Das Ziel ist erreicht. Oskar Maria Grafs Buch ‘Wir sind Gefangene’ habe ich in der nach ihm benannten Brasserie in München fertig gelesen. Ganz anders als die immense Schöpferkraft und Fabulierkunst des Autors, der für die Leserinnen und Leser grosszügig seine Gedanken, Beobachtungen und Phantasien auf dem Papier auslegte, zeichnet sich das Kaffeehaus durch Schlichtheit aus. Sein Name ziert die gläserne Eingangstür. Zitate schmücken die Tischsets. Einige wenige Worte des gebürtigen Bayern lassen sich nach langer Suche auf der sonst weiss belassenen Mauer des Raums ausmachen. Damit hat es sich.

Dennoch habe ich in der Brasserie das Buch fertig gelesen. Weil es mir gefiel, habe ich mich bei der Barmaid erkundigt, ob sich in der Nähe eine Buchhandlung befinde, wo ich mir den nächsten Graf besorgen könne. „Selbstverständlich“, gab sie mir zur Auskunft, „sie befindet sich nicht weit. Gehen Sie raus dann links und dann rechts – nein gehen Sie rechts und dann geradeaus, links und wieder gerade aus und Sie treffen auf die Handlung.“ Ich habe nichts verstanden. Der Dame Erklärung eröffnete mir aber eine neue Perspektive auf das Werk des Bayern: Dessen Zeit war von einem völligen Durcheinander durchdrungen; er bemühte sich im Gefäss seiner Bücher jenem historischen Chaos irgendwie Gesichter zu verleihen und das Geschehen einzuordnen.

Das Frage sei gestellt: Will München seinen illustren Sohn säulenkalt im Raume stehen haben? Die Wände gleissen kalkweiss. Zahlreiche Säulen recken sich betongrau und roh gehalten hoch hinauf und tragen das Gewölbe der imposanten Halle. Ganz anders präsentiert Graf seine Stadt auf dem Tablett der Literatur. Er beleuchtet München in allen Facetten, welche der Ort aufgrund seiner bewegten Geschichte seinen Einwohnerinnen und Einwohnern geboten hat. Der Autor wollte schon in jugendlichen Jahren Schriftsteller werden. Aber er wurde in eine Zeit hinein geboren, die sein Schreiben in eine andere Richtung lenkte, als es die Absicht des unbeschwerten Jünglings war.
