Antoine de Saint-Exupéry und Jean Cocteau haben nichts miteinander zu tun. Es gibt keine Gemeinsamkeiten. Das ist die allgemeine Ansicht. Weit gefehlt! Mehreres verbindet sie: Beide sind Franzosen. Beiden ist eigen, dass sie sowohl als Zeichner wie als Autor auftraten. Ich habe mich nach Villefranche-sur-Mer begeben, wo Cocteau den Innenraum der Peters-Kapelle ausmalte. Im Gepäck führte ich den Kleinen Prinzen mit. Der Kleine lag in Bolz vor mir, also jener Sprache, die in der Freiburger Altstadt noch gesprochen wird. In jener Sprache heisst das Buch De Pety Präingjss. Der Ausflug in diese Sprache öffnet noch einmal den Horizont, der die beide Autoren verbindet, weiter.

Le Petit Prince und Le Livre blanc sind in französischer Sprache geschrieben. Und wie ich auf das Bolz zurückgreife, tönt das wie folgt: Waas hiisst daas, ‘apprywuasii’? Ganz richtig: Der kleine Prinz versteht in seiner Muttersprache das französische Wort apprivoiser nicht. Der Vorteil von Bolz ist, dass diese Sprache für sich das Ursprungswort urbar macht, indem ein Wort nicht übersetzt, sondern assimiliert und auf diese Weise als unverständlicher Ausdruck in den eigenen Wortschatz übernommen wird. Der Gehalt des Begriffs muss genau festgelegt werden, sonst bleibt der Ausdruck ein Fremdkörper in der Seele des Volkes, das die Freiburger Unterstadt prägt; was beim vorliegenden Wort nicht ganz einfach ist – apprywuasii tönt verquer und wenig himmlisch im Quartier unten an der Saane.

Beide Autoren haben sich auf ihre Art mit der Welt auseinandergesetzt. Die Kapelle in Villefranche-sur-Mer steckt voller Symbolik, die Geschichte des kleinen Prinzen auch. Dieser zog in sechs Tag von einem Planeten zum nächsten und erreichte am siebten die Erde. In Cocteau’s Kapelle tummeln sich am Himmel zahlreiche Engel. Schöpfungsgeschichte und Jenseitsvorstellung treffen aufeinander. Unten am Boden tanzt ein Mädchen. Die Tänzerin teilt mit dem jungen Prinzen die wilde Haarpracht, ihre ist rot, seine golden.

Der Strich der beiden Zeichner ist ähnlich. Der Zug des Stifts ist schwungvoll, leicht und klar, die Farben sind luftig pastell. Antoine de Saint-Exupéry kolorierte sein Buch, Jean Cocteau Gebäudemauern. Moralisch unterschiedlich gestalten sie jedoch die zentrale Gestalt ihrer Geschichte: Der kleine Prinz zeichnet sich durch seine Unschuld aus, Cocteau’s Protagonist im Weissbuch ist sexuell aufgeladen. Beide Figuren eint hingegen, dass sie, von ihrem jugendlichen Elan getrieben, auf der Suche sind. Sie sehnen sich, um es einfach zu sagen, nach Freundschaft.

Um die beiden Geschichten als Einheit fertig zu lesen und eine weitere Brücke zwischen ihnen zu schlagen, habe ich mich in die Altstadt Freiburgs begeben. Dort habe ich mich unter den alten Marronibaum gesetzt. Er ist nicht einfach ein Gewächs. Für die Bevölkerung der Umgebung ist er ein Freundschaftsbaum. Dort trifft man sich, quatscht und verbringt seine Zeit. Auch unter diesem Baum heisst das Zauberwort Freundschaft. Keinen besseren Ort gibt es darum, als im Schutz des Baums die Geschichten der beiden Jungen fertig zu lesen. Bolz als Sprache, als Brücke zwischen der deutschsprachigen und der französisch geprägten Kultur, ist nur das Zückerchen oben auf dem Lesevergnügen.
