Das ideale Buch, um mir einen Abend auf der Piazza Grande zusätzlich zu versüssen, bevor ein Film auf der riesengrossen Leinwand gezeigt wird, liegt auf meinen Knien: Wenn es Nacht wird am Lago Maggiore von Bruno Varese. Die Verlockung, den Band genau auf diesem Platz fertig zu lesen, ist ebenfalls riesig. Die Akteure im Buch bestehen aus einheimischem Personal sowie, perfekt zur bevorstehenden Filmvorführung passend, aus Film-Sternchen und Film-Sternen, die gern über den roten Teppich in Locarno laufen und zur Präsentierbühne hinaufsteigen. Danach startet vor den achttausend Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Piazza ihr Auftritt im gezeigten Filmstreifen. Drehbuchmässig endet der Krimi, der auf meinen Knien liegt, am Filmfestival Locarno. Er handelt von der Glanz- und Glimmerwelt im Dunstkreis des Cinema-Cinemas und spielt auch im italienisch-schweizerischen Grenzgebiet. Der Film startet. Mit dem Lesen des Buchs ist nichts.

Ich begebe mich nach dem Schlussapplaus in Richtung einer meiner Lieblingslokale, das bis tief in die Nacht geöffnet hat. Doch die Gegend kommt mir heute Abend unheimlich vor. Die nächste Umgebung ist gemäss meinem Buch unsicher. Auf einem der Dächer lauert ein Scharfschütze. Das Buch habe ich noch nicht zu Ende gelesen. Die Polizei hat den Schützen nicht neutralisiert. Weil im Buch nur ungenau beschrieben ist, um welches Dach es sich handelt, weiss ich nicht, ob mein Lieblingslokal im Schussfeld des Buches liegt und das Glas, das ich bestellen will, durch einen Schuss in Splitter verwandelt werden könnte.

Mein Lieblingslokal und die Leinwand unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt. Man weiss im Voraus nie, ob der mit grossen Worten angekündigte Film der verheissenen Qualität entspricht. Die Zuschauerinnen und Zuschauer mussten auf der Piazza schon manche Kröte schlucken. In meinem Lieblingslokal entspricht hingegen das Bestellte den Erwartungen. Noch in einem anderen Punkt unterscheiden sich Lokal und Piazza. Wenn auf der Leinwand geschossen wird, trifft mich kein Schuss. Hingegen, wenn der erwähnte Scharfschütze mein Glas verfehlt und dafür mich trifft, dann ist es mit mir aus. Nicht nur auf der Leinwand geht dann das Licht aus. Ich lege mein Buch beiseite. Die Gewehrsperson wurde von der Polizei rechtzeitig entdeckt und ausser Gefecht gesetzt.

Ich atme erleichtert auf.
