Reisewut am Ort

„Suffer the little childern“ von Donna Leon erwies sich als ein hartes Stück Arbeit. Zum guten Glück gibt es in Venedig, um sich von einem Ort zu einem anderen zu verschieben, das Schiff. Meine erste Adresse war der Ramo Bragadin. Dieses wirklich sehr kurze Strässchen, vielleicht acht Meter lang, sofern das nicht schon hoch gegriffen ist, gibt es tatsächlich und das Gitter, das ein Parteimitglied der Lega Nord öffnet, um Commissario Brunetti zum Parteichef vorzulassen, ebenfalls. Der Polizist konnte rein, ich musste draussen bleiben. Ich genehmigte mir in einer Pasticceria am Platz einen Café, las ein paar Zeilen im Buch und entschied hierauf, hinaus zum Park der Biennale zu fahren, um mich unter dem weiten Himmel Venedigs und den zahlreichen Bäumen ungestört in die Lektüre zu vertiefen – bis mir der Taten des bigotten, teuflischen Apothekers doch zu viel wurde und ich entschied, mir dessen Geschäft in Campo Sant‘Angelo anzusehen, ohne aber dort etwas zu kaufen. Er hätte mich gewiss in seine Kartei aufgenommen, hätte ich ein Medikament gepostet, das Rückschlüsse auf eine französische Krankheit oder eine andere Verfehlung ermöglichte, und ich wäre Opfer eines religiös-tückischen Denunzianten geworden.

Volltreffer! Ich habe noch nie von so nahe einem Verbrechen beigewohnt! Es gab zwar keinen Mord. Der Apotheker der Pfarrei Santo Stephano verlor Gesicht, Augenlicht und die Fähigkeit zu sprechen. Eine Hand wurde auch versehrt, als ihm eine Ladung Chemikalie ins Gesicht flog. Es ist nichts anderes als logisch und kohärent, dass es nun am Platz keine Apotheke mehr gibt, da der Apotheker von Santo Stephano, erblindet, seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann. Die Pfarrei mit dem Namen existiert hingegen noch. Ihr Name prangt gross und deutlich auf einem der Paläste, die den Platz säumen.

Es ist immer ein Vergnügen, die Autorin zu lesen, besonders wenn man erkennt, dass nicht alles, was sie schreibt und geschickt in einen Krimi einfügt, frei erfunden ist. – So, jetzt habe ich noch ein Buch in Reserve. Ich weiss aber nicht, ob Venedig darin aufgeführt ist. War Talleyrand je in Venedig? – Das war’s also, was von der Venedig-Reise bleibt: Eine offene Frage. Weiterlektüre ist angesagt.

Zurück

Ein Kommentar zu “Reisewut am Ort

Hinterlasse einen Kommentar