Der Nervenkitzel ist enorm. Ich sitze im Zug. Der Platz mir gegenüber bleibt unbesetzt. Auf meinen Knien ruht der Roman «Zwei Fremde im Zug» von Patricia Highsmith. Der Konvoi hält. Leute steigen ein. Der Testosteronspiegel steigt. Wird sich jemand mir gegenüber hinsetzen? Wer wird es sein? Hege ich den Wunsch, eine mir missliebige Gestalt beiseite zu räumen? Wird es zum Gespräch kommen?
Das Buch der amerikanische Autorin ist nichts für schwache Nerven. Kommt man im Zug mit jemandem ins Gespräch, kann sich dieses recht seltsam entwickeln. In Highsmiths Werk entwickelt sich im Speisewagen eine Unterhaltung zum Vorteil beider Protagonisten und kulminiert im Vorschlag: «You murder my father and I’ll murder Miriam. The police will never find us. We’re strangers, we met on a train and nobody knows we’re friends. It’s perfect.» Sie werden handelseinig und die perfekten Morde werden ausgeführt. Die Polizei rätselt, schwitzt und kommt nicht vom Fleck.

Perfekt ja, wäre nicht die Unsicherheit, die im Zug mitfährt. Eine Person fragt mich, ob der Platz mir gegenüber am Fenster noch frei ist. Freilich! Ich bejahe und besiegle somit mein Schicksal. Ich frage mich, ob die Person über solch stahlharte Nerven verfügt, wie ich sie für mich beanspruche. Tut sie es nicht, ist es mit unser beider Spiel bald aus und schnell steht die Polizei vor meiner Tür, um sich des Versagers zu bemächtigen.
Die Behörden bedürfen keiner Beweise, weil ich mich, unvorsichtig wie ich im Zug war, selber ans Messer liefere. Eine Zugfahrt ist bereichernd aber mit Gefahr verbunden, wenn der Fremde im Abteil zwar vertrauenswürdig wirkt, sich nervlich aber nicht auf der Höhe zeigt. Ich schliesse Patricia Highsmith wunderbaren Band und hoffe, dass niemand in meinem geheimen Auftrag mordet und danach schwach wird.
