauf, der Kundinnen und Angestellte verbindet.
*
„Die haben keinen Atem. Bei denen gibt es nichts zu küssen.“
Genüsslich dreht Sölde währenddessen gelassen eine Ferse und betrachtet diese – stellt dann fest: „Hast du gemerkt, die getrauen sich nicht, auf unsere Beine zu schauen. Wir haben hier aber doch allesamt so schöne Beine.“
„Ich glaube, unsere beiden Roboköks sind in einen Prellbock geknallt und haben sich dabei den Schädel eingeschlagen. Was haben wir beide nur angestellt, dass den beiden so etwas widerfahren ist? Das wird hoffentlich nicht an unserem Reden oder an unseren Beinen liegen?“
„Wenn ich wüsste, dass sie uns zuhören, würde ich dir die richtige Antwort liefern. Aber so wie die Dinge nun liegen – und ich meine damit nicht uns beide – muss ich dir antworten: Ich sehe die beiden Robis nicht und kann mir darum kein Bild von ihrem Zustand machen.“
Elfie pflichtet bei: „Sie sind schon so lange fort, dass auch ich mir bald keines mehr von ihnen machen kann.“
„Die Beine bringen mich auf eine Idee. Wir sollten diese zusammenlegen und einen Strauss bilden, der so schön ist, wie Frauen nun einmal sind. Wenn wir uns Frauen zu einer Blumenblüte zusammenlegten, nicht ineinander verwoben, wie die Blätter einer Rose, sondern wie die Aster, welche ihre Blütenblätter brav nach allen Seiten sorgsam ausbreitet, und dabei die Beine fein ausstrecken, dann formen wir gleichsam einen Kelch, der die Robis aufnimmt.“
„Oh, das wird sie noch mehr erschrecken. Sie werden die Spiegel hinauf klettern wollen, um sich dort zu verstecken, obwohl wir sie auch dort von allen Seiten sehen. Für sie gibt es kein Entkommen.“
Sölde hält an ihrem Bild fest: „Wir formen einen Blütenkelch, der wie Honig unsere Bären anlockt.“
Elfie bemerkt: „Die sind nach wie vor wie von der Bildfläche verschwunden. Als ob wir sie mit unserer bezaubernden Nacktheit erschreckt hätten und diese ihnen auf das Blech geschlagen hat! Die werden wohl Angst vor uns haben. Sie benötigen, denke ich, wohl etwas Aufklärung.“
Sölde spinnt den Faden weiter: „Mit unseren Beinen sollten wir beginnen und tatsächlich einen Reigen starten und die lieben Roboköks mit den Waden packen und mit den Schenkeln verköksen und ihre Leiber biegen. Das würde sie ihres Atems berauben und sie ganz benommen machen und ihnen auch zu Respekt gegenüber den Frauen verhelfen, die sie warten lassen.“
„Die haben keinen Atem. Bei denen gibt es nichts zu küssen. Wenn die unsere Beine sehen, rechnen sie nur aus, wieviel Stoff sie über diese ziehen können.“
„Ein rechter Mann denkt sich dagegen aus, wie er diesen Stoff so schnell wie möglich von den Beinen weg bringt.“
„Denen gehörte es, dass ihnen die Tücher, die sie auf ihren Gerippe tragen, mit Disco aufgebläht werden, so dass sie ihnen vom Leibe fahren und die Dinger völlig nackt dastehen.“
„Aber anrühren werde ich die Gestalten nicht“, erklärt Sölde.
„Einen Körper aus Haut und Blut besitzen die nicht.“
„Die würden, wenn sie nackt dastehen, recht fad und blass daher kommen, also nichts, wofür frau sich begeistern könnte.“
„Eine echt anämische Gelenke-Stangen-Konstruktion, in der sich keine Frau verfängt, so etwas Vampirhaftes“, pflichtet Elfie bei.
Sölde dreht den Gedanken weiter: „Wenn wir jetzt hier eine Disco veranstalten würden, dann würden die letzten Stofffetzen von unseren Leibern fliegen.“
„Wir wären gänzlich putzig nackt, aber kein Knochengerüste und auch kein Skelett, das von Motoren bewegt wird. Wir wahren unsere Beinfreiheit.“
„Dort drüben schlagen sie sich.“
*
Ob es sich um die Inszenierung einer Ankleideperformance oder um die praktische Umsetzung eines reellen Ankleidevorgangs geht, bleibt für Sölde und Elfie vorerst unklar.
Was aus der Ferne wie ein Handgemenge wirkt, entspricht in Wahrheit einer Doppelhilfestellung. Zwei Roboter haben sich einer Frau angenommen. Im Doppelpack stehen sie ihr bei. Nicht dass die Dame besonders voluminös wirkt und sie darum zwei Roboter stemmen müssen. Dass sich zwei an ihr gut tun, wird seinen triftigen Grund haben.
Aus der Nähe betrachtet, kann das Gebilde als Kunstwerk aus Fleisch und Stahl angesehen werden, in welches eine weibliche Nacktitüde eingebaut ist; als ein modernes Kulturgut also, das aufgrund der schnellen technischen Entwicklung in der Welt bereits schon fast Museumscharakter hat. Wie Lappen hängen die Streifengewänder der Metallhelfer über der Konstruktion, die sich langsam bewegt und eine Rotation vollführt, um die Frau wieder auf den Boden zurückzuführen.
Ob es sich um die Inszenierung einer Ankleideperformance oder um die praktische Umsetzung eines reellen Ankleidevorgangs geht, bleibt für Sölde und Elfie vorerst unklar. Sie können auch nicht ausmachen, ob die beiden Robos eine Puppe handhaben oder eine reale Frau aus Fleisch und Blut. Moderne Mannequins wirken zum Teil absolut fleischecht.
Kunst deutet die Darbietung an. Anders kann das Gerangel nicht interpretiert werden. Das Artefakt löst sich nun endgültig auf. Die Frau gleitet aus der Umklammerung, in welche sie von den beiden Robotern genommen worden war.
Die Etüde ist beendet. Die Eva steht, mit einem Kleid aus feinem, hellrosenem Plissee angetan, das Stellen über der Hüfte, unter der Brust und bei den Schultern offen lässt, dabei die Beine und Arme wenig bedeckt, zwischen ihren beiden Helfern, die aus der Ferne wie zwei mit Antennen gewirkte Säulen anmuten.
*
„Wir Frauen warten ja nur darauf, dass wir beim Tanzen anders als mit den Robotern aneinandergeraten.“
Die Dame entlässt ihre Robis und dreht sich vor den Spiegeln. Einmal mehr ist die Haltung der Diva, die sich an dem Ort öffentlich beschaut, dazu angetan, die Rundungen des weiblichen Leibes in all ihrer Pracht, ihrem Zauber und Liebreiz zur Geltung zu bringen und dies, als ob kein Kleid die Haut bedeckte. Brust und Po betont die Lady vollendet mit ihrer Drehung und nimmt anschliessend mit einem zufriedenen Seufzer auf ihrer Liege Platz.
Wenn die Technik mit dem Warten startet, verharrt der Menschenstand im Stillstandskater.
„Das war ein Ding. Das putz ich grad weg. In eine derartige Drangsal sollen unsere Roboter mich nicht bringen“, verkündet Sölde resolut und blickt nun zu Elfie.
Diese meint hingegen: „Mich würde das nicht stören. Ich fühle mich völlig warm. Wie fühlt sich wohl eine Massage an, die ein Roboter ausführt?“
„Also, da bin ich wirklich für einen anderen Weg“, widerspricht Sölde und schlägt als Ausgleich gleich vor: „In dem Raum sollte man, so zur Aufmunterung, Aufbesserung und weiteren Aufwärmung und um uns die Wartezeit zu verkürzen, wirklich, wie du es vorschlägst, eine Disco vom Stapel lassen.“
„Die würde die ganze Bande aufrütteln und durch und durch durchaneinander schütteln und schliesslich die Sache mit unserer Warterei etwas vorwärts bringen, wenigstens einen ganzen Schritt“, mutmasst Elfie.
„Auch wir müssten aufjucken.“
„Wir Frauen warten ja nur darauf, dass wir beim Tanzen anders als mit den Robotern aneinandergeraten und näher zueinander finden, als Kleider es gestatten.“
„Oh, so weit sind wir noch nicht.“
„Unsere beiden Robis haben uns noch nicht mit dem ausgestattet, was sich zum Tanzen eignet. Aber das ist kein Grund, der verhindert, dass wir sie weiterhin ärgern.“
„Ich will hier weiter meinen Leib sonnen und das ganz ohne, dass ich meine Beine mit einer dieser Konkubinen teile und meine Glieder in den ihren verdrehe. Ich bin heute eine Distel, auch den Robotern gegenüber. Auf die bin ich nicht scharf. Die sind lähmend. Die sind ätzend.“
„Wir müssen die nur etwas rocken. Dann werden sie für uns auch das passende Kleid finden.“
„Deine Zuversicht teile ich nicht. Wir warten uns bereits dumm und dämlich. Meine Zehnnägel wachsen bald über den Rand dieser Liegestatt hinaus. Wir sehen ja fast danach aus, als lägen wir hier für das Schafott bereit. Es nimmt mich doch langsam sehr wunder, was die beiden Kerle mit uns vorhaben“, bemerkt Sölde.
„Ihnen muss man die Kleider von innen nach aussen kehren. Nur dann werden sie erahnen, welches Kleid der nackte Körper braucht. Ich glaube, ihr Fall ist nicht ganz hoffnungslos. Bei dem Wenigen, das wir anhaben, sollten wir den Robis den Blick unter den Stoff gewähren und ihnen unsere intimsten Geheimnisse offenbaren.“
„Auf welche Gedanken willst du unsere Robis bringen?“, fragt Sölde vorsichtig.
„Heute verkauft sich Sex auch aus dem Computer heraus.“
„Du meinst doch nicht allen Ernstes, dass Chester und Pistel unsere Pixel-Liebhaber werden sollen! Die Warterei setzt uns wahrlich übel zu, so dass du auf derart dumme Ideen kommst. Warten ist ungesund und verdirbt die Moral.“
„Sex auf dem Bildschirm hat Hochkonjunktur“, sagt Elfie nur und fährt gleich weiter: „Ich meine: Wir zwei drehen ganz einfach das Rad um. Den Bildschirmen bieten wir selber Sex. Die Robis sollen ihre Kameras auf uns richten, wie die Männer ihre Augen auf die Bildschirme, welche ihnen Frauen vorspielen. Die beiden Robis sollen uns zuschauen und sich an dem Bild weiden, das wir ihnen übermitteln. Das wird sie in Stimmung bringen.“
„Wir bilden den Blickfang. Wir sind aber jene, welche die Robis betrachten.“
*
Mit dem vertrauten Empfinden eines aufblühenden, sich erfüllenden Körpers fliesst die Zeit dahin, als ob es kein Warten auf die Roboter gäbe.
Auch die Spiegel fangen das Bild auf. Sie sind nach allen Seiten gedreht und blicken, alle Perspektiven aufnehmend und multiplizierend, in jede Richtung. Sie sind Teil der Bauchschau, der sich die Frauen im Spiegelraum hingeben. Die reflektierenden Glaswände ersetzen das natürliche, trunkene Bad im eigenen Körper nicht, fassen aber durch die Vielzahl der Spiegelungen die Körper von allen Seiten ein. So wird unklar, wer wen anblickt, wer gesehen wird, wer nach dem Anderen schaut.
Elfie uns Sölde betrachten sich in den reflektierenden Flächen gegenseitig. Die mehrfach narzisstisch rückstrahlenden Scheiben, die wiederholte Doppelungen des eigenen Leibes führen zu variationsreichen Blickfangspielen. Die körperliche Nähe, welche die beiden Frauen aufgrund der nicht weit auseinanderstehenden Liegen erspüren, wärmt die Haut jedoch besser als die kalten Glasreflektoren. Mit den Augen touchieren die beiden Frauen ihre Haut, die, als ob sie heimlich berührt würde, als Lustorgan erwacht.
Anders als beim Tanzen, an einer Feier, wo sich die Körper auf ganz konventionelle Weise nähern, wo sich Schweiss und Atem in die kontaktreichen Berührungen mischen, der eigene Körper aktiv an den Bewegungen des anderen Leibes teilnimmt, liegen die beiden Schönen sittsam getrennt im Raum, aber einander doch so nah, dass sich die Körper mit Wärme und zauberhaften Gefühlen füllen. Spiegel ersetzen diese Nähe nicht.
Über die Glieder streifen verschiedene, verstohlene, aber auch unverhüllte Blicke, nicht nur jene Söldes und Elfies. Sie reizen die Sensoren der Haut. Diese lebt auf und füllt sich mit satter Farbe und entropischer Potenz. Mit dem vertrauten Empfinden eines aufblühenden, sich erfüllenden Körpers fliesst die Zeit dahin, als ob es kein Warten auf die Roboter gäbe. Ihr kalte Materie, ihr kühles Ausbleiben prallt ab an den Spiegelbildern, die sich ein Kommen und Gehen der Gefühle liefern.
Elfie und Sölde liegen sich so nah, dass sie jedes Detail am Leib der Nachbarin ausmachen, und doch so fern – dass Elfie den Duft der Freundin nicht riecht, aber sieht. Die Nähe des fremden Körpers macht sie schier schwindlig. Elfie räkelt sich, als ob Lust gewonnen wäre.
„Mit unserem Sexappeal drehen wir die Computer auf.“
Den Gedanken teilt Sölde nicht uneingeschränkt. Ob dies auf das Ausstehen der Roboter zu tun hat, ist nicht klar. Sie sagt lediglich: „Ich weiss eigentlich gar nicht, was ich mit so einer Kiste lustmässig anfangen soll.“
„Wir müssen die Umkehrung der Gefühle anstreben: Ich spüre nicht, bin kalt, der Computer aber mich ganz heiss.“
Sölde gibt sich erstaunt: „Mich nimmt wunder, was der Computer an mir spürt, wenn ich ihn berühre.“
„Im Grunde so viel wie ein Bildschirm, wenn der Mann seinen Sprutz vor ihm ablässt.“
„Also gar nichts.“
„Es muss aber doch einen Weg geben, wenn ich meine Idee munter weiter spinne, wie wir den Computer ganz wild auf uns machen können.“
„Die programmierte Welt kennt den Po nicht.“
„Was meints du damit?“, erkundigt sich Elfie.
„Ein Roboter weiss nicht, welche Gefühle Po und Bauch, der ganze Körper auslösen können. Da kann man die Elektronik noch lange mit Zahlen füttern und aufturnen und Programme schreiben. Sex verwandelt den Körper in Geist. Und an dem mangelt es bei jenen Dingen, die uns jetzt warten lassen. Denen muss man erst mal ein Programm eingeben, damit sie zu uns zurück finden. Auch die autogenerierte Weiterentwicklung der Zahlenreihen wird den Geist nicht herbei zaubern. Die werden ewig“, so Sölde, „nur ausrechnen und berechnen und Zeilen ziehen können wie die alten Lineale, die für die Buchhaltung und das Schlagen von Kindern taugten. Denen mangelt es ganz einfach an einem Hirn, das mit Lust gefüllt werden kann. Unser Po ist für die lediglich das rechnerisch umgesetzte Abbild einer Zahlreihe, die irgendeinen Körperteil, ein fleischloses Ding zeichnet, ohne jedes Gefühl.“
„Man sollte die Computer wirklich mal so programmieren, dass sie ganz geil auf uns Frauen werden“, findet dagegen Elfie. „Aber so bereitwillig, wie sie auf Knopfdruck Nacktes auf den Bildschirm zaubern, werde ich mich ihnen gegenüber, den Robotern, nicht zeigen.“
„Lustig wäre es aber doch, wenn die Compis und Robis uns nachrennen würden“, bemerkt Sölde auf einmal, als hätte sie ihren Standpunkt geändert. „Sie würden eine direkte Konkurrenz zu den Männern. Die würden die Augen schön aufreissen und uns nicht warten lassen und den Spiegeln aussetzen, wenn wir mit den Computern zum Tanz ausgingen und die versetzten Männer im Regen stehen liessen.“
„Das wäre ein lustiges Experiment, aber nur unter der Bedingung, dass der Robokök nicht natürliche Lust für mich empfindet und mich auch nicht flauschig fleischwarm ausführen will.“
„Mit einem programmierten Gerät gehe ich nicht in den Ausgang. Davon krieg ich eine Hornhaut und zudem noch eine Fusssohlenentzündung – wenn ich nur daran denke! Mit einem solchen Gerät über die Strasse hopsen! Mir würde ganz schlecht“, merkt Sölde an.
„Aber das wär toll! Wir hätten dann einen Männer-Computer-Krieg um uns Frauen entfacht.“
„Das würde zu einem schönen Schabernack führen.“
„Das spielte uns schon die Lysistrata vor. Wir könnten nach ihrem Vorbild die Männer höllisch tanzen lassen. Die Folge: ein schöner Katertanz. Wir Hexen liessen die Kater tanzen, Mann und Computer. Wir Katzen schmatzen dann den Takt dazu. Die Rhabarbaköks in ihren Kleidern grün und rot schauten nur noch aus wie zwei Schwadroneure, die bestens als Hanswürste taugten.“
„Den Mann gesellen wir ihnen unbedingt als Hirsch bei, der platzt, wenn der Neid genug Druck aufgebaut hat“, fabuliert Sölde weiter.
„Dennoch!“, wendet Elfie ein, „die Männer lassen wir uns nicht stehlen.“
„Auch nicht von den Robotergespinsten. Ich hoffe, dass die beiden bald kommen, sonst werden wir noch lange unseren dummen Ideen noch dümmere Geschichten hinzu fügen, um uns die Zeit zu verkürzen. Die Beiden lassen wirklich elendiglich lang auf sich warten. Langezeit und Langweil führen alleweil zu bekloppten Vorstellungen.“
Die unnatürlich lange Wartezeit, die manchen Lover ins Abseits gesetzt hätte, hätte er sich einer Frau gegenüber solcherart verhalten, können die beiden Roboter mit den beiden Liegen kompensieren, die sie Elfie und Sölde zur Verfügung stellen.
Dennoch gibt es Grund zur Frage: „Steckt in der Elektronik, welche die beiden Geräte lenkt, ein Wurm? Ein Tatzelwurm, der durch die Spiegel bricht und in unseren Saal dringt?“
„Nur das nicht“, entfährt es Sölde. „Unsere armen Computerlieblinge würden glatt erschrecken und die Spiegel hinauf klettern, so sie sich oben verstecken wollen, obwohl wir sie von allen Seiten sehen. Und wir müssten hinauf an die Decke steigen, um sie wieder herunter zu holen, damit sie uns mit Kleidern versorgen können.“
„Da wünsch ich mir in dem Raum viel lieber ein Karussell. Dieses dreht sich mit Glitzer und Glanz und Musik im Kreis wie ein Computer, der nicht zu seinem Resultat findet.“
Das Karussell dreht sich in der Tat hurtig. Dies im Gegensatz zum Raum, wo sich zwischen tausend Spiegeln Frauen tummeln, unter ihnen Elfie und Sölde, und sich in vielfachem Licht sehen. Was den Ton jedoch angeht, so kommt aus dem Hintergrund keine Musik, die den Ort durchdröhnt oder anderenfalls berieselt.
Im Verkaufsraum dreht sich das Karussell der tausend äugenden Turteltäubchen wie ein Tingeltangel, das seine Lichter blitzen und glitzern lässt. Die Pferde und Kutschen heben und senken sich. Die Bühne dreht und dreht um ihre Achse. Die Frauen kuscheln sich auf ihren Liegen. Der Verkaufsapparat senkt sich auf die Kundinnen und vermittelt Wohlgefühl.
Wer auf dem Karussell sitzt, ist noch nicht ganz klar. Hocken die Roboter in den Gondeln? Winken zu jenen hinab, die das mechanische Ringelspiel bestaunen? Oder sind es die Frauen, die von den Pferden und Wagen herabschauen? Wer von den beiden sind die Komödianten, welche die anderen zum Narren halten: die narrengekleideten Roboter oder die für deren Dienst bereit liegenden Menschen?
Das Karussell dreht seine Runden und mit ihm all die Pferde, die Menschen und Roboter tragen. Der Drall der kreisenden Vergnügungsbahn verführt zum Ausbruch aus dem Alltagstrott, knüpft an also am Tanz. Der Kirmeskreisel folgt seinem immerwährenden Ritual und verbreitet dabei Freude, verkürzt die Zeit, setzt sie aus. Ein Fest kennt die Zeit nicht. Wenn die Zeit nicht ist, dann gibt es kein Warten.
Elfie und Sölde geben zum Fest den Ton, führen ihre Gespräche und fühlen, dem was sie sehen, auf den Zahn. Sie drehen an der Spindel weiter, welche ihr Reden abspult, während das Warten auf die Roboter wie ein gemächlich dahin plätschernder Zierbrunnen vor sich hin dauert – oder besser gesagt: wie eine wenig Wasser führende Quelle zur eignen Freude für sich brabbelt und gurgelt.
*
Die Klarheit des Spiegelsaals verwischt sich zusätzlich wegen der Stärke und hohen Intensität des wechselnden Lichtes.
„Das mit dem Karussell ist schon fast eine kleine Walpurgisnacht“, meint Sölde, „wir haben hier zwischenzeitlich bereits fast eine technische Walpurgisnacht. Dieser Glaspalast ist für ein solches Fest wunderbar geeignet. Dafür brauchen wir gar nicht in den Wald zu gehen. Kobolde und Trolle haben wir hier in genügender Zahl. Die Spiegel sind unsere Bäume. An ihnen wollen wir uns halten oder vielmehr faul vor ihnen liegen bleiben und ganz einfach gucken, wie die Robis und Bobis auf unsere Reize reagieren. Wir wollen sie reizen, damit sie um unsere Gunst glucksen.“
„Ganz so, wie es unter den Tieren Brauch ist.“
„Wir wählen uns dann die Schönsten und Kräftigsten aus. Die Wahl kann da durchaus auf meinen Chester fallen. Vielleicht mache ich bei ihm doch noch etwas Positives aus. Die Männer müssten sich bei dem Tanz schön vorsehen, dass sie nicht das wüste Nachsehen haben.“
Den Vorschlag zum Tanz schlägt Elfie nicht aus „Ich werde meinem Kerl, dem Pistel, das Tanzen einverleiben, dem Pistel, der aus Metall ist. Auch ohne Fleisch und Blut wird er sich dann bewegen wollen, so wie ich es will.“.
„Alle Frauen, die faul herum liegen, müssen aufstehen und im Licht der Spotlampen ihre Hüften schwingen. Die Lichter wechseln schnell und auch weniger. Die Musikrhythmen geben den Takt vor. Die Spiegel nehmen die Bewegungen auf und vervielfältigen sie. Derart multipliziert, sehen wir dann bald so aus, als bewegte sich in diesem Saal eine Vielzahl, nein, eine ganzes Heer von Frauen auf und ab, vor und rückwärts, im Kreis und in gerader Linie.“
Das enorme Spiegelfeld würde die Differenzen zwischen den Körper auswischen, raunt Elfie weiter, und diese zu einer gewaltigen, sinnlichen Kreatur mit Tausenden von Bewegungen aufbauen, die sich über viele unzählige Glieder der Damen zu immer neuen Formen verschmelzen.
Die Klarheit des Spiegelsaals verwischt sich zusätzlich wegen der Stärke und hohen Intensität des wechselnden Lichtes. Zur verstärkten Verwirrung, vielmehr Steigerung der Empfindlichkeit der Sinne sollten Düfte in den Raum fliessen. Aromen, welche die Liebe und Lust anheizen. Duftnoten, welche die Menschen miteinander verbieten. Elfie ist ganz hin von ihrem Gedanken und gerät auf ihrer Coach schier ins Schwärmen und Schwelgen in morphösen Gedanken.
Die Roboter sollen als hartkantige Geräte weg. Wer tanzt, will sich nicht die Knochen anschlagen. Sich in Greifern einer Mechanik verknorzen. Ein guter Tänzer muss aufgeweckt sein, sich an den Bewegungen der Partnerin anschmiegen können. Elfie wählt für ihre weitere Betrachtung das Wort: mit der Partnerin zusammenfinden.
Aller Kasuistik, allen Regeln schiebt Elfie einen Riegel. Sie wünscht sich für ihre Vergnügungsstätte eine starke Prise Philosophie, die sich deutlich von jeder Sophisterei, jeder Spiessigkeit entfernt. Dogmen eignen sich nicht zum Tanzen. Ebenso passt das seichte Geschwätz von Stammtischrunden nicht auf die Tanzfläche.
Tanzen ist Natur und Kultur pur vereint zu einem solidarischen Event. Das Ereignis vollzieht sich nicht nach dem Muster eines nach Metern gemessenen sich Bückens nach Kartoffeln, das die Feldarbeit auf Äckern bei der Kartoffelernte bestimmt. Nicht Gleichschaltung wie im Ballett, sondern die Freiheit, die, nach den Prinzipien des Hedonismus, von Lust und Freiheit gestaltet ist, fordert Elfie auf dem Tanzparkett für sich. Das ist das vollendente, vollkommene Opus.
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Das führt dazu, dass sie sich dazu verleiten lassen, mangels einer anderen Beschäftigung, über Roboter merkwürdige Gespräche zu führen, die sie wie bestellt und nicht abgeholt zappeln lassen.
So gestaltet sich Elfies Ausflug in die hohe Sphäre verbaler Euphorie.
Das unsagbare Vertrauen, das der Mensch in die maschinengetriebenen Roboter setzt, fasst die Bereitschaft ein, eine achtbare Folge von Einschränkungen zu billigen und deretwegen im Warten zu verharren. Nicht besser ergeht es Elfie und ihrer Freundin. Ihre Robis scheinen den Entscheid für die Kleiderwahl auf die lange Bank geschoben zu haben. Dafür haben sie die beiden Damen an die kurze Leine genommen.
Ganz wohl ist es den Beiden nicht, wie sie zur Musse an dem Ort auf einem Möbelstück festgesetzt sind, angebunden zwar nicht, in ihrer Bewegungsfreiheit aber doch eingeschränkt. Das führt wohl dazu, dass sie sich verleiten lassen, mangels einer anderen Beschäftigung, über Roboter merkwürdige Gespräche zu führen, die sie wie bestellt und nicht abgeholt in ihrer verbalen Selbstbeschäftigung zappeln lassen.
Pistels Anvertraute liegt nach wie vor neben Sölde auf ihrer Pritsche, unbewirtet, unbegleitet und unbedient.
„Bei solchem Tanz sind wir beide bei weitem nicht“, meint Sölde, „wie wir so matt hier liegen. Vorerst sollen die Männer auf die Roboter losgehen und sie uns vom Leibe halten. Ich optiere dafür, dass die Männer gewinnen. Von denen hat man doch mehr als von einem Computer, der uns mit Drähten und Borsten den Bauch pinselt und am Rücken kratzt, wenn er uns beisst. Von meinem Elf, der nur wirklich alles anderes als eine Elfe ist, halte ich nämlich doch nichts und verlange darum von ihm auch nichts anderes als die Kleider ab.“
„Wir werden ihnen den geheimen Sinn von uns Frauen einhauchen. Sobald wir dann beide, unseren Pistel und auch den Chester, erfolgreich auf Sex getrimmt haben, werden die Männer dem Duo bestimmt auf die Pelle rücken und sie an die Kandare nehmen, so dass sie uns künftig in Ruhe lassen. Dieses beispielhafte Vorangehen der eifersüchtigen Mannen würde bestimmt das Ende der Computer einläuten“, prophezeit Elfie.
«Wenn die Compis überleben wollen, müssen sie geschlechtslos bleiben und auf diese Weise ihrem Gender gerecht werden», meint Sölde.
Elfie erkundigt sich bei ihrer Freundin: «Wo haben denn diese Geräte ihren Platz im Reigen von LGBTQIA*+/-?»
Sölde antwortet lediglich: «Ich halte nichts von der versteckten Genderbeckmesserei, die in diesem Wortungetüm steckt. Ich bin frei.»
«Wir müssen die Sache mit unseren Robis positive angehen: Ihre Geschlechtslosigkeit erhöht den Reiz unseres Spieles. Wir können mit ihnen spielen, ohne dass sie mit uns spielen. Wir können unsere Macht ausspielen und sie provozieren, als ob sie in einem Käfig sässen.“
„Welcher Käfig.“
„Jenem von dem Panther. Sie sitzen nicht hinter Gittern, sondern hinter Glas und Kunststoff.“
„Menschen lassen sich bereits Computerteile einpflanzen.“
Erneut ergreift Elife das Wort: „Auch diese Menschen werden von den Computern müde werden. Und so tief in mir will ich die Dinger gar nicht fühlen. Im Moment liegen wir hier und haben die beiden Gefährten in sicherer Distanz. Aus dieser wollen wir sie aufgeilen, ohne dass sie uns berühren dürfen. Bisher ist es so, dass sich Männer und Frauen vor den Computer scharf machen. Nun soll es mal umgekehrt sein.“
„Aber die Computer müssen in ihrer eigenen Welt verharren, so wie der Mann, der auf den Computer Kurs nimmt und sich vor ihm stierig macht, nicht in die Welt der Computer eindringen kann und mit seinen Gefühlen allein bleibt, wenn er sich selbst befriedigt und die Lust abbaut“, sagt Sölde und ergänzt: „Den Computern soll es nicht besser ergehen.“
„Es wird schwierig werden, den Computern klar zu machen, dass sie nicht an uns ran dürfen und uns nicht unflätig betasten sollen, nachdem sie sich aufgrund unseres Anblicks entflammt haben.“ Und Elfie spinnt den Faden weiter: „Unser Ziel muss es sein, das Öl in ihnen zum Kochen zu bringen, in ihre artifizielle Intelligenz eindringen, sie mit dem Bild von uns zu durchwalken, so dass ihr Diodenhirn völlig durcheinander gerät und die Compis dem Liebesleid verfallen, nicht mehr aus noch ein wissen, nicht mehr herausfinden aus ihren Wirren, weil sie in ihrer Elektronik eingesperrt sind.“
„Für uns wird es ganz sicher nicht lustig werden, wenn wir die Dinger auf den Höhepunkt bringen und sie nicht aus sich heraus finden. Sie könnten explodieren. Ich wüsste nicht, was ich unternehmen könnte, um bei einem Schraubenzieher die Luft abzulassen. Mich treibt keine Sehnsucht nach Robotern um.“
„Wird ja eh alles gekünstelt sein, was die stöhnen, also absolut langweilig für uns“, beschwichtigt Elfie.
„Ja, für uns beide. Wenn wir die aber mit unseren Körpern und Knochen derart anheizen müssen, damit wir das von dir festgesetzte Ziel erreichen, dann frage ich mich, welchen fetischistischen Bigotterien und Fingerübungen wir uns hingeben müssen.“
„Der Zweck heiligt die Mittel“, erwidert Sölde. „Wir müssen sie jedoch soweit bringen, dass sie keine ruhige Minute mehr haben, wenn sie uns nicht sehen und befühlen dürfen.“ Sie fügt aber sogleich hinzu: „Ihre Materie ist dumm. Sie werden uns als Objekte aus Kleidern, Draht und Supraleitungen ansehen und sich nach uns verzehren. Da können wir noch lange den Handstand machen und alles von uns zeigen“, entgegnet Sölde und zieht in der Leiste ihren Slip zurecht. „Ich aber werde nicht zulassen, dass sie ihre Kabel an mich anschliessen.“
Elfie schlägt nun Folgendes vor: „Wir streamen denen einen Cyberporn.“
„Auf welche Bilder und Töne reagieren Roboter, sodass sie den Verstand verlieren. Was ist Sex für einen Roboter?“, fragt die leicht gekleidete Dame neben ihr, die nun an ihrem Büstenhalter hantiert und auch diesen zurecht schiebt.
„Sobald wir sie auf autosuggestiven Cybersex getrimmt haben, werden wir es wissen. Wir müssen ihnen dann nur noch bei ihrem Computersexzess zuschauen.“
„Ein derartiger Computerexzess hebt mich nicht von der Lade, auf der wir beide jetzt liegen.“
„Das Versuch reizt mich. Die erotische Energie wird zwischen ihnen und uns über Harald Bluetooth übertragen.“
„Ich bedanke mich für das blaue Vampir. Seinen Zahn wird er nicht in mich einführen. Er wird auf Stein beissen, oder vielmehr auf Aluminium. Das wird zu einer Rückkopplung seines Stromstosses führen, so dass es ihn aus der Fassung wirft oder vielmehr einen Kurzschluss auslöst und die Sicherung raus haut.“
Elife ist hingegen weiterhin überzeugt, dass „der Kontakt die Computer in Stimmung halten wird. Die werden gar nicht merken, dass sie nicht mit uns beiden in Verbindung stehen und nicht wir beide es sind, die sie elektrisieren. Unsere Beziehung wird einen elektronischen Protokollcharakter aufweisen und wir werden uns im Sparmodus verausgaben, sofern wir nicht direkt auf stumm schalten. Sie sollen sich selbst mit einem Zahlensalat aus Binomen befriedigen und ihre elektrische, ich meine erotische Energie abbauen.“
„Die Roboter sind die Mühe nicht wert, dass man sich ihrer annimmt.“
Elfie bleibt hart: „Auf den Versuch muss frau es ankommen lassen. Wir Frauen müssen den Computern freie Hand gewähren und für den unaufhaltsamen Fortschritt wenigstens den kleinen Finger bieten. Der Mensch soll nicht mehr an sich selber oder seinesgleichen Hand anlegen, also einen anderen menschlichen Körper abtasten oder sich den Liebkosungen eines anderen Menschen ergeben müssen, sondern sich social-media-korrekt einem Computerbild ausliefern dürfen. Wir sollten dieser unaufhaltsamen Entwicklung eine Chance geben und uns nicht quer stellen. Die Zukunft wird rosig. Die Fortpflanzung des Menschen übernehmen künftig computerkontrolliert die Roboter. Die technischen Bullenabsamer können sich dann mit dem, was sie aus dem Mann und seinem phallischen Stück herausgeholt haben, uns Frauen zuwenden und uns den Sperm, den günstigsten, den sie für uns ausgerechnet haben, mit ihren Armen einführen. Aber bitte nur, wenn sie hygienische Handschuhe benützen. Sie können dann jeweils zuvor auch noch mit ihren Sensoren prüfen, ob wir empfängnisbereit sind. Die Entwicklung der Technik ist nicht aufzuhalten.“
„Was du da verkündest, tönt ziemlich rostig“, bemerkt Sölde etwas frostig.
„Aber wenn wir uns den Robotern hingeben, wird das mit Sicherheit bei den Männern etwas Ungeheures auslösen und dort, wo Sex-Ebbe herrscht, das Hirn fluten, so dass ihre Gedanken feucht werden. Sie werden von den Computern ablassen und, indem sie sich uns zuwenden, wieder vernünftig werden.“
„Wie ziehen den Computern notfalls den Stecker raus und die Dinger werden dann zum Stillstand kommen. Das wird unseren Männern helfen, wieder zu sich selber zu finden“, bemerkt Sölde etwas spitz.
„Wir wollen das hoffen.“
„Das ist eine einfache Handhabe, um den Dingern Herr zu werden.“
„Es sei denn, dass die Männer durch den Computersex derart abgestumpft sind, dass sie sich für ein richtiges, festes Weib mit einem starken Becken nicht mehr interessieren und für uns keine Kraft mehr aufbringen, mit welcher wir uns, Frauen und Männer, gemeinsam gegenseitig bearbeiten können“, meint Elfie und schaut dabei ostentativ auf ihre Hüfte, die sie kurz hin und her wendet.
„Dein Vorschlag ist ansteckend. Zum Durchdenken eignet er sich. Wir sollten die Computer wirklich herausfordern, um so gegen die Sexverdrossenheit einiger eiliger Zeitgenossen anzugehen, die keine Zeit mehr für uns Frauen haben und computergeneriert ihre Lust ausleben.“ Mit diesem Votum zollt Sölde Elfies Vorschlag endlich Respekt.
„Wenn man so mit nacktem Bauch und in seidigem Höschen, umgeben von Satin, Samt und Lycra, auf der Liegepritsche das Leben geniesst und die Beine schön ausstreckt und von allen Seiten gehuldigt wird, dann kommen einem schon seltsame Gedanken, die den ganzen Körper erwärmen.“
„Die Nerds nerven. Frau muss etwas von deren geistigen Saft umleiten.“
„Die Freiheit, die wir in diesem Raum ausleben, müssen wir uns erhalten“, fordert Elfie.
„Aber den Robotern doch nicht zu viel Raum lassen.“
„Sich ihrer aber doch derart annehmen, dass sie daran ersticken.“
„Wenn sie daran nur ersticken würden!“
„Sie nehmen in unserem Leben immer mehr Raum ein“, bemerkt Elfie.
„Ich frage mich, ob sie die Macht nicht schon längst übernommen haben. Wir liegen hier und warten auf sie, lassen uns also von ihnen vorführen“, konstatiert Sölde.
„Was ich gesagt habe, was ich vorfabuliert habe, war nur ein Gedankenexperiment.“
„Ein Ausbruch in die Computerwelt. Von dem müssen wir uns fern halten. Sonst fällt sie ganz über uns her.“
„Es handelt sich nicht um den Versuch, irgendeinen Roboter zu verführen, auch wenn wir uns schliesslich auf die Dinger eingelassen haben.“
Gebetmühlenartig fahren die beiden Frauen mit ihrem Gespräch fort, während die beiden Roboter ausbleiben; fahren ihre Fantasie nicht hinunter, fabulieren und lassen ihre Gedanken im Glaspalast, der sie fest umschliesst, Revue passieren. Das Ausbleiben der zwei Hauselfen Chester und Pistel hält den Wortschwall in Fluss wie der fortwährende Nachschub von frischem Wasser einen Wasserfall, der unablässig über silberglitzernde Schieferplatten fällt und auf einem Spiegelboden zerstiebt.
„Wir sind hierher gekommen. Da gibt es keine Rückkehr“, fährt Sölde weiter.
„Wir zwei wollen doch jetzt nicht von unseren Liegestühlen aufstehen und halbnackt davon laufen.“
„Wir haben uns vor den Computern entblösst.“
„Das ist ein erster Schritt zu ihnen hin“, stellt Elfie fest.
„Den haben wir schon längst getan. Wir sind hierher gekommen und haben uns hingelegt.“
„Als ob wir auf Cybersex warteten.“
„Auf diesen Übersex verzichte ich gern“, wiederholt Sölde mit Bestimmtheit.
„Wir sind schon längst alle verkauft. In meiner Tasche surrt täglich das Smartphone. Es ist ein angenehmes Gefühl. Und wenn ich es auf meinem Hintern trage, spüre ich es noch besser.“
„Die gefällt offenbar dieses Computerzeugs, wenn du es auch auf den Bauch und darunter hältst.“
„Die Vibrationen lockern die Gefühle auf.“
„Mir liegt nichts daran, mechanisch aufgelockert zu werden.“
„Irgendwie hast du recht.“
„Eigentlich ist es ein unangenehmes Gefühl, wenn man ständig von etwas eingefangen ist. Die ganze Zeit über schnappen die Computer nach uns. Die sind überall, immer mehr.“
„Diesen Gehilfen können wir nicht mehr ausweichen.“
„Das ist eben das Schlimme an der heutigen Welt. Die Compis werden uns noch schlucken. Bald steigen sie ganz in uns hinein“, befürchtet Sölde.
„Das sind Grillen im Kopf“, wendet Elfie ein und schiebt gleich nach: „Sich so eingesperrt fühlen wegen der Computer! Das hat keine Statur.“
„Sie tragen an sich keine Natur, die uns Frauen gefällt.“
„Die sollen uns nur umgarnen. So ungeschickt wie die auftreten, werden die sich im eigenen Garn einfangen, den sie um uns legen möchten.“
„Die Nähe der Maschinen kann uns Menschen noch gefährlich werden.“
„Mach dir nur keine Sorgen. Sie stolpern über die Drähte, die sie für uns auslegen und steuern.“
Sölde lässt nicht locker und beharrt auf ihrer Sorge: „Mit uns beiden hätten sie ein leichtes Spiel. Wie Statuen liegen wir hier. Wir könnten uns nicht wehren. Wir würden uns nicht wehren, wenn die Dinger mit den neuen Kleidern über uns her fielen. Und unsere Zuschauerinnen würde der Anblick unserer Hilfslosigkeit freuen.“
„Wenn sie zu weit gehen, dann stellen wir den Robis ganz einfach den Strom ab. Dann geben sie Ruhe. Das wäre nicht einmal Mord. Man kann die Kabel wieder rein stecken, wenn frau wieder etwas von ihnen will.“
„Bei einem Mann ist es wesentlich schwieriger, ihn still zu kriegen, wenn er gut drauf ist.“
„Eine Maschine muss man ausloten, bevor man sie verurteilt.“
„Dann lass ich lieber einen Mann sein Lot in mich einführen. Das ist wesentlich lustvoller, als so einem Ding ein Kabel raus und rein zu stecken. Bei den beiden Krähen“, meint Sölde, „die uns bedienen, handelt es sich ja um zwei kastrierte Lover. Für’s Kleideranziehen taugen die Kobolde, aber für mehr nicht. Das halte ich ganz klar fest.“
*
Maschine und Mensch, die sich näher kommen, entwickeln ein ganz besonderes Verhältnis zueinander.
Der mechanische Stosstrupp moderner Konfektion taucht endlich wieder auf und kommt im Gleichschritt daher. Angetan mit Kleidern, verteilt über die verschiedenen Greifer, streifen die beiden Stahlgestalten bei ihrem Gang mit ihrer Kleiderlast keine gläserne Säule noch eine fremdbelegte Pritsche, sondern nur der anderen Konkubinen fescher Gewänder neugierige Blicke und setzen dem Schauliegen gleichzeitig ein vergnügliches Schaulaufen gegenüber.
„Schau an! Unsere beiden Geister zeigen wieder Flagge. Mit neuen Kleidern.“
Die beiden Roboter treten ins gemachte Nest modischer Selbstanschauung.
„Wir haben die Kleider ausgewählt. Sie sind neu“, erklärt Robokök Dreiundzwanzig.
„Wir sind wieder da. Ihr könnt sie anprobieren“, sekundiert der zweite Roboter.
Diese angeordnete, maschinengesteuerte Schnellanprobe wollen sich die beiden Frauen jedoch nicht bieten lassen. Mit einem kurzen Blick verständigen sie sich. Sie finden, dass sich die beiden Roboter vorerst einmal in Geduld üben sollen. Fliessbandarbeit kommt nicht in Frage.
Die beiden Frauen bleiben mit übereinander geschlagenen Beinen liegen, den Rücken genüsslich an die Liege geschmiegt, eine Hand auf der Hüfte, die andere im Nacken.
Offenbar merken die Roboter – oder vielmehr realisiert die Elektronik, welche in die Geräte eingespeist ist, dass die beiden Kundinnen keine Anstalt machen, sich zu bewegen. Robokök Elf stellt darum fest: „Wir sind wieder hier.“
Als Antwort folgt: „Wenn es euch eilt, könnt ihr uns bei den Armen nehmen und auf die Beine stellen.“
Als zweite Antwort folgt von der Liege nebenan: „Ihr habt lange gebraucht, um zurückzukommen. Wir haben uns fast gelangweilt.“
Robokök Dreiundzwanzig erklärt: „Das ist kein Liegeraum.“
„Oh, ihr müsst verkaufen. Das ist anstrengend. Ihr müsst hart arbeiten, damit etwas daraus wird.“
„Wir bringen Kleider. Wir probieren sie euch an.“
„Dürfen wir nicht mehr reden?“
„Wir probieren euch Kleider an.“
„Ja dann mal ran.“
„Dazu müsst ihr aufstehen.“
„Habt ihr vielleicht Strümpfe, die ihr uns über die Beine ziehen könnt. Es wäre für uns und euch beide bequemer, wenn wir für diese Handlung liegen bleiben würden. Wir werden ganz einfach die Beine hoch recken, damit es besser geht, wenn ihr uns die Seidensocke über die Zehen zieht. Aber ihr, untersteht euch, uns zwischen die Beine zu gucken. Dieses Feld geht eure Computer nichts an.“
Bis die Entgegnung folgt, dauert es einen Augenblick. Diese lautet schliesslich: „Natürlich dürft ihr reden.“
Maschine und Mensch, die sich näher kommen, entwickeln ein ganz besonderes Verhältnis zueinander. Maschinen sind heute solcherart programmiert, dass sie auf individuelle Bedürfnisse eines Homo sapiens reagieren können. Gedacht ist für einmal nicht an die Modelleisenbahn, welche die Herzen so vieler Menschen erfreut, sondern an die künstliche Intelligenz, welche dialogfähig Roboter auf Augenhöhe zu den Menschen heben soll.
Elfie und Sölde schauen die beiden Figuren vor ihnen eingehend an. Die Zuckergussgestalt der Roboter vermag zu betören. Süss aufgemacht präsentieren sie sich. Die mattleuchtenden Farben wirken wenig aufdringlich. Das Kleid ziert den Fleiss und dient dem Verkauf. Gürtel aus Leder halten die Stoffe über den Kunststoffbeinen zusammen.
Die beiden dezenten Krieger der Neon- und Leinendynastien, Klone einer vorwärts gerichteten Verkaufsstrategie, dürfen nicht säumen. Das Geschäft ruft. Der Rubel muss rollen. Der Roboter muss an die Frauen ran.
Die Elektronik scheint eine Lösung gefunden zu haben und meldet sich: „Wir haben Strümpfe. Sollen wir sie euch anprobieren?“
Elfie meint nur: „Ihr könntet euch etwas schicker ausdrücken. Zum Beispiel: Ihr zwei Schönen, dürfen wir euch wunderschöne, nigelnagelneue Strümpfe vorführen. Elastisch sind sie und anschmiegsam. Sie passen ausgezeichnet auf eure eleganten Beine und schmiegen sich weich an. Das hättet ihr sagen können und nicht einfach: Wir haben Strümpfe. Und etwas sage ich auch noch gleich: Fasst uns nur nicht hart an. Wenn ihr uns weh tut, gibt es Prügel, ihr unsensiblen Maschinen.“
„Und dass ihr uns nicht kitzelt! Das sage ich euch auch gleich. Denn es ist äusserst unangenehm, wenn man Wäsche anprobiert und dabei durch eine unangenehme Berührung auf der Fusssohle vom Wesentlichen abgelenkt wird, das sich auf dem eigenen Körper abspielt. Wenn ich Kleider anprobiere, will ich die volle Übersicht darüber haben, was mit meinem eigenen Körper geschieht.“
„Strümpfe. Kitzeln. Ich verstehe nicht“, sagte Robokök Dreiundzwanzig.
„Ich will euch einfach nur auf freundliche Art mitteilen, dass ihr uns nicht an den Beinen kitzeln sollt, wenn ihr euch daran macht, uns die Strümpfe über diese zu ziehen. Mehr nicht. Und auch, dass ihr bei der Anprobe den filigranen Tüll nicht zerreisst und die Spitzen nicht brecht. Mehr ist es nicht, was ich euch sagen will“, antwortet Sölde und ergänzt: „Und ich gehe desweiteren davon aus, dass ihr, sobald ihr uns berührt, unsere Haut mir euren Eisenfäusten nicht aufkratzt.“
Diesmal ist es Robokök Elf, der sich meldet: „Die Länge unserer Finger ist genau berechnet. Unsere Greifer sind mit Messblenden ausgestattet. Wir haben Tastsensoren. Die Greifkuppen sind weich. Sie arbeiten zuverlässig. Sie lösen keine Allergien aus. Sie sind aus einem hautverträglichen Stoff. Der Stoff muss den Stoff halten. Kleider sind aus Stoff.“
„Das tönt ja saumässig einladend. Würde ich nicht schon liegen, dann hätte ich mich bei einer solchen Einladung sofort hingelegt, um diese Strümpfe anzuprobieren. Das ist wirklich der vertraute Klang einer freundlich vorgetragenen Einladung an eine Frau, die sich einem Mann hingeben soll. Auf die Strümpfe kann ich mich nun freuen und mich euren Greifen vertrauensvollen Herzens anzuvertrauen“, meint Elfie in leicht boshaftem Ton und ergänzt: „Kleidet ihr Roboter euch auch gegenseitig mit zärtlichen Fingern an, sodass ihr euch nicht gegenseitig den Kunststoff zerkratzt? Ich denke, ihr müsst einfach nur gut darauf achten, dass ihr mit euren Haftfingern nicht aneinander kleben bleibt. Dann ist es nämlich mit den Ankleiden vorbei. Beim Menschen folgt dann das Auskleiden. Wie ist das bei euch?“
„Wir kleiden uns nicht gegenseitig an. Wir stehen in der Reservekammer. Dort werden wir programmiert. Unser Einsatz wird vorgegeben“, antwortet Roboter Pistel mit neutral wirkender, menschenmechanisch gestylter Stimme.
„Ihr seid wirklich bemitleidenswerte Gestalten. Euch müsste man mit viel Fleisch ausstaffieren, so dass ihr nicht als vegan abgeschlachtete Liebesgestalten zu uns kommen müsstet“, bemerkt Sölde.
„Diesen Satz verstehe ich nicht“, meint Robokök Chester.
„Ihr müsst ihn auch nicht verstehen. Wir sind nicht hier, um euch Sprachunterricht zu erteilen oder gleich ein philosophisches Gespräch zu führen. Passt uns endlich diese Strümpfe an, bevor ihr total langweilig werdet. Und zerreisst sie nicht“, mahnt Elfie.
Sölde ergänzt frech und munter: „Packt eure Kleider aus. Wir wollen keine Zeit verlieren, auch wenn wir hier ganz gut liegen. Wir können aber auch aufstehen, wenn ihr wollt, weil ihr Angst habt, dass ihr uns an den Füssen kitzelt.“
„Wir können die Strümpfe auslassen, auch wenn sie sich ganz gut auf Frauenbeinen tun. Sie heben diese ganz besonders hervor, indem sie das gewisse Etwas an der Frau betonen. Aber das versteht ihr Roboter nicht. Tut eure Arbeit. Schöne Schuhe kleiden auch nackte Füsse gut.“
„Wir haben keine Strümpfe. Wir haben keine Strümpfe gebracht. Sie sind nicht saisonal. Sollen wir Strümpfe holen“, verkündet leicht verunsichert wirkend und monoton Robokök Elf und ergänzt: „Sollen wir Strümpfe holen.“
„Nein. Dann legt halt schon mal los mit dem, was an euren Strahlearmen baumelt“, befiehlt Sölde.
*
Dann nehmen sich die verschiedenen Fangarme der Textilie an, die sie den Damen anprobieren wollen.
Viel hängt an den maschinengetriebenen Armen der beiden Gesellen nicht. Für jede der beiden Frauen haben sie jeweils zwei Gewänder mitgebracht.
Frühling deuten die vier Kleidungsstücke an. Sie schlenkern lose über dem Gestänge, das aus den beiden Computerwesen ragt.
Im Frühling entfaltet sich die Schönheit.
Zwei Schönheiten liegen im gläsernen Ausstellraum auf den beiden metallenen Pritschen, geben sich aber nicht als käufliche Pritschen, sondern wollen angekleidet werden.
Der Frühling soll ihnen ein neues Kleid geben und ihren Körper leicht bedecken. Sie wollen sich beide in ein neues Kleid stecken, damit sie noch schöner wirken und die Antwort auf die Frage herausfordern: Kann Nacktheit noch vollkommener werden, wenn sie bedeckt wird?
Die Kleider, welche die beiden Roboter heran geschafft haben, versprechen einen satten Zug über den Leib. Die Arme sind bedeckt. Der Ausschnitt ist nicht zu tief. Das Kleid geht bis ans Knie. Der anschmiegsame Stoff sorgt dafür, dass die Bauchfläche diskret anschaulich herausgehoben wird. Das Gewand färbt den Körper, ohne seine Einbuchtungen und Rundungen zu verstecken. Der Betrachter sieht unter die Robe, erahnt die Formen des Leibes und fragt sich unvermittelt, ob die Frau, trotz der Gewandes, hüllenlos vor ihm steht. Er fragt sich weiter: Ziert das Gewand die Nacktheit oder die Nacktheit das Gewand. Dem bewundernden Betrachter steht es zu, sich selber die Antwort zu geben.
Die beiden Roboter bitten die beiden Frauen ein weiteres Mal, sich zu erheben und ihre Körper für die Kleideranprobe bereit zu stellen.
Technisch präzis bringen die Apparate ihre Bitte vor. Emotional stumpf vorgetragen, mangelt es den beiden Geräten weiterhin an einer interessanten Rhetorik. Dennoch willigen Elfie und Sölde ein, kommen der Aufforderung der beiden wenig magisch wirkenden Berufsanzieher nach.
Die Roboter stellen die Liegen wieder hoch. Die beiden Damen erheben sich. Das Roboterpaar legt jeweils eines der mitgebrachten Stücke über ein bereit stehendes Gestell, das für die kurzzeitige Ablage einer Garderobe vorgesehen ist.
Dann nehmen sich die verschiedenen Fangarme der Textilie an, die sie den Damen anprobieren wollen. Elfie und Sölde werden gebeten, die Arme hoch zu heben, damit die zwei Hauslakaien ihnen den Rock über den Kopf ziehen können.
Die beiden Missen folgen galant der Aufforderung. Die verschiedenen Sensoren, welche die Bewegungen der beiden Behufsankleider, vielmehr Behelfsankleider, leiten, verhindern, dass die Griffe, welche die Kleider über die Körper der Frauen führen, der Haut einen Kratzer zufügen.
Die sachte magnet-hydraulisch bewegten Krallen übertragen gut gesteuerte Kräfte auf die samtbewehrten Fingerkuppen der metallenen Zangen. Eine leichte Saugkraft verstärkt den Halt am Stoff, der den Leib hinab gleitet.
Elfie rückt, da sie die Arme schon oben hat, mit beiden Händen ihr Haar zurecht. Dieses ist wegen des Gewandes, das ihr der Roboter über den Kopf gezogen hat, ein wenig durcheinander geraten, wie ihr scheint. Ein Blick in den Spiegel bestätigt ihr, dass die Frisur leicht ungeordnet ausschaut.
Elfie spürt, wie ihr die Griffe des Roboters, die sich hölzern wie Knochen auf der Haut anfühlen, den Stoff langsam über Rücken, Brust, Bauch, Gesäss und Schenkel ziehen. Die Bewegungen des Roboters wirken sicher und präzis.
Mit seinen verschiedenen Armen legt er das Kleid über den Körper zurecht, ordnet es dort, wo es Falten wirft oder zu stark nach einer Seite driftet. Irgendwie vermittelt das korrigierende Herumtasten des Geräts Elfie den Eindruck, ein Käfer fingere mit seinen verschiedenen Füssen und Fühlern an ihr herum und drücke zudem auch noch seinen Bauch an ihr Becken.
Der Roboter tritt aber, sichtbar für alle Beobachterinnen, welche die beiden Frauen im Auge haben, Elfie nicht zu nahe, behält vielmehr, computergerecht berechnet, die nötige Distanz, political correct, und wahrt den Anstandsabstand zur Kundin, verrichtet seine Arbeit sachgerecht.
Elfies Gefühl, als Kundin missverstanden zu werden, behält jedoch die Oberhand. Das technische Ding probiert das Kleid am Vergnügen vorbei an. Elfie wird den Eindruck nicht los, sie sei ein Kleiderständer, an welchem ein Kleid zurecht gezupft werde.
Der Roboter, das spürt Elfie durch das Kleid hindurch, versteht offenbar nicht die unsichtbare, aber offensichtliche Botschaft eines Schwalls von Haaren, der über die Schultern geworfen wird. Auf Elfies herausfordernde Bewegung reagiert das Gerät nicht.
Die sinnlichen Botschaften, welche die Bewegungen der Muskeln vermitteln, müssen dem Computer einprogrammiert werden. Wer diese Botschaften zu lesen weiss, weiss, dass sie kein Programm erfassen kann. Das Unterbewusstsein entzieht sich den Codes. Ein Tölpel ist und bleibt, wer ein Computerprogramm abrattern muss, um zu erkennen, was der kesse Blick eines Menschen bedeutet.
Wer den Ermessensspielraum nicht abschätzen kann, den die Zeichen des Körpers abstecken, etwa ein fremder, schneller Blick auf das eigene Auge, der bleibt ewig den Computerprogrammen angehaftet. Den richtigen Zeitpunkt im menschlichen Zusammensein nicht verpassen, ist nicht eine Fähigkeit, die vom Computerbildschirm abgelesen werden kann. Und ach: Wie manche Kundin verpasst es, bei einem Kleid, das sie anprobiert, im passenden Moment zu sagen: Ja, das ist es.
Das Zögern führt dazu, dass sie sich nicht zu entscheiden vermag, das Kleid wegräumt, an seinen Platz in den Gestellen der Verkaufsauslage zurück hängt und, wie sie etwas später wieder zugreifen will, dieses bereits weggeben ist, verkauft, anderweitig untergebracht wie ein Mann, der versetzt wurde.
Würden Computer in die geheime, ungeschriebene Wissenschaft, die den menschlichen Zusammenhalt und die Weitergabe des menschlichen Lebens sicherstellt, eingeführt, in die Zuneigung, dann würde der Menschen schwach. Er müsste aber im Crashkurs, den er mit der Maschine ficht, bestehen – und hat dabei gute Chancen: Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert hat nicht zur Lustbefriedigung geführt, welche der Mensch anstrebt. Die industrielle Revolution vermochte nur zu Teilen die hoch angesetzten Ziele der Unternehmer von damals zu erfüllen. Das Leben wurde nicht für alle Menschen leichter.
*
Der Roboter rückt nun fast aufdringlich nahe an Elfie heran.
Der Roboter setzt seine Arbeit fort. Er entfernt auf dem Oberarm eine Stoffunreinheit. Er steht dabei nahe an der Frau, näher als es einem Roboter zusteht. Aus einem Gelenk der Greifarme löst er ein Haar, das sich im Bewegungssystem verfangen hat. Der Roboter geht behutsam vor, um die Frau nicht zu verletzten oder das Haar zu brechen, ihr kein Haar zu krümmen, keines auszureissen. Schmerz darf er der Kundin nicht zufügen, noch sie auf irgendeine Weise verletzen. Auf keinen Fall darf er ihre Kopfhaut reizen, nicht durch einen kräftigen Zug auf das Haar, geschweige denn, dass er dieses mit einer kurzen Bewegung ausreisst. Roboter Dreiundzwanzig muss es absolut vermeiden, dass die Frau ihn schilt. Der Computerprogrammierer würde sich eine Rüge einhandeln.
Der Roboter führt seine Bewegungen mit so viel Bedacht aus, dass bei den Beobachterinnen unweigerlich der Eindruck entsteht, das Gerät fürchte tatsächlich, dieses könnte ihr ein Leid antun und daraufhin, von der Kundin gemassregelt, seine Ungeschicklichkeit technisch bereuen; als wolle es ihr Kleid nicht streifen und auf keinen Fall erreichen, dass die Berührungen bei der Frau irgendwelche Art von Lust auslösen. Der Maschine ist vermutlich einprogrammiert, dass das Geschäft kein die Hausregeln überschreitendes Verhältnis zwischen einem firmeneigenen Roboter und einer Kundin zulässt
Der Roboter rückt nun fast aufdringlich nahe an Elfie heran. Sie wünscht sich, dass er sie von dieser Nähe befreit. Irgendwie erscheint ihr das nahe Metallstück unheimlich, das sie in aller Öffentlichkeit mit verschiedenen Armen umfasst. Der Klammern sind es auf einmal so viele, dass Elfie den Eindruck erhält, ein Mann könne sie mit seinen Küssen, Armen und Beinen nicht so umfassend umgarnen und umwinden, wie dieser Geselle es tut. Sie weiss nicht, ob es ihr wegen der Enge heiss oder kalt werden soll, das Erschauern durch Angst ausgelöst wird oder durch etwas Anderes.
Liebe ist es gewiss nicht, was ihren Körper umfängt. Dazu fühlte sich das Gebilde, das die Frau auf eigenartige Art betastet, viel zu hart an. Leblos führen die geschäftigen Greifer ihre sanften Berührungen aus. Es handelt sich eben nur um ein Gerät, das Elfie in die Kleider hilft und ihr dieses bestmöglich an den Leib anpasst.
Elfie erkennt an dem Ding auf einmal ein Auge, das sich am Ende eines fühlerartigen Arms befindet. Dieser gleitet weiter aus jenem Teil des Behälters heraus, der aufgrund seiner Position über der Brustblechbüchse beim Menschen als Kopf bezeichnet würde. Das Auge entpuppt sich als Kamera. Ein zweiter Arm fährt aus, dem ersten gleich.

Sie richten sich auf Elfies Antlitz, kommen näher heran und – als ob sie von menschlicher Hand geführt würden – schauen ihr in die Augen, als wollte das Gerät der Forderung Nachdruck geben: Reich mir deine Lippen, Kleines. Winzig kommt sich Elfie vor. Sie vermeint, die Linsen in der Mechanik zu erkennen.
Der Roboter entspricht nicht dem Liebhaber, den sich Elfie wünscht. Sie weiss nicht, was sie von der Annäherung halten soll, fühlt sich in die Zange genommen. Kann, vermag sich nicht zu wehren, weil sie weiss, ahnt, dass alle anderen Frauen dem Roboter bei diesem Akt zusehen und keine Ahnung davon haben, was da vor sich geht. Die Augen werden zu einem Auge, das nur Elfie sieht. Der gewähnte Blick des Anderen, Unbekannten, wirkt wie lähmend auf Elfies Entscheidungsfähigkeit. Sie wagt es nicht, sich mit einem kräftigen Tritt in den Hauptzylinder des Biestes von diesem zu befreien.
Zudem umfasst der Roboter sie an mehreren Stellen, blockiert auf diese Weise ihre Bewegungen. Sie kann nicht anders, als sich still zu halten. Elfie erkennt, dass sie physisch immobilisiert ist.
Die Kamera lässt schliesslich von ihr ab, ohne dass Elfie weiss, was ihr geschehen ist, und zieht sich in die Kapsel zurück, die das Haupt des Ungeheuers bildet. Das war damals gewesen, als sie ein wunderschönes Kleid erstand und mit nach Hause nahm, bewundert von allen Frauen. Heute spürt sie die Umarmung fast noch fester, schmerzhaft, wie dann, wenn die Spritzenspitze ihr unter die Haut fährt, um dem Körper irgendein Serum einzuflössen.
Schon seit einiger Zeit zeichnet sich ab, was sich schliesslich als unabwendbar herausstellt. Bereits etliche Zeit zuvor sind Elfie mit Sölde zusammengesessen. Sie treffen sich in einem Kaffeehaus, wo sie einen schwachen Früchtetee bestellen, ihn erkalten lassen. Die Lebenszeit der starken Getränke ist vorbei. Ein rollender Bedienroboter bringt zwei Kräutertees herbei. Gin basierte Cocktails, versüsst mit Grapefruitsaft und angereichert mit bläulich glitzernden Eiswürfeln stehen nicht mehr auf dem Festprogramm. Dem Vergnügen dienen bittere Getränke, welche dem Bereich der Medikamente angehören und gesundheitliche Besserung bringen sollen. Die köpereigenen Kräfte reichen nicht mehr aus, um aggressive oder aufpeitschende Säfte, die herzen, erfolgreich abzubauen.
*
Elfie und Sölde haben sich mit praktischen Kleidern ausgestattet.
Elfies schneller und stolzer Gang hat sich verlangsamt. Viel Zeit verwendet sie bereits damit, den Körper für ihre gesellschaftlichen Auftritt präsentierbar zu halten und ihm eine gewisse Form zu bewahren.
Elfie schafft es wieder einmal bis ins Lokal, wo sie auf die wartende Sölde trifft. Die beiden Frauen rühren mit den Löffeln ihren Tee und stochern mit Gabeln an einem weichen Dessert herum. Die Kraft des Gebisses reicht nicht mehr aus, um das etwas harte Biskuit zu erknabbern, auch wenn die Zähne noch vorhanden sind.
Elfie und Sölde haben sich mit praktischen Kleidern ausgestattet, die zu ihrem Alter passen und viel von ihrem Körper bedecken. Aus Gram über das Altern ist das Gesicht eingefallen. Was sie sagen, wiederholt sich. Die Worte kommen zum Teil stockend, die Sätze in Teilstücken. Längere Pausen begleiten das Reden.
*
In der Erinnerung spult sich die Zeit, die sie mit ihm zusammen gewesen war, als eine Spanne der Entscheidungslosigkeit ab.
Das frische Fabulieren über fesche oder freche Roboter in innovativen Kleiderstätten ist weit weg. Die beiden Frauen geben sich Mühe, im Lokal Haltung zu wahren. Was ihnen auch gelingt. Frau will schliesslich nicht negativ auffallen und des Lokals verwiesen werden. Die Stuhlinkontinenz ist unter Kontrolle. Das Gespräch dreht sich wieder einmal um einen besonderen Stoff.
„Wir haben bezahlt. Wir können gehen“, meint ohne besonderen Nachdruck Elfie.
„Nein, wir haben nicht gezahlt“, platzt Sölde heraus.
„Aber ich weiss: Wir haben doch bezahlt. Ich habe mein Portmonee versorgt.“
„Hast du nicht. Es liegt auf dem Tisch.“
„Stimmt, wie kann das sein. Ich habe es doch soeben versorgt, nachdem ich bezahlt habe.“
„Hast du nicht.“
In diesem Stil geht es noch ein Weilchen fort. Kein Neugieriger wirft einen Blick auf die beiden Frauen, die sich mit leiser Stimme unterhalten und dabei niemanden stören. Geheimnisse untereinander austauschten, die keine Menschenseele interessiert. Dialoge, welche die Welt nicht bewegen.
„Sie sagen, sie können den Zerfall der Nerven nicht aufhalten.“
„Wer sagt das?“
„Sie!“
„Wer ist das?“
„Wir werden dumm werden.“
Letztere Aussage entspringt einem Moment der Erleuchtung. Einem Blick in die Zukunft, der Angst verursacht. Die Bemerkung wird mit der Antwort quittiert: „Ich esse Salat.“ Eine weitere folgt nicht. Das Gespräch stockt eine Zeitlang. Die beiden Frauen schauen vor sich hin, in die Runde und dann wieder in ihre Tassen, in welchen sie ungerührt rühren.
Der Inhalt verdampft, so lange er noch warm ist. Erkaltet. Bleibt in der Schale. In der beiden Frauen Leben ist viel Beruhigung eingetreten. Der Übermut hat sich gesetzt. Elfie hatte geheiratet, wie auch Sölde. Beide nicht zum selben Zeitpunkt. Das waren Feste gewesen! Da waren Feste gefeiert worden! Zum Bersten gefüllt das Herz mit Freude! Viel Action. Die Zeit ging vergessen. Der Raum, in welchem sie sich bewegten, war ungeheuer gross.
In dieser grossen Freiheit mussten sich die beiden Frauen selbstverständlich für einen Mann entscheiden, ihn zu ihrem Auserwählten erklären. Die Erinnerung an diese Zeit kommt in Bruchstücken, fliesst tropfenweise in die sich wiederholenden Gespräche ein, die das bereits Gehörte wiederkäuen. Nach verschiedenen Experimenten mit der Liebe auf den ersten Blick, folgte die grosse Liebe. Ben hatte er geheissen. Benjamin.
Unumwunden frank heraus: Er war eine gute Partie gewesen. Jedes Mal wenn Elfie an ihn dachte, spürte sie, wie trotz der Schmerzen und der alterstbedingten Schwächen Frühlingsgefühle in ihr aufstiegen und die matten Muskeln belebten.
Damals, ja, da war auf einmal dieses riesenhafte Gefühl von Erfüllung gewesen. Sie hatte sich entschieden. Er hatte sich entschieden. Sie waren zusammen gegangen, wohin es ihnen passte.
Sie konnten Entscheide fällen. Diese umsetzen und verwirklichen. Spannend war es gewesen, damals. Das Zeitempfinden stand still. Sie achteten nicht auf den Augenblick. Die Zeit war ohne Bedeutung; war kein Hindernis auf ihrem Weg und bei den Beschlüssen, die sie fassten. Fand keine Beachtung.
Sie waren ganz einfach zusammen. Ohne Zeitdruck und Stress. Ohne Verpflichtung, die sie aufgrund von Terminen oder anderen Vorgaben wie Verträge einhalten mussten. Ein solcher Fixpunkt war lediglich die Hochzeit gewesen. In der Erinnerung spult sich die Zeit, die sie mit ihm zusammen gewesen war, als eine Spanne der Entscheidungslosigkeit ab, obwohl ständig etwas lief. Das vollkommene Glück. Alles hatte sich irgendwie von selbst ergeben. Auch die Kinder. Hoppla!, hiess es damals, das geht ja vorwärts.
*
Neue Gesichter stiessen zu ihrem Bekanntenkreis.
Zurück gedacht, wie an eine paradiesische Vergangenheit, mit Sorgen, die bewältigt wurden. Die keine bleibenden Spuren hinterliessen, Schienen quasi, die fest in den Boden gefügt waren und die Richtung endgültig vorgaben. Auf vielen Geleisen glitten sie vorwärts. Die Weichen stellten sie selber.
Starb jemand des Alters wegen, blieb die Spur, die er mit seinem Weggang ins Leben jener, die ihm nahe standen, gezogen hatte, eine Wunde, die sich mit der Zeit schloss und die Zuwendung zu den anderen förderte, solange die Narbe nicht ganz zugewachsen war.
Das Leben tröstet über manche Misslichkeit hinweg. Solche, so erinnert sich Elfie, hatte es in ihrem Leben kaum gegeben. Zu jener Zeit war sie mit klar sehenden Augen und wildem Haar gesegnet gewesen. Ihr Aussehen, die damit verbundene Wirkung auf die Menschen, hatte Elfie bei ihrem Gang durch das Leben gefördert.
Freunde, Feinde, alle hatten auf ihre Weise, gewollt oder ungewollt, ihren Lebensweg mitgestaltet. Hass oder Groll hatte ihr niemand entgegengebracht – oder eigentlich nur jene, deren Begehren sie auf sie als Frau zurückgewiesen hatte, weil jene von ihr zu viel vom dem hatten pflücken wollen, was sie als Sex-Appeal ausstrahlte.
Sie hatte auch viel von sich gegeben, ohne dass sie aber ihrer besten und festen Liebe, Ben, dabei auf den Fuss trat, damit andere weiterkamen. Auf diese Weise entstanden Freundschaften. Neue Gesichter stiessen zu ihrem Bekanntenkreis. Andere tauchten weg.
*
Das Leben lohnte sich in allen Belangen.
Gedanken an das Vergangene kommen in Bruchstücken daher. Beim ersten Jahresring ist sie geblieben, sofern sie den Verlobungsring nicht als solchen zählt. Am Finger trägt sie nach wie vor stolz den Ehering. Diesen zieren seither viele unsichtbare Jahresringe, die wie auf einer Vinylplatte die Rillen oder in einem Gesicht die Falten viele Geschichten erzählen. Ein wohltuendes Schaudern erfasst sie, wenn sie den kleinen, goldenen Reif sieht. Erinnerungen an Bens Umarmungen steigen auf. Mit ihm verlebte sie einen der Schönsten ihrer Lebensabschnitte. Voller Unruhe und Erfüllungen. Heute hat sie nur noch Füllungen, jene, welche die Zähne zusammenhalten.
Doch damals, mit ihm, explodierte die Welt, ohne dass die Explosionen Zerstörungen anrichteten. Berge hatten sie versetzt. Reisen hatten sie unternommen, an aller Weltende. Heute beträgt die Distanz ihrer Wanderungen die Reichweite vom Zuhause bis zum Arzt und zum Tearoom und wieder zurück.
Mit Ben indes führte sie grosse Ausflüge und Fahrten durch, lernte vieles und alles kennen. Bei jeder Begegnung begann das Glück von Neuem – auch wenn dann, mit der Zeit, immer mehr das fortschreitende Altern der physischen Ausgelassenheit Grenzen zu setzen begann. Darauf kam es aber gar nicht an. Sie war mit ihm zusammen gewesen, ihrem Schosshund, und hatte alle Hindernisse überwunden.
Das Damals war von unglaublichem Hochgefühl erfüllt gewesen. Die Bekanntschaften jagten sich, gefolgt von Einladungen. Hüben und drüben war man gewesen. Hinz und Kunz war man begegnet. Auch ihre Wohnung, ihr Leben hatte sich als Trampelplatz bewährt, auf welchem sich allerlei Leute getummelt hatten, wo man sich ohne böse Absicht auf die Füsse getreten war.
Neue Treffen standen an der Tagesordnung. Das Leben erwies sich als voller Erfolg. Es lohnte sich in allen Belangen. Intensive und sensitive Investitionen in die anderen Menschen warfen Gewinn ab, der beiden Seiten zugutekam. Verlieren kam einem Gewinn gleich, den man sich teilte. So standen sie beide zur guten Letzt auf der Gewinnerseite.
Nicht bewundert gerade, aber auch nicht benieden, weil ihnen das Meiste gelang, einiges Weniges daneben ging, wie es im Leben so geschehen kann, waren sie vorwärts geeilt, ohne dass in ihnen dabei das Gefühl von Druck oder Eile erwachsen war. Leichen hatten sie nicht hinter sich gelassen. An welchen sie hätten Schuld haben können. Der Gang durchs Leben war mit Erschwernissen garniert, die beseitigt werden mussten. Einige Hindernisse liessen sich wegräumen. Andere blieben bestehen.
*
Die Schärfe des Getränks war gut dosiert.
Dennoch bereut Elfie keinen Entscheid, den sie gefällt hatte. Doch alle Beschlüsse, die sie richtig fasste, hatten sich ausgezahlt.
Nun gleitet das Leben unaufhaltsam seinem Ende zu, ohne dass sie mit ihrer Willenskraft dieser Entwicklung Einhalt gebieten kann. Ausser, dass sie ihr Geschick selber in die Hände nimmt und sich eine Brücke hinab stürzt. Oder rechtzeitig das Angebot einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch nimmt. Das bespricht sie mit Sölde. Die beiden Frauen können sich nicht einigen. Will doch die eine Freundin die andere nicht verlieren.
Ihnen beiden wie auch allen anderen Menschen waren die Computer zeitlebens eine grosse Hilfe gewesen. In allen Lebensbereichen, ausser der Liebe, hatten sie die Frauen unterstützt. Den Kaffee in der richtigen Fülle abgegossen. Die Schärfe des Getränks war gut dosiert. Der Haushalt ohne Hilfsgerät war nicht denkbar.
Gehhilfen, der Sitzfahrlift die Treppe hinauf, erlauben es den Frauen, ihren Aktionsradius etwas weiter als die eigenen vier Wände zu halten. Sie schätzen die Beweglichkeit, die ihnen geblieben ist, auch wenn die Reichweite ihrer Ausflüge naturgegeben, aufgrund des Alters, massiv eingeschränkt ist.
„Der Weg war wieder lang hierher“, sagt Elfie.
„Wir sind beide hierher gekommen“, quittiert Sölde nach einem etwas längeren Moment.
Mehrmals rührt Elfie mit dem Teelöffel die Flüssigkeit in ihrer Tasse um. Dann stellt Elfie etwas konsterniert fest: „Was wird aus uns werden?“
Ziemlich schnell gibt Sölde zur Antwort: „Wir sind keine Perlen mehr, die von ihren Austern geschützt werden.“
Nach einem kurzen Unterbruch kommt es aus Elfie heraus: „Das ist fürchterlich.“ Und wiederholt: „Was wird mit uns werden?“
„Roboter. Robotermenschen werden wir, die man beliebig herumschieben kann in Krankenbetten.“
„Das ist ja –.“ Elfie spricht nicht weiter.
„Das ist nicht nur unser Schicksal.“ Mit diesem kurzen Satz versucht Sölde Elfie zu trösten.
*
Ungerührt reagiert Elfie auf diese Bemerkung und starrt in die Weite.
Das Gespräch geht wie üblich nur stockend vorwärts. Elfie antwortet, nachdem sie mit dem Teelöffel einige weitere Male die Flüssigkeit umgerührt hat: „Das ist kein Trost. Ich werde in diesem Altersbett liegen.“
Etwas schnippisch und mit dem Sarkasmus alter, verlassener Menschen, die keinen Weg mehr vor sich sehen, erklärt Sölde: „Wir könnten auch Todesbett sagen.“
Elfie wagt einen Einwand: „Andere werden sagen, es gibt einen Weg. Wir müssen durchhalten, elendiglich und schmerzvoll verrecken. Danach kommt die Erlösung. Von der werden jedoch wir nichts haben.“
Kalt kommt es von Sölde zurück: „Im Bett werden wir liegen. Du und ich. Abseits jeder Theorie und Hoffnung auf Besserung. Eingebettet in all den Schmerzen, die uns erwarten. All die Schwätzer, die noch gesund sind, wollen uns dieses Elend als gottgewollte Wohltat aufschwatzen und uns so lange wie möglich leiden lassen. Wir sollen zu Heroinen werden, welche die Schmerzen tapfer aushalten.“
Ungerührt reagiert Elfie auf diese Bemerkung und starrt in die Weite. Bis sie erklärt: „Wenn wir dumm werden, werden wir nichts spüren. Vielleicht werden wir, wenn wir dann ganz blöd sind, nichts mehr von dem spüren, was uns der Körper antut. Man wird bei uns die Gefühle und die Schmerzen nicht mehr abstellen müssen – vielleicht.“
Sölde nimmt den Faden auf und erklärt: „Du sprichst optimistisch. Wir zwei verfügen nicht über das ganze Hilfewerk berühmter Leute, die eine ganze Heerschar von Leuten haben, die sich um sie kümmern. Ärzte und Betreuerinnen um sich haben, wenn es mit ihnen zu Ende geht, und dafür sorgen, dass es ihnen in der Situation so gut wie möglich geht, so weit wie möglich, Trost geben und Morphium.“
Mit einem bestechenden Realitätssinn erwidert Elfie: „Uns wird man fallen lassen.“
Sie spricht leise. Niemand an den Nebentischen soll mitbekommen, worüber sich die beiden Freundinnen unterhalten. Das Gespräch bleibt bleileibe ihr Eigentum. Dieses wollen sie mit niemanden teilen, von niemandem nehmen lassen.
Das Reden unter sich, ihr eigenes Reden, ist das Einzige, was sich von ihrem eigenen Stolz bewahrt hat. Diesen letzten Funken von Eigenständigkeit wollen sie sich nicht stehlen lassen.
Mit der kleinen Energie, die sich erhalten hat, verteidigen Elfie und Sölde das Feld, das ihnen in ihrem Leben erlaubt, abschliessend noch einen kleinen Rest an Selbstherrlichkeit auszuleben.
Elfie bemerkt weiter: „Blumen sagen mir nichts mehr.“
Auf diesen Satz hin reagiert Sölde lange nicht. Am Schweigen der beiden Frauen scheiden sich keine Geister und stört sich niemand im Lokal. Nach einer geraumen Zeit des stummen Verharrens und weil Sölde ebenso lange nichts sagt, fügt Elfie hinzu: „Ja, sie sagen mir nichts mehr.“
Sölde, durch diese Worte nicht dazu ermuntert, etwas Kluges beizufügen, verweilt in Stille und bläst Gedanken in die Luft. Schliesslich, wie von der Ruhe geschlagen, um ihr trotzdem Widerstand zu leisten, sie aus dem Weg zu räumen, sagt Sölde: „Du sprichst wie ein Roboter.“
Elfie fragt lediglich zurück: „Tu ich das?“
Ben stirbt in hohem Alter. Elfie ist daraufhin ihres Schutzengels in der Gesellschaft beraubt. Elfie sieht sich den neuen Entwicklungen im medizinischen Gemeinwesen schutzlos ausgeliefert. Man nimmt sich ihrer an, ohne dass sie sich des Zugriffs erwehren kann. Die Hände sind mit einem Mal da. Sie erkennt, dass sie pflegebedürftig ist. Das wird ihr in dürftigen Worten verkündet, von verschiedenen Gestalten umgeben. Aus den Schatten lösen sich Roboter heraus. Menschen verschwinden. Ihre Zärtlichkeiten fehlen Elfie immer mehr.
Mit pneumatischen Greifern packen die Maschinen Elfie und drehen sie vom Rücken auf den Bauch, als wäre sie ein Leib Käse, den man in regelmässigen Abständen wenden muss, damit er nicht zu viel Kruste ansetzt oder wund liegt. Kein Mensch sieht zu. Alles läuft funktionell ab.
Irgendwo sitzt vermutlich ein Automatiker und kontrolliert das Geschehen, ohne dass er diesem viel Aufmerksamkeit schenkt, sondern den Dingen ihren Lauf lässt – falls es einen solchen menschlichen Techniker überhaupt noch braucht, der der Maschine übergeordnet ist und ordnend seine Hand ins Spiel bringt, wenn der Roboter Aktivtäten ausführt, die nicht mehr dem Bereich der Menschlichkeit zugeordnet werden können.
Derart brutal dem Roboter ausgeliefert, kommt sich Elfie vor wie eine billige Schaufensterpuppe. Die Lottergelenke sind schlecht am Körper befestigt. Ihr technisches Betreuungsgerät wendet sie hierhin und dorthin und verschiebt den schwachen Leib auf dem Bett nach Belieben oder wenigstens innerhalb der Grenzen des präzisen Masses, das ihm über das binäre Steuerungsprogramm vorgegeben ist.
Wird Elfie nicht von ihrem Roboter betreut, dann liegt sie still. Sobald die Ängste vor dem Ding aus ihrem Denken weichen und sie in ihre Träume zurück sinkt, steigen Erinnerungen wieder auf, die sie jedoch niemandem mitteilen kann.
Elfie kommt sich vor wie eine Ertrinkende, der es noch einmal gelungen ist, über Wasser nach Luft zu schnappen, bevor sie wieder unter der Oberfläche ihres eigenen Eingeschlossenseins verschwindet. Elfies Kräfte reichen nicht mehr aus, die Wände, die sich immer fester um sie schliessen, von sich fern zu halten.
Erinnerungsstücke fügen sich zusammen, deren Sinn sie zum Teil nicht mehr erkennt. Die Blumen, die sie sieht, in Vasen neben ihrem Bett, weisen alle rückwärts. Die Blumen, drüben auf der Kommode, unerreichbar für Elfie, wo die Tabletten liegen, welche der Roboter ihr in regelmässigen Abständen verabreicht, wecken keine Frühlingsgefühle. Diese sind endgültig im zurückliegenden Lebenslauf stecken geblieben und schaffen es nicht mehr bis zum Bett, in dem Elfie liegt.
Die Unterstützung einer Sterbehilfeorganisation hat sie nicht in Anspruch genommen, um sich ihres Schicksals vorzeitig zu entledigen. Sölde riet ihr, dies zu tun. Sie hat es getan. Sie hatte geraten, gemeinsam zu gehen und zusammen das süsse Sterben im eigenen Entscheid zu erleben.
Nun liegt Elfie dem Zugriff der Robotik schutzlos zur Verfügung. Kein eigener Wille leitet sie. Die Zeit geht unweigerlich vorwärts hin auf ein Ziel. Der Zeitpunkt, wann dieses erreicht werden wird, ist nicht bekannt.
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In dem inzwischen seit einiger Zeit bestehenden Abhängigkeitsverhältnis ist dies Elfies erster wirklich intimer Kontakt mit einem solchen Gerät.
In Gedanken steigt Elfie in den Erinnerungen ihre Lebensjahre zurück. Ja, damals, zu Hause noch, hatte eine Modelleisenbahn gestanden, ein Relikt aus der Zeit, in der sie noch Elter gewesen war. Die Züge fuhren über verschiedene Weichen. Einmal auf diesem Geleise, dann auf einem anderen.
Elfie hatte sich nie stark für die Sache mit den Weichen interessiert. Jetzt sind sie gestellt. Damals war ihr egal gewesen, wie das alles mit der Technik funktionierte. Wie die kleine Eisenbahnanlage verkabelt war. Wie die Schienen zusammengefügt waren. Das alles war an ihr vorbei gegangen. Elfie hatte nie viel von Eisenbahnen gehalten und Aufhebens um sie gemacht.
Sie sind unpünktlich und wenig komfortabel. Also, so sicher ist sich Elfie auch wieder nicht, ob bei den Eisenbahnen der Mensch immer seine Hand im Spiel hat und nötigenfalls eingreift, wenn die Technik versagt. Vielleicht hat die Eisenbahn noch etwas Menschliches an sich. Elfie ist sich unschlüssig, wie es mit ihrem Roboter steht. Sie fühlt jedenfalls, dass er sich im Augenblick nicht in ihrer Nähe befindet.
Nun, nach der Zeit, als Sölde noch lebte, liegt Elfie da, diesem Roboter ohne Namen ausgesetzt. In dem inzwischen seit einiger Zeit bestehenden Abhängigkeitsverhältnis ist dies Elfies erster wirklich intimer Kontakt mit einem solchen Gerät. Sie tröstet sich damit, dass ein solcher Roboter nicht anders funktioniert als eine Modelleisenbahn. Elfie macht jedoch die Weichen nicht aus, welche das Geschehen steuern. Sie ist dem Gerät Tag und Nacht preisgegeben. Sein unsichtbarer Blick dringt tiefer hinein in Elfies neues Sein als eines Technikers künstliches Auge.
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Der Computer kennt jedoch die Sprache der Menschen nicht, kann sie nur nachäffen.
Eisenbahnen sind aus dem gleichen Stoff wie Roboter, denkt Elfie. Bei den Eisenbahnen muss der Mensch noch Hand anlegen, indem er in diese steigt. Die Greifefinger des Roboters hingegeben bemächtigen sich ihrer, wie es ihnen passt. Wenn Elfie einen Zug bestieg, damals, hatte sie nie in dessen Fahrwerk hineingegriffen. Der Roboter tastet aber gemäss einer Regie, die Elfie nicht begreift, ihren Körper schamlos an den verschiedensten Stellen ab, fasst in diesen hinein und sogar ins Maul, wenn er sie füttert und die Altersnahrung über die Zunge schiebt.
Computer sind eine dialoglose Form der Kommunikation. Elfie vermag sich nicht zu wehren. Die Welt ist ein Schlachthaus. Der Computer verrichtet seine Arbeit gewissenhaft, korrekt, professionell und programmiert mit dem Skalpell, dass sich der Mensch ausgedacht hat, um seine Arbeit zu erleichtern. Nur, macht Elfie nicht aus, ob die einprogrammierten Rechneranweisungen einwandfrei funktionieren.
Elektroden, die andere Roboter ihr als medizinische Hilfe und Vorsorge anstecken, um schädlichen Lähmungserscheinungen vorzubeugen und entgegenzuwirken, denen der vom Alter geschwächte Leib manchmal ausgesetzt ist, spielen Elfie zuweilen übel mit. Nicht minder unangenehm empfindet sie die elektronische Einrichtung, welche zuweilen ihre Muskeln reizt, um den Bewegungsapparat zu aktivieren und in Gang halten.
Elfie fürchtet sich vor Fehlschaltungen, einer Zuckung der Elektronik oder der Abnützung der hautschonenden Kontakte, welche auf ihre Haut geklebt sind. Eine Dysfunktion des Systems würde die sichere Handführung der Roboter einschränken. Bei Störungen im Funktionsablauf werden die Hilfeleistungen der Menschenersatzgeräte für die Betroffene zu Foltererfahrungen.
Der moderne Mensch, so denkt sich Elfie, delegiert die Mitmenschlichkeit gegenüber den alten Menschen an den Computer, weil sich das Preis-Leistungs-Verhältnis von Mensch zu Mensch nicht mehr lohnt. Der Computer kennt jedoch die Sprache der Menschen nicht, kann diese nur nachäffen, soweit das Computerprogramm diese nachzubilden vermag. Die ausgerechneten Sprachgewohnheiten genügen den Ansprüchen jener, die im Sterben liegen – oder nicht mehr sehr weit von dieser Situation entfernt sind und der Gesellschaft keinen Mehrwert bringen
Die Entmenschlichung der Technik führt zu einer Erbarmungslosigkeit, vor der sich die Menschen fürchten müssen. Nicht nur Elfie, die ans Bett wie an eine Pritsche gefesselt ist und von einem unbeschriebenen Roboter betreut wird. Der Mensch wird noch vor seinem Tod als mechanisch verarbeitete Leiche entsorgt. Es ist sich gleich, ob der Tod oder der Mensch den Menschen holt.
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Der Roboter umfasst sie mit seinen sieben Armen.
Wieder greifen die sieben Roboterhände, jede stehend für die sieben Sinne, welche den Menschen befähigen, sein Leben in Würde zu verbringen, nach Elfie. Sie fühlt sich wie in die Zange genommen und in ein Gefängnis gesetzt. Sie überlegt, ob der Augenblick gekommen ist, in dem sie wie ein Ersatzteillager für andere Menschen auseinander genommen werden soll, für Menschen, die jung sind und darum als wertvolle Glieder der Gesellschaft angesehen werden. Wenn dies der Fall ist, dann ist Elfie dieser Gesellschaft doch noch von Nutzen. Sie könnte hoffnungsvoll durchatmen.
Welches Organ wird der Roboter mit seinen sieben Armen aus ihr herausholen? Sie an eine weitere Maschine anschliessen, so dass Elfie weiter lebt und weitere Organe für weitere Transplantationen funktionstüchtig bleiben und aus Elfie heraus genommen werden können. In einer entmenschlichten Gesellschaft, wo Roboter dazu programmiert sind, Menschen an der Menschen statt zu betreuen, muss jeder Mensch auf alles gefasst sein.
Ein Kräfte aufreibender Kampf Mensch gegen Mensch begleitet den Menschen zeitlebens unsichtbar und als heimlicher Lustfresser und Lebenslustschmäler, bei dem die Roboter aussen ab stehen und warten. Die Besten überleben und gehen als Sieger aus dem Lebenskampf hervor. Sie triumphieren über das Leben. Das Alter macht jedoch auch diese zu Opfern von Robotern. Alle, die somit eines Tages den Computern verfallenen, müssen damit rechnen, dass in ihrer Gegenwart der Computer, an den sie gesteckt sind, seinen Dienst versagt, ihr Los besiegelt und den Exit vollzieht.
Einst wurde die Technik, später unterstützt von der Elektronik, geschaffen, um den Menschen dienstbar beizustehen. Es kam ein Zeitpunkt, an dem das Menschengeschaffene den Meister zu kontrollieren begann – und jetzt, denkt Elfie, ist das kunstmuskelgesteuerte, humanoide Gebilde mein einziger Helfer und auch jene Instanz, welche die Entscheide für mich fällt. Er ist über mir.
Der Roboter greift mit seinen Armen nach der Frau. Sie geht davon aus, dass die Maschine sie wieder einmal pflegt, sie mit Kissen unterlegt, sie waschen und das schüttere Haar kämmen wird. Um sich herum macht Elfie nur das Gestänge des Geräts aus.
Elfie hat das Gefühl, sie werde von allen Seiten eingefasst. Physisch sieht sich bedrängt, im Gemüt in die Enge gedrängt. Sie versteht nicht, wie Roboter denken, spüren, fühlen. Sie nimmt an ihnen nie Hassgefühle wahr, ebenso wenig Liebe in allem, was sie tun.
In deren Umarmung empfindet Elfie den Reiz eines Lebens in einer gut verdrahteten Sardinenbüchse.
Ganz anders hingegen fühlten sich damals die Ausflüge in die Berge an.
Berühmte Gebirge machen nicht nur den Ruhm des Berner Oberlands oder Zermatts aus. Formschön und fotogen wie die Zähne eines unversehrten Menschen liegt ein solches unweit der Stelle, wo die Rhone in den Genfersee fliesst.
Ein weltberühmtes Wasserschloss wurde in früherer Zeit an der richtigen Stelle malerisch in den See gesetzt, so dass es heute als absolut idealer Vordergrund für viele Bilder dient, die das besagte Gebirge zeigen. Vom See gesehen liegt der majestätische Berg in jene Richtung, wo die Sonne zur Mittagszeit steht. Entsprechend trägt der eindrucksvolle Fels den Namen „Die Zähne des Mittags“, was in der Sprache, die in der Gegend gesprochen wird, so viel heisst wie: „Les Dents du Midi“.
Das oft in Weiss gehaltene Prachtsgebilde, dann, wenn sich der Schnee noch in den hoch gelegenen Felswänden hält und nicht als Wasser abgesetzt hat, wirkt, als ob der mit scharfen Zähnen bewehrte Unterkiefer eines Hais aus dem Wasser schoss und in den Himmel griff, um dort eine Beute zu packen; als habe sich der Fisch dann zurückgezogen und dem Berg seine Kinnlade geborgt, um sich diese bei nächster Gelegenheit wieder zu holen.
Nun lagert das Stück als skelettöses Gerüst eines liegen gebliebenen Rachens über dem Tal. Das scharf gezeichnete, weithin sichtbare Gerippe des Unterkiefers hängt in dem Gebirge als Trophäe und Sinnbild des Untergangs; eines Tieres, das sich seine Beute holte und, eines Teils seines Selbst beraubt, selber zur Beute des Todes wurde.
Elfie und Ben schauten hinauf zum krassen Gebilde, verweilten im Anblick der Alpenlandschaft und merkten gar nicht wie ein Gewitter nahte und sich vor sie hinstellte. Dem fernen Donnergrollen zollten sie keine Aufmerksamkeit, gingen davon aus, dass der Regen eine andere Richtung nehmen werde als zum Berg, den sie betrachteten.
Wie ein Tuch, das eine kräftige Hand über ein Scheibe führt, fegte die stürmische Urgewalt über die Seefläche in schnellem Tempo hinauf auf das Ufer und spülte mit heftigen Regenschauern das Bild weg, das Elfie und Ben vor sich hatten. Tropfnass sahen sie nach der unwillkommenen, naturgegebenen Dusche fast wie Wasserleichen aus, welche eben aus dem See gefischt worden waren. Solches widerfuhr den beiden wiederholt. Diesen plötzlichen Einfall der Natur überlebten sie jeweils unversehrt. Sie liebten es, den Wind um sich fahren zu lassen, und verziehen es dem Regen, wenn er sie bis auf die Haut durchnässte.
Neugierig blickten sie immer wieder, wenn sie in der Gegend weilten, in die hohe Gebirgslandschaft hinauf, als ob sich dort etwas fände, das nicht als Findling des Todes in den Steinhalden liegen geblieben wäre, etwas, das das Lot zur Ewigkeit bildet. Aus der Ferne taugt der First als ideales Fotosujet. Aus der Nähe betrachtet, macht das gigantische Panorama jedoch klar: An dem Berg lässt es sich ebenfalls sterben. In den sehr anschaulich in das Firmament gezogenen Gebissabdruck des gefrässigen Rachens wagen sich nicht viele Menschen hinauf.
Dort, am oberen Teil der immensen Seefläche, den Blick in das Blaue des Himmels und auf das spektakuläre Felsenbollwerk oben bei den Gipfeln gerichtet, das aus einer wirklich unwirtlichen Gegend besteht, wich von den beiden, Elfie und Ben, der Eindruck, die breite Front der gigantischen Felslandschaft berge einen geradlinigen Tempel ausgelebter reiner Freude und brachliegender unversehrter Schönheit, auch wenn die Flanken des Berges so weiss daher kommen; wuchs die Einsicht, die Gebirgswelt warte auf Nahrung, auf ihr nächstes Opfer.
Wer an einem Berg abstürzt und den Fall überlebt, wird sehen, dass die meisten Teile des Körpers noch am Torso haften und die Arterien nach wie vor Blut in das Hirn pumpen, das Lebenselixier also nicht über die Felsen verteilt und am Stein kleben geblieben ist.
Wer den Fall nicht überlebt, den sammeln später, sobald die an verschiedenen Orten herum liegenden Körpereile geortet sind, Sanitäter ein. Wer einen Berg runter fällt, sieht danach aus, als habe ihn ein Zug zerfetzt.
So weit ist es mit Elfie nicht. Sie liegt lediglich fest eingerollt in der eigenen Bewegungslosigkeit, aus der sie sich ohne fremde Hilfe nicht befreien kann. Kein Schweiss perlt ihr auf der Haut. Ihr ist kalt. Sie fühlt sich wie ein Stück Fleisch, das im Schaufenster der Medizin angerichtet ist und darauf wartet, seziert zu werden.
Der Roboter umfasst sie mit seinen sieben Armen. Er bemächtigt sich, wie ihm einprogrammiert ist, des Körpers, der ihm anvertraut ist, und verrichtet die Arbeiten, die er zu leisten hat. Er dreht Elfies Leib, damit die wund gelegenen Stellen entlastet werden und er, der Roboter, die aussortierte Salbe auftragen kann.
Der Roboter gibt keine Informationen. Er benützt keine Sprache. Der Bildschirm ist leer. Die Anzeigetafel ist ohne Schrift. Im Raum herrscht Lautlosigkeit.
Schwer wie ein unerwünschtes Pack liegt der Apparat auf Elfie und drückt wie ein Packet aus Fels und Eis , das den Berg herab gekommen ist, der Frau auf die Brust.
Der Roboter umfasst den Leib sanft und festigt danach den Griff, damit er die Frau besser halten kann. Des Gerätes Auge befindet sich am Endpunkt eines Stils, der aus dem zentralen Teil des Roboters ragt. Das Auge wendet sich geschickt nach allen Seite und tastet schliesslich Elfies Gesicht wie einen Strichcode ab. Sie hat unvermittelt das Gefühl, der Roboter blicke sie mit einem Auge an, das knallhart in ihr Inneres starrt.
Mit einem Arm verstärkt der Roboter den Druck. An einer anderen Stelle gibt er etwas nach. Der Roboter ist nicht darauf eingestellt, auf Geräusche zu reagieren, die ihm fremd sind. Sein glasklarkaltes Auge hat die Situation im Griff, den er jedoch nicht unter Kontrolle hat. Er drückt mit seinen verschiedenen Greifern weiter. Er verrichtet seine Arbeiten. Salbt den Körper. Der kräftige Knacks eines Knochens beendigt die Arbeit des Roboters. Der merkt es aber nicht und drückte weiter, bis der Computer die Frau für tot erklärt. Der Roboter lässt weitere Kraft in seine Greifer fliessen, bis sich diese endgültig ineinander verkeilt haben. – Der Körper wird in Stücke geteilt aufgefunden, als ob er einen Berg hinab gefallen wäre.
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Ein Kommentar zu “Elfie Xorane”