Merkwürdig ist es, in der heutigen Zeit Stefan Zweigs Novelle Die Hochzeit von Lyon zu lesen. Ein Paar wird getrennt und findet sich ganz überraschend in einem Kellerkerker der französischen Revolution wieder. Im Beisein der anderen Gefangenen vermählt es sich im tristen Gewölbe, wo all jene warten, die im Namen der Politik erschossen werden sollen. In der Zeit der französischen Revolution wurden in Lyon derart viele Menschen ordentlich als Staatsgegner verurteilt und inhaftiert, dass die Gefängnisse nicht genügten, um die Tausenden aufzunehmen, die im Namen des damaligen Gesetzgebers hingerichtet werden mussten. Keller dienten darum als Zwischenstation zum Schafott.

Das Gesetz trug damals einen Namen: Joseph Fouché. Er wurde der Schlächter von Lyon genannt. Von ihm stammte die Idee, mit Kanonen auf zusammengebundene Gefangene zu schiessen. Der Herr bezeichnete dieses Vorgehen als menschlichere Art, die Menschen zu töten, als es die Guillotine bewerkstelligte. In der Novelle schlagen die Flammen aber nicht nur aus den Kanonenrohren. Sie sind auch anderer Natur. Sie brennen aufgrund dieser Natur hell auf und verzaubern das Dunkel im trüben Gewölbe des Kellers für die Dauer einer Hochzeit und der nachfolgenden Liebesnacht, für welche sich das Paar in einen von den anderen eingesperrten Gefangenen abgeschirmten Nebenraum zurückziehen darf.

Zweig, der das literarische Reisig für die traurige, aber ansprechende Novelle lieferte, beleuchtete die Gräuel, die während der französischen Revolution begangenen wurden, aus zwei Warten. In der Novelle nimmt er die Sicht der Opfer ein. In der Romanbiographie Joseph Fouché visiert er auf den Täter und bemüht sich, die Gefühle, das Gemüt und das Denken des Schlächters zu analysieren und bloss zu legen. So gesehen sind die beiden genannten literarischen Werke absolut zeitgemäss und aktuell. Auch heute haben Männer aus absolut egoistischen Gründen sinnlose Massaker angeordnet.

In der Zeit der französischen Revolution hätten nicht nur die Menschen, sondern auch ihre Häuser dem Erdboden gleich gemacht werden sollen. Die Prunkbauten stehen aber nach wie vor. Schreitend durch die Gassen und Strassen sinkt der beobachtende Blick bald von den stattlichen und staatlichen Fassaden hinab auf die Höhe der Kellerluken, hinter welchen damals Menschen nicht Zuflucht suchten, sondern von den Häschern zwischenzeitlich deponiert wurden, um danach auf sie blödsinnig mit Kanonen wie auf Spatzen zu schiessen.
