An und auf Wand

Es ist an der Zeit, ihr wieder etwas zu sagen. Denn es ziemt sich nicht, dass er auf die angenommene Einladung mit Unanstand, der aus Schweigen besteht, reagiert und sich gegenüber der Frau gebärdet, als sei er ein verknorzter Holzkopf, dem die Sprache abhand gekommen ist. Keiner kann seiner selbst bestimmen, sein zurückweisendes Ego als Schutzschild vor sich her schieben und der Welt sich verschliessen, sobald ihm, wie in dem Fall geschehen, das grüne Glas vor die Nase gestellt wird. Ist die Freundlichkeit einer Einladung einmal angenommen, schickt es sich nicht, sich dieser gegenüber unschicklich zu benehmen und sie im Nachgang auszuschlagen. Wie bei einem Nagelstock muss auch er nach dem Hammer greifen und mit ihm den Nagel mit grossem Kraftaufwand in den Bock treiben.

Welche Idee durchschweift wieder seine schrullige Gedankenwelt? Will er mit Hilfe eines Hammers mit der Dame konferieren und sich mit ihr mit Argumenten schlagen? Sie hat ein feines Getränk ausgewählt. An diesem Beispiel hat er sich ein Vorbild zu nehmen.

Er lässt das Glas auf den Tisch sinken und die Ellenbogen mit. Er zeigt auf diese Weise, dass er für das Gespräch bereit ist. Nur worüber reden? Das Tor will er nicht zum Thema erheben, sagt darum: «Das Glas mundet.»

Wenn auch, in der Eile, die er hinlegt, der Satz in seiner bildhaften Konstruktion nicht den Anforderungen einer hohen Rhetorik entspricht, so zeigt der Sprecher doch an, dass er gewillt ist, in eine Diskussion einzusteigen, wie schleppend, aus der Sicht anderer als ihm, das Gespräch sich auch vorwärts bewegt. Jedenfalls fixiert er weiterhin die Frau, auch wenn seine leicht schulter-hängende Position, vorgeneigt über den Tisch, ihm erschwert, die Frau anders mit den Augen zu fassen, als mit dem Blick unter den Brauen hervor. Die ideale Stellung für ein natürlich ausgetragenes Tete-a-Tete nimmt er mit seiner unzugänglichen, trübe Energie signalisierenden Stellung nicht ein. Dessen gewahr, richtet er sich innerlich auf, versteift seinen Rücken, so dass auch sein Körper eine aufrechte Haltung annimmt und der Bauch sich spannt. Nun kann er sich auf seine neue Begleitung konzentrieren. Was er auch tut.

«Solange du dich nicht in mich vergaffst, ist alles gut. Ich liebe meine Freiheit. Sie fördert meine Kreativität und gestattet mir immer wieder, Leute kennen zu lernen, so etwa dich. Du siehst gerade etwas schwach aus. Du könntest etwas erröten, wie du mich ansiehst. Das würde dir Farbe ins Gesicht jagen und auch andeuten, dass du Affekt für mich verspürst.»

Sicher, die inwendige Spannung löst sich einen Teil weit und führt dazu, dass er andere Knochen und Körperteile spürt als üblich. Auch der Fluss des Blutes durch seinen Leib lässt eine frische, noch sachte Aufgeschlossenheit aufleben. Ihn durchfluten erwachende Kräfte, die vernachlässigte Muskeln und bisher geschonte Nerven aktivieren. Die fleischigen Gewebe und feinen Fasern geben, wie er sich im Restaurant aufrecht hält, der Wirbelsäule beim Sitzen die nötige Stärke, so dass diese ohne Anstand den Rücken trägt und nicht, seinem Empfinden gemäss, die Schulterblätter schwach hinunter hängen lässt. Intakte, tragende und leitende Elemente braucht es im Leib, um über die innere Physis seinem Äusseren Haltung zu geben und diese über einen längeren Zeitraum zu gewährleisten. Er muss etwas Gescheites vorbringen, etwas, das dem hohen Niveau des ersten Stockwerks entspricht, wo sie sich niedergelassen haben, nicht der niederen Passage auf dem Vorplatz des Bahnhofs, wo ihn bisher gewiss stumpfsinnige Überlegung plagten. Er entgegnet: «Unfair und unfähig ist das Leben, wenn es darum geht, zu helfen.»

«Soeben hast du den grünen Kranz um die lockige Stirn gelegt, indem du lächeltest. Von dieser Höhe aus findest du Bodenhaftung. Von hier aus hast du Übersicht.»

«Lockig? Wolkig eher, ein Kranz in die Wolken gedreht, wo er beim ersten Wind in seine Einzelteile zerfällt und verpufft. Den Kopf trage ich nicht hoch, will ihn nicht hoch tragen, will Bodenhaftung haben. Die Zeit zeichnet den Menschen. Ich will nicht von ihr von mir weggerissen werden. Es ist viel Unsicherheit im Leben des Menschen. Viele verlieren die Übersicht in einer Welt, die sie nicht mehr verstehen und aus welcher sie aufgrund weniger Kenntnisse und eines rudimentär angelerntem Wissens ausgeschlossen sind, ohne dass sie deswegen aber als dumm gescholten werden können. Sie sind nicht mehr auf dem Laufenden. Es ist ein Zug im Leben des Menschen, eine Vorwärtsbewegung, die ihn immer weiter drängt und schiebt und ihn vergessen lässt, dass er seine ganze Vergangenheit mit sich herschleppen muss. In dieser befinden sich viel überflüssiger Ballast, viele Flicken und Auslassungen. Es steht jedoch nicht in der Macht der Menschen, dass er die Zukunft zu bremsen vermag. Diese zieht den Menschen mit sich fort, auch wenn ein Klumpen in Form einer kettenbewehrten Fusskugel an seiner Fessel hängt und der Mensch trotzdem versucht, selbstständig mit dieser Last am Bein vorwärts zu gehen. So sehe ich die Welt, in der ich weile. Du hast dem Zug Einhalt geboten.»

«Ich sehe, die Höhenluft bekommt dir gut. Deine Gedanken sind sogar weiter hinaufgestiegen, als deine Füsse dich hochgetragen haben. Du bist geistig deinen Beinen gefolgt. Nun musst du darauf achten, dass auch dein ganzes Fleisch mit dem Geist auf seinem Gang mithält. Das mit der Bodenhaftung ist schön, hat aber weder Hand noch Fuss. Du darfst nicht kleben bleiben. Geniesse mit mir die Aussicht und lass uns beide gemeinsam hinaus fliegen in die Welt, die sich vor uns auftut. Bahnhöfe sind immer ein guter Ausgangspunkt für eine Reise. Lass dich verzaubern und unternimm eine solche.»

In seinem dahin fliessenden, gemächlichen und an die Restaurantbesuche gewohnten Dasein haben der Bahnhof und sein Vorplatz tiefe Spuren hinterlassen, so dass sich zunehmend ein Kloss in seinem inneren Wesen heranbildete und verfestigte. Dieser stellt ein Gewicht dar, das er nicht mir nichts dir nichts entsorgen kann, indem er den in seinem Inneren gewachsenen Ballast durch das Fenster im ersten Stock hinaus und auf den Platz hinab wirft. Er darf nichts überstürzen, kein Fenster einwerfen, sondern muss schrittweise voran gehen, genau darauf bedacht, wohin er seinen Fuss auf den Boden setzt, auch wenn sich dieser ein Stockwerk tiefer befindet als das Fenster, das ihm neue Ausblicke gewährt. Von ihrer Bedrohlichkeit hat die ebenerdige, weite Projektionsfläche seiner Ängste und Zweifel zwar etwas eingebüsst. Dennoch schaut er mit einer gewissen Scheu auf den Aussaatbereich seiner trüben und entmutigenden Empfindungen hinunter. Das offene, nicht bebaute Gelände, geplant und planiert für den Transfer von Massen an Leuten von der Stadt in den Bahnhof und somit für den Passagierverkehr freigehalten, liefert die Grundlage für den Weg zu den Geleisen und somit zu einem Abschied, wie ihn die Frau mit ihrem auffordernden Hinweis auf eine Reise angedeutet hat, von der ihm vertrauten Welt, die das Bahnhofvorgelände regelmässig in einen Albtraum verwandelt, hin in eine unsichere Zukunft. Er staunt über die ihm nun widerfahrene Wandlung. Die Welt, die er resignierend als trostlos erachtet, geht wider seinen Willen nun weitgehend in Luft auf. Der Alb ist abgefallen, eine neuer Traum ist erwacht. Reisen erhält eine erweiterte Bedeutung, die sich nicht mit seiner vormaligen Deutung des Tores deckt, sondern deutlich über diese hinaus geht.

Zuweilen spielt die Zeit dem Menschen seltsame Streiche. Er denkt einen Moment lang an seine früher angestellten Überlegungen zurück, somit an seinen Werdegang, der ihm im Grunde Zeit seines Lebens keine grossen Hindernisse in den Weg gelegt hat. Die Frau, woher auch sie so plötzlich aufgetaucht ist und wer sie gesandt haben mag, wenn sie nicht von selber, aus eigenem Antrieb, selbstbestimmt und somit eigenverantwortlich zu ihm gekommen ist, sitzt ihm gegenüber und schaut ihn zuversichtlich an wie ein stabiler Prellbock, der ihn nicht durchlässt, aber für die Kontaktnahme mit dem anrückenden Fahrzeug, in dem Fall dem Mann, gut verankert bereit steht, um ihn in seiner ungebremsten Fahrt auf das Ende des Geleises aufzuhalten. Er ist in seinem Lauf, der im Grunde kein solcher ist, bewegt er sich doch nicht vom Fleck, gehemmt. Der Anblick der Frau, mit welchen Bildern er sie auch kombiniert, wirft ihn nunmehr nicht aus der Bahn. Die durch den Libido gelenkte, selbstanalytisch durchgeführte Identitäts- oder Nichtidentitätsfindung, welche die Zeit aus den ihr von der Natur anvertrauten und geprägten Menschen herausbildet, machte er sich bisher nicht zum Thema. Erst die Präsenz der Frau führt ihn auf dieses Terrain. Es hat sich ergeben, dass er sich bisher zufrieden zeigt mit dem Geschlecht, das seinen Körper und seinen Geist formt. Nur die Zeit, die Vermaledeite, die im Stillen handelende, maliziöse Gevatterin des Seins, die nicht Listige, weil sie nicht verschlagen zu agieren braucht, um ihre Bahn durch die jeweilig aktuelle Gegenwart zu bestimmen, einzubetten und zu realisieren, sticht ihn immer wieder herb an und erinnert ihn daran, dass der Planet, auf welchem er lebt, vergänglich ist wie er selber. Die Zeit prägt den Mensch, verändert ihn fortwährend, laboriert ständig an ihm herum, ohne dass dieser wirklich wirksamen Widerstand zu leisten imstande ist und gegen sie vorgehen kann. Denn der Mensch vermag weder die Zeit noch die Natur, die ihn umgibt und die als irdische Dimension den Körper von Beginn an gestaltet, zu durchschauen.

Die Unsicherheit, die den Menschen dazu bringt, dass er bezüglich seiner physischen und psychischen Stellung in der gesellschaftlichen Gemeinschaft immer wieder seine eigene Position überprüft, hat ihn von Tag zu Tag stärker bedrängt, in die Enge getrieben und, er immer schweigsamer, in Richtung des Tors gedrängt, ohne dass er in Panik gerät, sein Handeln dennoch einschränkt, was zu langen Abenden des Überlegens führt, aber nicht zu Antworten auf seine Situation, ausser dass er sich immer weniger bewegt und im Restaurant um die Ecke verweilt, bewegungslos, fixiert nicht auf die Zukunft, aber auf sich selber; das Tor, das seine Ängste knusprig röstet und auf diese Art lecker zubereitet, so dass er sie, endlos auskostend, geniesset, frönend der vermeintlichen Kostbarkeit als eine Sucht, von der er nicht loskommt; einer Sucht, die ihm das immer wieder gleich Gedachte wiederkäuen lässt; die ihn in seinem Gedankenzentrum herumklettern heisst wie auf einer penrosaschen Treppe, die sich in den Schwanz beisst, weil ihre Stufen als Endlosschlaufe auf jenes Stockwerk zurück führen, wo der Anstieg begann. Wie ein Widerwasser spült sich sein geschlossener Inspirationskreislauf aufgrund einer getäuschten Wahrnehmung durch seine zerebralen Zonen und droht ihn zu versenken. Kaskadenhaft holen ihn kontinuierlich die gleichen Schimären ein, fallen über ihn her und geleiten ihn in sein rotierendes Selbst zurück.

Diesmal lässt er sich jedoch nicht durch seine innerlich durchgespielten Überlegungsschübe beeinflussen, sondern hält diesen einige systematisch aufgebaute Reflexionen entgegen. Er ist die Treppe hinauf gestiegen und hat auf diese Weise seinen Horizont erweitert, so dass ihm nicht mehr ein einfacher Bahnhofplatz ins Boxhorn jagt. Er, der sich durch das Tor zum Zug vorzeitig das Tor zum endgültigen Abzug aus seinen Erdentagen hat diktieren lassen, sieht den dräuenden Durchlass nun als valablen Durchgang, als banale Tür, durch welche er ohne Bedenken treten kann – oder nonchalant ausgedrückt und approbiert: Er sieht sich in seine Jugend zurückversetzt, hatte er doch in früheren Jahren als Bub und junger Mann durchaus positiv in die Zukunft geschaut. Aufbruchstimmung spürt er. Der ehemals konstruktive Blickwinkel auf seinen damaligen, jugendlichen Morgen rückt abermals als hoffnungstragende Perspektive in seine frisch entfachten, neu auferstandenen Betrachtungen ein; dank der Frau, die seine, in letzter Zeit, defätistische Weltanschauung umpolt. Die Entwicklung bringt er auf den einfachen Nenner: Er kann die Tür passieren, ohne dass ihm etwas passiert. Das Wortspiel, wie salopp es auch daherkommt, verschafft ihm Erleichterung und ermöglicht es ihm, erneut zu lächeln. Sie vergilt es mit einem leichten Kopfnicken, das verdeutlicht: Sie verstehe ihn.

Sein Blick schweift hinüber, hinab auf das äussere Gelände. Unten macht er eine Gestalt aus, die bewegungslos auf dem Platz verharrt. Sie ist in ihrem Lauf gehemmt, der sie zum Bahnhof leitet. Sie versteckt sich zwischen all jenen, die vorbei gehen und zum Bahnhof eilen, leichtfüssig und schnell, als ob sie nicht gesehen werden wollte. Er schaut unverwandt hin. Die still stehende Erscheinung drängt sich nicht im emsigen Geschehen vor, das sie umgibt. Aber in seinen Gedanken bleibt sie penetrant stehen. Sie reinigt seinen Blick vom Leuchten des Platzes und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Tor um. Die Figur verdoppelt sich. Sie vermehrt sich noch mehr, wird zur Schar. Auch sie blickt hinüber zum Bahnhof. Aus der Schar werden Scharen. Sie erheben sich, wenden sich und drehen sich um, zum Fenster und blicken zu diesem hin und somit zu ihm hinauf. Bewegen ihre Lippen, als riefen sie nach ihm. Sie schauen ihn an. Ihr Augenlicht sticht in ihn hinein. Ihr Leuchten vermischt sich mit dem Blitzen und Strahlen, das bereits die gut ausgeleuchtete Umgebung in ein glimmendes, unkontrolliertes Feuerwerk verwandelt und in welches der Lichterwurf Tausender von Scheinwerfern aufrührerisch-störend hineinfährt. Die Lichtaugen blenden den vom Schein Erfassten im ersten Stock, versetzen ihn in eine Entrückung, in welche das Licht Löcher brennt. Er wird in jene Gedankenwelt zurückgestossen, die ihn in eine Mauer aus Löchern setzt, durch die er jedoch nicht hindurch zu gehen vermag, um seiner Bedrängnis zu entkommen.

Der Rückfall in die Tiefe des eigenen Selbst zehrt an den Kräften, die der Mensch gegen seine Vergangenheit aufbaut. Einst gefällte Entscheide treiben als Keil durch die Zeit, die dem Menschen gewissenhaft, penetrant und unbarmherzig zur Seite steht, und vereinen sich mit den verpassten Gelegenheiten, die der Mensch an sich vorbeigehen liess. Einst gefällte Entscheide, die sich als falsch erwiesen und einen für die eigene Entwicklung nicht geeigneten Weg wählen hiessen, treiben im Leben des Menschen mit und heften sich bei Gelegenheit als warnende Erinnerung wieder an ihn, indem sie als Zweifel in einen persönlichen Entscheidungsprozess hinein drücken. Des Menschen Aktionsradius wird dadurch eingeschränkt. Von jung auf beginnt das Gejammer, der Rückzug in die eigene Kammer, der erneute Aufbruch, der Ausbruch aus der eigenen Enge, die Kollision mit neuen Hindernissen, der Verschleiss und die anschliessende Reparatur der Vorstellung über die heranbrechende Zukunft, die sich nicht die Zeit lässt, auf das zu warten, was der Mensch für sich ausdenkt, sondern zuschlägt, falls sie es für notwendig erachtet, oder dann den Menschen in seinem Schicksal gewähren lässt, bis er fällt. Auf wie vielen Krücken die Vergangenheit sich auch bewegt, sie holt den Menschen immer wieder ein.

Das wachsende Lichtermeer überblendet die Kraft seines Gehirns, gewinnt an Intensität, stemmt den Widerstand seiner neu entfachten Hoffnung auf eine andere Zukunft als jene, die er bisher als seine Realität kennt, zurück. Wie eine glitzernde Zange senkt sich das fremde Funkeln in sein Denken hinein und quetscht die Freude erzeugenden Hirnwindungen zusammen, so dass er Schmerz empfindet.

Ein Teil der Scharen widmet jedoch, wie er feststellt, nicht unverwandt sein Augenmerk dem Fensterquadrat und somit jenem Mann, der hinab schaut, sondern richtet das Interesse auch hin auf den Bahnhof, ohne sich wie die übrigen auf dem Gelände, wie die erste Gestalt auch, die er ausgemacht hat, zu rühren. Die Aufmerksamkeit wird nicht nur durch das Fenster gebannt. Sie gucken sich vielmehr um und wenden sich in eine andere Richtung, in die sie dann davon schreiten. Es bleiben jedoch die übrigen Gruppen. Er beobachtet intensiv, wie die abwartenden Gestalten zu ihm hinauf, aber auch zum Bahnhof hinüber linsen. Sie tragen längliche Kleider. Die Beine sind abdeckt. Ihren Fuss sieht er nicht. Sie wirken nicht, als würden sie über den Boden gehen, sondern über diesen schweben. Sie stehen für fantastische Gestalten, die aus einer Unwirklichkeit gestiegen sind. Ein irreales Ambiente schieben sie mit ihrer Darbietung über die Kulisse, auf welche er nieder starrt. Der Bannstrahl, der auf ihn geworfen wird, enthält die Botschaft des Tores. Die Figuren lassen ihn nicht aus den Augen, als wollten sie überprüfen, ob ihr Werk ausgeführt wird. Ihr Blick gibt die Richtung seines Handelns vor: Er muss zum Tor.

Ein erneutes Zucken zieht über sein Gesicht. Die eigen kreierten Geister lassen ihn nicht los. Er ist jedoch nicht allein, wie er auf das Geschehen unten hinab blickt. Das gibt ihm Sicherheit in seinem Auftritt oben am Fenster. Vom ersten Stock aus, dem Logenplatz, hat er eine gute Übersicht über das Geschehen zu seinen Füssen. Andere sieht er, die zum Bahnhof schauen. Er lässt sich nicht schrecken. Die von Augenblitzen genährten Leuchtkörper, die ihn bedrängen, werden auf normale Dimensionen gedimmt. Sie entsprechen nicht brennenden Rubinen und gleissenden Diamanten. Glasperlen wiegen sie nicht auf. Glas, nichts anderem als einfach scheinendem Glas, das wie durch eine Fensterscheibe als Lampe mit der Intensität einer Kerze leuchtet, entspricht der fremden Augen Druck, der auf ihn gerichtet ist. Diesen entlarvenden Eindruck vermitteln ihm die aufdringlich eindringenden, aber nicht einbrennenden Lichter. Sie dünken ihm wie Strassenlampen, die nicht gefährlich sind, hingegen hilfreich, um den richtigen, ungefährlichen Weg zur Nachtstatt zu finden und ebenso Schattenfreuden auslösen. Er atmet durch. Tief und lang. Das ganze Geleuchte, das ihn bedroht, vorgibt, ihn zu bedrohen, scheucht er mit frech heraufgezogenen Mundwinkeln davon. Nichts anders stellen die vielen Lampen für ihn dar als nützliche Beleuchtungselemente, deren strahlende Hilfeleistung er nicht missen möchte und jetzt zu schätzen weiss – sieht er doch die Frau neben sich – und ebenso, wenn er sich nachts nach Hause begibt. Die Helle spendenden Geräte erscheinen ihm nicht verfänglicher als schlecht kurierte, geistige Lichterfurunkeln ohne Schmerzausstoss. Von all den Übeln, die ihn heimgesucht haben, bleibt in seinen Sinnen als Narbe lediglich noch die Rötung einer ausgeheilten Wunde, von den einstmals bohrenden Lichtaugen lediglich noch Schatten von Hühneraugen, die mit wenig Behandlungsaufwand leicht entfernt werden können. Die anfänglich höllisch auftretende Szenerie löst sich wenig spektakulär als ein schlecht dargebotenes Ballett auf, dem die Tanzperformance völlig missrät, und schleicht davon als aufgedeckter Spuk, der sich vor der eigenen Seichtheit versteckt.

Er lehnt sich zurück, wirft noch einen Blick durch das Fenster, dieses Glas, das für ihn wie das zuvor vermaledeite Tor klar geläutert nun daher kommt. Der Geist aus dem Glas mit dem grünen Licht reinigt seine enervierte Wahrnehmung zusätzlich, hebt sie hinweg über die Schrecken und Ecken, welche seinem Leben bis anhin den beschwerlichen Lauf diktierten. Alles, was ihn einengt, streift er ab. Er tritt als Bezwinger seiner Vergangenheit nun sicher, zuversichtlich und selbstbewusst auf.

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