
In einer schwimmenden Sardinenbüchse habe ich mich heute zum Lido begeben. In Venedig werden die Gondeln literarisch mit dem Tod verknüpft. Dieser Kahn aber, Linie 5,2, entspricht einem schwimmenden Sarg. Wer drin sitzt, hat das Gefühl, er befinde sich in einem U-Boot mit dem Schick einer Waschküche und kleinen Bullaugen, die kein Entkommen ermöglichen, wenn das Schiff sinkt und die Passagiere gnadenlos in einem Nebenkanal des Canal Grande ertränkt, damit niemand die frevelhafte Tat sieht. Die Fenster sind zudem völlig vollgespritzt, so dass der Beförderte den Eindruck hat, er fahre unter Wasser. Da reiste Aschenbach in seiner Gondel mit dem schweigenden Gondoliere bequemer zu seiner Schicksalsstätte hinüber. Ich habe Gustavs Todesstätte lebend erreicht. Den Satz habe ich erst geschrieben, nachdem ich wieder sicheren Boden unter den Füssen hatte. Unsereins weiss ja nie: Der Kahn hätte sich bei dem hohen Wellengang irgendwo in der Lagune aufspiessen können , wo wir den Fischen preisgegeben gewesen wären.

Blick auf‘s Meer: Am Strand offerierte mir ein Mann mit schrulligem Gesicht den Liegestuhl, in welchem Aschenbach verblich. Für fünfzig Euro hätte ich seinen Tod eine halbe Stunde lang nachliegen dürfen. Ich habe das Angebot zurückgewiesen. Spass beiseite; der Strand auf dem Lido Veneziano ist auch im Herbst mit Hütten und Sperrgittern gesprenkelt, überbaut und geschlossen, so dass es kein Durchkommen zum Meer gibt. Ich nahm mit einer Bank an einer stark befahrenen Strasse vorlieb, um etwas im Tod in Venedig zu blättern, lustlos, mit Blick auf ein Grand Hotel, das recht heruntergekommen wirkt, falls es überhaupt noch genutzt wird. Der Lido ist keine Reise wert. Ich bin nach Pellestrina weiter gereist. In diesem Fischerdorf lässt Donna Leon einen ihrer Krimi recht blutig enden, aber – : Der Brunetti ist erst übermorgen dran.
Im Ort fand ich einen Strand mit Sand, wo ich meine Lektüre fortsetzen konnte, ausgesetzt einer gesunden Seebrise und nicht einer Pest, die zu Aschenbachs Zeiten in Venedig wütete. Am Strand mit Blick auf das Meer, wie es sich gehört, durfte ich von der letzten Vision Aschenbachs seines jungen Tadzios Kenntnis nehmen und ebenfalls vom Tod des verliebten, ältlichen Herren. Selbstverständlich kann sich der Leser, will er sich die Erzählung Thomas Manns am Ort des Geschehens zu Gemüte führen, einige Passagen im Buch vormerken und diese in Venedig im entsprechenden Ambiente eines venezianischen Bezirks lesen. In der Stadt gibt es etliche Brunnen, die der Stelle entsprechen, wo Gustav zusammenbrach und anschliessend zu seiner Stärkung überreife Erdbeeren kaufte. Auch heute lassen sich in der pittoresken Stadt an Marktständen Beeren und Früchte kaufen.
Für die Rückkehr vom Lido in die Stadt wählte ich ein Oberwasserfahrzeug.

Ein Kommentar zu “Der Tod fährt mit”